Da ja Herr Willmroth von der SZ der einzige war, der mir geantwortet hatte, hab ich mich heut mal kurzentschlossen hingesetzt und noch mal zurückgeschrieben...und warte mit Spannung auf seine Erwiederung.
Sehr geehrter Herr Willmroth,
vielen Dank für Ihre Anwort, sie erhalten derzeit sicherlich sehr viele Zuschriften (was wohl auch der Grund ist, dass doch einige Passagen Copy&Paste sind...ich verspreche, ab jetzt so wenig polemisch wie möglich zu sein), das Angebot per Telefon zu kommunizieren ist auch lobenswert, allerdings bleibe ich lieber beim geschriebenen Wort, denn ich denke tatsächlich gerne über das nach, was ich in so einem Fall sagen will und zudem gibt es ein wenig Sicherheit, darüber, was tatsächlich ausgesagt wurde (das dürfte Ihnen als Schrift-Journalist ja entgegenkommen).
Soviel als Einleitung...noch kurz zu dem letzten Absatz Ihrer Anwort "Dies noch...": Ich finde die Berichterstattung zu Wirecard in der SZ (insbesondere die letzten Artikel) keineswegs peinlich, weil sie nicht meinen Vorstellungen entsprechen (und dies ist tatsächlich eine Unterstellung Ihrerseits), sondern ich finde sie deshalb peinlich (und das ist ein nettes Wort), weil sie durchweg tendenziös, unsachlich, einseitig und manipulativ sind (warum ich das so empfinde habe ich teilweise schon in meiner ersten Mail dargelegt, werde es hier aber nochmals versuchen). Ich finde es außerdem peinlich, weil so gut wie nie von konkreten Sachverhalten berichtet wird, sondern in den meisten Fällen Sätze die Worte "angeblich", "sollen" und möglichst viele Konjunktive enthalten. Ich nehme als Beispiel mal einen Absatz aus dem Artikel vom 5. Dezember:
Al Alam Solutions, 2011 gegründet, veröffentlicht keinen von Wirtschaftsprüfern testierten Jahresabschluss. Das Karriereportal Linkedin listet nur vier Mitarbeiter auf. Aktuelle Stellenausschreibungen beschränken sich auf Büroassistenzen, Hilfstätigkeiten im IT-Support und auf den Sicherheitsdienst. Auf der Webseite sind keine verantwortlichen Manager benannt. Und die über diese Firma angebundenen Kunden sollen bis vor wenigen Jahren Hunderte Millionen Euro Umsatz zum Geschäft von Wirecard beigesteuert haben?
Was gibt es dazu nicht alles zu sagen...Al Alam Solutions ist KEIN Unternehmen, das zu Wirecard gehört, es ist ein Partnerunternehmen, über das man Lizenzen für Geschäfte in bestimmten Regionen erhält (steht so bei Wirecard IR zu finden), die entsprechenden Tochterfirmen von Wirecard selbst (cardSystems MiddleEast z.B.) werden im Zuge des Jahresabschlusses JEDES JAHR geprüft (auch bei Wirecard IR zu finden), ein MEHR an Prüfung ist rechtlich einfach nicht vorgesehen, welcher Betrieb würde da mehr machen (wenn DIESE Aussage nicht stimmen würde, das wäre tatsächlich angreifbar...ist es aber offensichtlich nicht, denn keine Zeitung schreibt etwas dazu). An sich wäre man hier mit Al Alam schon durch, denn warum es Wirecard wichtig sein sollte (oder einem Anleger, oder einem Journalisten, etc.) wieviele Mitarbeiter Al Alam hat, welche Stellenausschreibungen es gibt, wie die Büros aussehen, erschließt sich nicht, WENN man sich die Mühe macht, und den Sinn der Geschäftsbeziehung zu verstehen (und nicht nur bei FT abschreibt, sorry...). Aber...Sie schreiben, dass Sie sich bemüht haben, Reaktionen von Wirecard zu bekommen...wenn das so ist, hat Wirecard vielleicht einfach keine Lust mehr, Zeitungen zu antworten, die diese Antworten nur in ihrem eigenen Sinne umdeuten (um nicht verfälschen zu schreiben), siehe SPIEGEL-Reportage "Tränen in der Oper" (das ist ein wirklich noch deutlich peinlicherer Artikel als die SZ-Texte, soviel sei Ihnen zugute gehalten). Jedenfalls gibt es auf der Wirecard IR - Seite eine Fülle von Stellungnahmen, die sich zu den jeweiligen Themen äußern. Diese Stellungnahmen werden bedauerlicherweise in der Berichterstattung meist ignoriert, was ich für investigativen Journalismus merkwürdig finde...denn dort stehen doch Tatsachenbehauptungen des Unternehmens...wenn da etwas falsch sein sollte, warum zeigt man nicht diese Fehler, widerlegt diese Behauptungen, Darstellungen? Weil