"Die deutsche Fintech-Hoffnung ist nicht da. Eigentlich sollte Benjamin Bilski hier, im schmucklosen Konferenzraum Culture I des Frankfurter Hotels Le Meridien, vor Investoren sein Unternehmen Naga Group vorstellen. Doch statt wissbegieriger Fondsmanager und Analysten erholen sich in den fast leeren Stuhlreihen nur zwei Anzugträger von dem Vortragsmarathon auf der Investmentkonferenz. Bilski hat kurzfristig abgesagt. Dabei hatten Investoren viele Fragen an den 30 Jahre alten Gründer und Vorstand des Fintechs: Naga war ein Highflyer an der Börse, in der Spitze eine halbe Milliarde Euro wert. Dann folgte ein jäher Absturz. Im April gab Naga eine Restrukturierung bekannt; vom einstigen Börsenwert ist nicht mal ein Zehntel übrig.
Um bei den Kandidaten ein Mindestmaß an Qualität sicherzustellen, müssen diese eine Reihe von Kriterien erfüllen. So müssen Neuzugänge beim Börsengang seit mindestens zwei Jahren bestehen und auf wenigstens 30 Millionen Euro Marktwert kommen. Außerdem verlangt die Börse, dass Unternehmen entweder mindestens zehn Millionen Euro Jahresumsatz machen oder Gewinne schreiben – oder, wenn beides nicht hinhaut, dass wenigstens das Eigenkapital positiv ist.
Doch der Fall Naga zeigt, wie leicht sich diese Bedingungen erfüllen lassen. Das Hamburger Unternehmen betreibt unter anderem eine Handelsplattform für spekulative Wertpapiere (Contract for Difference; CFD) und Kryptowährungen wie Bitcoin. 2016, im Jahr vor dem Börsengang, erzielte Naga kaum Umsatz und schrieb Verluste. Ohne positives Eigenkapital hätte Naga nicht in Scale aufgenommen werden dürfen. Das Eigenkapital beschaffte sich das Unternehmen dann auf ungewöhnliche Weise: Naga-Großaktionär Sebastian Yasin Qureshi, bis Ende April 2019 Chef der Firma, verkaufte an Naga ein Unternehmen namens Swipy Technology GmbH. Als Gegenleistung bekam er eine Naga-Aktie – Wert beim Börsengang: 2,60 Euro. In der Bilanz von Naga aber tauchte die Software der Swipy Technology GmbH nach dem Deal mit einem Wert von über 20 Millionen Euro auf. So kam Naga an das von der Börse verlangte Eigenkapital. Ziel erreicht: Seit Juli 2017 können Anleger die Aktie in Scale kaufen und verkaufen.
Qureshi wusste den spektakulären Kursanstieg von Bitcoin und Co. für das Unternehmen zu nutzen, der Naga-Aktienkurs stieg anfangs gewaltig. Kein halbes Jahr nach dem Börsengang brauchte das Start-up aber offenbar erneut Geld – und beschaffte es sich durch die Ausgabe von Kryptomünzen. Das Geld jedoch soll nicht an die börsennotierte Aktiengesellschaft geflossen sein. Stattdessen kassierte ein Unternehmen, das auch Naga heißt, aber im mittelamerikanischen Steuerparadies Belize sitzt. Die Hamburger Naga will daran Provisionen verdient haben; die Hälfte des Jahresumsatzes 2017 entfällt allein darauf. Ohne den Deal hätte Naga einen deutlich höheren Verlust verzeichnet als im Jahr zuvor. Doch dank des Belize-Geschäfts konnten die Hamburger den Fehlbetrag fast halbieren. Anleger indes hatten offenbar Zweifel; der Kurs brach in der ersten Jahreshälfte 2018 ein. Schlechte Nachrichten folgten: Ein mit der Deutschen Börse betriebener Handelsplatz für virtuelle Güter geriet zum Totalflop, die Börse ist inzwischen aus dem Projekt ausgestiegen. Die Aktie ist heute auf dem Weg zum Pennystock, notiert 95 Prozent unterhalb ihres Höchstkurses.
Das Desaster kam mit Ansage. Denn Naga hatte zum Zeitpunkt des Börsengangs kein etabliertes Geschäftsmodell. An Großaktionär Qureshi gab es zudem Zweifel. Gegen ihn ermittelte damals die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Dividendenarbitragegeschäften, bei denen Anleger sich Kapitalertragsteuern erstatten ließen, die sie zuvor gar nicht gezahlt hatten."
Auszug aus "Wo dubiose Firmen auf leichtgläubige Anleger treffen", WirtschaftsWoche vom 03.06.2019
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