Man muß ganz offen mit den Leuten Kommunizieren... The video is not or not available anymore
Osnabrück. Die Corona-Krise wirft nicht nur medizinische, sondern auch psychologische Fragen auf. Warum gibt es Hamsterkäufe? Und wieso wollen sich viele partout nicht an die Regeln des Social Distancing halten? Für den Osnabrücker Wirtschaftspsychologen Uwe Kanning, der 2016 zu Deutschlands "Professor des Jahres" gewählt wurde, sind solche Phänomene gut erklärbar, wie er im Interview sagt.
Herr Professor Kanning, obwohl die Supermärkte stetig beliefert werden und jeder weiter zum Einkaufen das Haus verlassen darf, gibt es auch in Osnabrück weiter Hamsterkäufe. Warum verhalten sich viele Menschen derart irrational?
Ich glaube, dafür gibt es einen ziemlich einfachen Grund. Vieles in der Psychologie lässt sich über soziale Vergleichsprozesse erklären, dahinter steht eine klassische sozialpsychologische Theorie, die sich im Kern mit folgender Frage beschäftigt: Wie kommen Menschen eigentlich zu der Überzeugung, dass ihr Verhalten und ihre Einstellungen richtig sind? Und ein ganz wichtiger Faktor dabei sind soziale Vergleiche. Man vergleicht sich mit anderen Menschen, und wenn man dann sieht, dass viele ein bestimmtes Verhalten zeigen, und man selbst zeigt dieses Verhalten nicht, kann einen das verunsichern. Viele Menschen fangen dann an, ihr Verhalten zu ändern. Ich bin mir sicher, dass anfangs noch viel mehr Leute als jetzt die Hamsterkäufe befremdlich fanden. Doch wenn sie merken, dass diese Hamsterkäufe einfach nicht aufhören, dass es immer und immer weitergeht, dann fangen sie irgendwann an, das eigene Verhalten anzuzweifeln und das der anderen als gar nicht mehr so verrückt zu empfinden. So knicken nach und nach immer mehr Menschen ein.
Und was hat dazu geführt, dass sich so viele Menschen nicht an das Social Distancing gehalten haben, sodass die Regierung ein Kontaktverbot erlassen musste?
Aus der Forschung weiß man: Geht es um Prozesse, bei denen den Menschen etwas oktroyiert wird, spielt die Kommunikation eine ganz wichtige Rolle. Wir kennen das auch aus Unternehmen. Wenn man Change-Prozesse durchführt, also eine Fusion oder große Umstrukturierungsmaßnahmen, scheitern die ganz oft – und zwar nicht nur, weil es Management-Fehler gibt. Sehr häufig liegt es auch an den Mitarbeitern, die das ganze Projekt regelrecht torpedieren, permanent Sand ins Getriebe streuen. Und wir wissen, dass es dafür nur eine Lösung gibt: Man muss ganz offen mit den Leuten kommunizieren, sie mit ihren Gefühlen und Befürchtungen ernst nehmen und ihnen alles plausibel erklären. Und wenn ich derzeit in die Medien schaue, habe ich den Eindruck, dass das auch gemacht wird. Eines kann man also schon mal festhalten: An den Informationen kann es eigentlich nicht gelegen haben. Zur Person Prof. Dr. Uwe Kanning Uwe Kanning wurde 1966 geboren, machte in Duisburg sein Abitur und studierte Psychologie in Münster, wo er auch heute noch lebt. Seit 2009 ist er Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Uwe Kanning ist ein Experte für Themen wie Personalauswahl, Personalmanagement und Führung. Besondere Beachtung fanden seine Arbeiten zu unseriösen Auswahlmethoden von Bewerbern auf dem Arbeitsmarkt. Im Jahr 2016 wurde Kanning bei der Wahl des Magazins "Unicum Beruf" in der Kategorie "Medizin/Naturwissenschaften" zu Deutschlands "Professor des Jahres" gekürt.
