und das unter Thatchers Regierungszeit... Das englische Establishment ist eine Ansammlung von Kriminellen, dem eine Revolution wie 1789 immer noch gut täte...
Stelle mal den ganzen Beitrag aus der FAZ von heute hier ein...:
Von mächtigen Männern missbraucht
Ein Zeuge ist aufgetaucht. Er bestärkt den Verdacht, dass das politische Establishment Großbritanniens in den Missbrauch von Kindern in den siebziger und achtziger Jahren verwickelt war. Von Jochen Buchsteiner
LONDON, 19. Dezember. Schon länger besteht der Verdacht, dass ein Pädophilenring mit Verbindungen in hohe politische Kreise in den späten siebziger und achtziger Jahren Verbrechen an Kindern begangen hat. Nun erreichen die Ermittlungen, die seit zwei Jahren laufen, eine neue Qualität. Am Donnerstag bestätigte Scotland Yard, dass im Zusammenhang mit den Missbrauchsermittlungen auch drei Morde an Jungen untersucht würden. Die Polizei rief die Bevölkerung zur Mithilfe auf.
Ein Zeuge ist aufgetaucht, der als „Nick“ bezeichnet wird und zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt ist. Er sagte vor der Polizei aus, dass er als Junge jahrelang von „mächtigen Männern“ missbraucht worden sei, unter anderem in einem Apartmentkomplex im Londoner Stadtteil Pimlico, in dem überwiegend Abgeordnete, Regierungsbeamte, hohe Offiziere, Geheimdienstmitarbeiter und Geschäftsleute wohnen. Zugleich sei er Augenzeuge von Morden geworden. Die Polizei stufte Nicks Zeugenaussage als „glaubhaft und wahr“ ein.
In der Boulevard-Zeitung „Sunday People“ gab der anonyme Zeuge zu Protokoll, er sei in den frühen achtziger Jahren im Raum gewesen, als ein Tory-Abgeordneter einen zwölf Jahre alten Jungen während einer Sex-Orgie im Dolphin Square Apartment erwürgt habe. Etwa eineinhalb Jahre später sei er dann Zeuge eines weiteren Mordes geworden, der im Beisein „mächtiger Männer“ stattgefunden habe. Ein dritter Junge soll vorher absichtlich überfahren worden sein. Die Männer, darunter auch ein ehemaliger Minister im Kabinett Margaret Thatchers, seien bei ihren Vergewaltigungen „brutal“ vorgegangen und hätten etwa, wie in seinem eigenen Fall, den Kopf des Opfers unter Wasser gehalten.
Zu den Männern, die „Nick“ anhand von Fotos identifizierte, gehört der frühere Botschafter und MI6-Geheimdienstchef Sir Peter Hayman. Er war bereits in den achtziger Jahren aufgeflogen, nachdem kinderpornographisches Material in seiner Wohnung gefunden worden war. Zudem war bekannt, dass er Mitglied im „Paedophile Information Exchange“, einer Kontaktbörse für Kinderschänder, gewesen ist, die erst Mitte der achtziger Jahre geschlossen wurde. Hayman wurde, trotz einer Nachfrage im Unterhaus, nie angeklagt. Er starb 1992.
Der Aufruf an weitere Missbrauchsopfer und Zeugen, ihre Erinnerungen an die Ereignisse im Dolphin Square Apartment mit der Polizei zu teilen, illustriert die Beweisschwierigkeiten der mittlerweile vierzig Ermittler. Ein Mangel an aussagewilligen Zeugen erschwert auch die Ermittlungen im Umfeld des Londoner „Elm Guest House“, eines weiteren mutmaßlichen Treffpunkts pädophiler Prominenter. „Ich habe keinen Zeugen, der willens oder in der Lage ist, Informationen über die Prominenten im Elm Guest House bereitzustellen“, sagte der Ermittler Steve Rodhouse in dieser Woche. Dies ist ganz anders als bei den um sich greifenden Missbrauchsermittlungen, die keinen politischen Hintergrund haben. Im Falle des inzwischen gestorbenen Fernsehunterhalters Jimmy Savile etwa hatten sich Hunderte Zeugen gemeldet.