Nun belegen aber Studien, dass gerade sehr junge Menschen immer weniger Nachrichten konsumieren. Einige ignorieren sie sogar komplett.
Das stimmt natürlich. Ich hatte eine ältere, bürgerliche Klientel im Kopf, die regelmäßig "Tagesschau" guckt und immer gut informiert ist. Bei einigen jungen Leuten sieht es anders aus, und es waren sicher auch vor allem junge Leute, die Corona-Partys gefeiert oder sich in größeren Gruppen zum Biertrinken in den Park gesetzt haben. Natürlich nutzen viele von denen völlig andere Medienkanäle, aber ich glaube, ein ganz anderes Problem kommt noch hinzu: Diese jungen Menschen gehören nicht zur Risikogruppe. Selbst wenn die sich infizieren, werden sie wohl kaum ernsthaft erkranken. Sie müssen daher erst mal begreifen, dass sie das Social Distancing nicht für sich machen, sondern für andere.
Und ist das dann eine Abstraktion, an der viele emotional oder auch intellektuell scheitern?
Exakt. Das Ziel von Social Distancing ist für viele Menschen total abstrakt, denn sie machen es ja für Menschen, die sie überhaupt nicht kennen. Um das zu verstehen, kann man wieder in die Forschung schauen, zum Beispiel in die Aggressionsforschung. Aus der weiß man, dass es sehr viel einfacher ist, gegenüber einem anderen Menschen aggressives Verhalten zu zeigen, wenn man ihn nicht als Individuum wahrnimmt. Man nennt das Deindividuation. Wenn man das auf die aktuelle Situation überträgt – hier geht es zwar eigentlich nicht um aggressives Verhalten, aber das Prinzip ist ähnlich –, dann müsste man im Grunde sagen: Die medialen Informationen sind gut, aber für Menschen, die nicht zur Risiko-Gruppe gehören, müsste man sie noch konkreter machen. Man müsste der Gefahr Gesichter geben, zum Beispiel Menschen zeigen, die eine Lungentransplantation hinter sich haben und sagen, was die jetzige Situation für sie bedeutet. Und natürlich wäre es zumindest aus diesem Blickwinkel hilfreich, wenn man etwas über die Menschen erfährt, die schon gestorben sind – selbstverständlich nur, wenn die Angehörigen dem zustimmen. Momentan ist zumindest in Deutschland die Wahrscheinlichkeit, dass man im Familien- oder Bekanntenkreis jemanden hat, der an den Folgen von Corona gestorben ist, noch praktisch bei Null. Wenn dann beispielsweise eine junge Frau auftreten würde, die sagt, wie traurig sie darüber ist, dass sie ihre Oma verloren hat, hätte das mit Sicherheit auch eine starke Wirkung auf diejenigen, die bislang noch in größeren Gruppen draußen herumgelaufen sind und sich vielleicht auch jetzt noch dem Kontaktverbot widersetzen.
Sie unterrichten Wirtschaftspsychologie und kennen sich auch hervorragend mit unserer Arbeitswelt aus. Wie wird sich die durch die Corona-Krise verändern?
Das Homeoffice ist sicher etwas, das durch diese Krise einen ganz starken Schub erleben wird. Dieser Gedanke „ich muss meine Mitarbeiter hier vor Ort haben, damit ich sie kontrollieren kann“, herrscht in den meisten Großunternehmen zwar nicht mehr, aber bei vielen kleinen und mittelständischen Firmen schon – und die meisten Menschen in Deutschland arbeiten bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. In dieser Krise ist das Homeoffice etwas, was auch viele von diesen Unternehmen verstärkt ausprobieren müssen. Für die Zeit nach Corona wird diese Erfahrung das Arbeitsleben verändern, einfach, weil man gesehen hat, dass es funktioniert. Es wird sicher nicht so sein, dass alle, die jetzt fünf Tage von zu Hause aus arbeiten, das auch nach der Krise tun werden – aber vielleicht ja ein oder zwei Tage pro Woche. Und das wäre schon ein großer Fortschritt.
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