Die Annahme, dass die Täter von staatlichen Institutionen gedeckt wurden und womöglich noch immer geschützt werden, ist nicht abwegig. Im vergangenen Juli musste das Innenministerium eingestehen, dass mehr als hundert Akten, die entsprechende Hinweise enthalten hatten, verschwunden sind – „vermutlich vernichtet, verloren oder unauffindbar“. Vermisst wird unter anderem das Dossier, das der konservative Abgeordnete Geoffrey Dickens in mehrjähriger Kleinarbeit recherchiert und 1983 dem damaligen Innenminister, seinem Parteifreund Leon Brittan, persönlich ausgehändigt hatte. Es enthielt Aussagen von Opfern und die Namen der Täter. Dickens hatte erwartet, dass der Übergabe ein „politischer Sturm“ folgen würde. Das berichtete jedenfalls sein Sohn Barry. Aber nichts geschah, weder 1983 noch in den Jahren danach. 1995 starb Geoffrey Dickens. Brittan, der noch lebt, will den Vorgang damals an seine Mitarbeiter weitergereicht haben.
Einige Personen, die in Dickens’ Bericht genannt worden sein sollen, wurden Jahrzehnte später überführt. Zu diesen zählte der liberaldemokratische Abgeordnete Cyril Smith. Im Herbst 2012, zwei Jahre nach seinem Tod, hatte die Staatsanwaltschaft – angestoßen durch ein Enthüllungsbuch des Labour-Abgeordneten Simon Danczuk – Ermittlungen aufgenommen. Man hätte Smith schon nach den ersten Hinweisen vor 40 Jahren anklagen müssen, gab die Behörde damals zu. Inzwischen sind die Erinnerungsplaketten in Smith’ Wahlkreis abmontiert worden.
Smith war einer der bekanntesten Politiker der siebziger Jahre; andere Pädophile bewegten sich noch näher am Machtzentrum. Sie alle sollen Ende der siebziger Jahre bis 1982 im „Elm Guest House“ verkehrt haben, wo offenbar kleine Jungs aus einem benachbarten Heim missbraucht wurden (und zwei von ihnen verschwunden sind). Erste Untersuchungen, die Anfang der achtziger Jahre stattfanden, endeten nur mit der Festnahme der Betreiberin. Keiner der prominenten Gäste musste damals offenbar ein Verhör über sich ergehen lassen. Die Betreiberin wurde wenig später tot aufgefunden.
Dickens wurde nach eigenen Angaben mit dem Tode bedroht, nachdem er im Unterhaus gefragt hatte, warum nicht gegen den früheren Geheimdienstchef Hayman ermittelt werde. Von Drohungen spricht, dreißig Jahre später, auch der Abgeordnete Danzcuk. Ein amtierender Tory-Minister habe ihn „unter Druck“ gesetzt, den Namen Brittan nicht fallenzulassen, als er im Sommer vor einem Parlamentsausschuss aussagte. Nicht einmal enge Weggefährten Margaret Thatchers wollen ausschließen, dass eine Verschleierung stattgefunden hat. Auf die Frage, ob man es womöglich mit einer staatlichen Vertuschungsaktion zu tun habe, sagte der frühere Minister Norman Tebbit vor einigen Monaten: „Das kann gut sein“ – und erklärte dies mit einer anderen Zeit: „Damals dachten die meisten Leute, dass das Establishment, das System, geschützt werden müsse und dass es, wenn mal ein paar Sachen schieflaufen, wichtiger ist, das System zu schützen, als zu tief in die Sachen einzusteigen.“
Bislang wartet die Öffentlichkeit vergeblich auf die öffentliche Untersuchung, die Innenministerin Theresa May versprochen hat. Was bisher bekannt sei, sei nur die „Spitze des Eisbergs“, sagte sie damals. May hat Mühe, einen Vorsitzenden zu finden. Schon zweimal sah sie sich gezwungen, Kandidaten wieder aus dem Rennen zu nehmen. Den beiden Nominierten – einer Anwältin und einer Richterin – wurde zu viel Nähe zum Establishment und damit ein Interessenkonflikt vorgeworfen.
Quelle: F.A.Z., Samstag den 20.12.2014 (Papierausgabe)
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