man es nicht kann? Noch einmal kurz zu Al Alam...Wirecard hat ebenfalls dieses Dokument (https://ir.wirecard.com/websites/wc/German/3150/...ml?newsID=1870027) veröffentlicht, um zu dokumentieren, welche Bedeutung eine Firma wie Al Alam für Wirecard hat...dieses Dokument wurde im kritischen Finanz-Journalismus der letzten Tage KOMPLETT ignoriert (lieber wurde wieder von der FT zu irgendwelchen angeblichen Spionage-Geschichten kopiert). Al Alam trägt NICHTS zum Umsatz von Wirecard bei, deshalb sind (selbst wenn da etwas zu bemängeln wäre) die Abschlüsse, Testate, Rechnungslegungen etc. von Al Alam für Wirecard ohne Bedeutung. Und natürlich können die an ein solches Unternehmen angebundenen Kunden Umsätze in der genannten Höhe beisteuern. Ich weiß immer nicht, warum das nicht von Journalisten erläutert werden kann...Lizenzen funktionieren (zumindest grob) so ähnlich wie Patente, wenn man das hat und damit zufrieden ist, dass jemand einem Geld bezahlt, dass er das Nutzen darf, dann braucht man exakt gar keinen Mitarbeiter, um das Geschäft am Laufen zu halten, das muss doch bitte einem Wirtschaftsjournalisten klar sein. Sie können sich natürlich darauf zurückziehen, dass das in dem Artikel als Frage formuliert ist, aber warum fragt ein Investigativ-Journalist diesen durchaus wichtigen Punkt seine Leser? Sollte er eigentlich nicht eher Aussagen für die Leserschaft beitragen? Der obige Absatz gäbe auch einen Ansatz, wie man als (objektiver) Wirtschaftsjournalist mit den besagten Excel-Dateien umgehen könnte. Ich denke, wir sind uns einig, dass Excel-Files nicht von einem DAX-Konzern zur offiziellen Buchhaltung benutzt werden, das würde nämlich tatsächlich einigen rechtlichen Grundlagen widersprechen und da hätte wohl tatsächlich jeder Buchprüfer erhebliche Bedenken (gibt es aber von keinem der Prüfer...jedenfalls konnte ich noch nichts davon lesen). Dass dann in einem Excel-Dokument (zur internen Kommunikation, vermutlich auf Abteilungsebene) Umsätze die über die Lizenzen von Al Alam gemacht wurden, diesem Unternehmen zugeschrieben werden, ist bei einigermaßen neutraler Betrachtungsweise wohl eher nicht verwunderlich. Alle anderen Kritikpunkte an diesen Excelfiles ergeben sich in ähnlicher Weise (auch hier gibts es einige Statements von Wirecard). Jetzt stellt sich die Frage, was das Problem an diesen Excelfiles ist...und damit komme ich zum nächsten Kritikpunkt. Ich habe, Dank Ihres Anhangs noch einmal sehr viel zu den Vorwürfen (?) bezüglich Wirecard lesen können, bin aber etwas verwirrt...denn ich bin mir nicht mehr sicher, WAS man denn eigentlich tatsächlich Wirecard vorwirft. Es wird an keiner einzigen Stelle (bitte korrigieren Sie mich, falls ich etwas übersehen haben sollte) ein konkreter Vorwurf erhoben. Es dreht sich immer um die (geschickt als Frage, bzw. Denkaufgabe an den Leser weitergegebene) Überlegung, warum Wirecard so viel Umsatz, Marge, Gewinn, Wachstum etc. hat. Und der Leser solle doch mal nachdenken, ob das mit rechten Dingen zugehen könnte. DAS wäre aber die Aufgabe des Journalisten aus meiner Sicht, da gibt es offenbar aber nicht sehr viel. Bisher hat niemand den von E&Y problemlos testierten Jahresabschluss des Geschäftsjahres von 2018 in Zweifel gezogen, es geht immer um 2016 und 2017...nur mal so am Rande...wenn 2016 und 2017 tatsächlich nicht vorhandene Umsätze in der Bilanz vorgetäuscht worden wären...und der Abschluss 2018 korrekt ist...dann wäre Wirecard ja noch deutlich stärker gewachsen als ohnehin schon (wäre aber wohl kontraproduktiv...). Zudem...WENN (und ich schreibe hier ausdrücklich WENN) irgendwelche Verdachtsmomente gegen eine ordentliche Bilanzierung etc. bei Wirecard bestünden (und die Konjunktiv-Vorwürfe stehen jetzt doch schon eine ganze Zeitlang im Raum), warum liest man nichts über Besuche der Ermittlungsbehörden in der Konzernzentrale, Beschlagnahmung von Beweismaterial, Computer, etc. Es scheint ja nicht so zu sein, als ob deutsche Behörden da so zurückhaltend bei DAX-Konzernen wären...bei der Deutschen Bank waren die wohl jetzt schon so oft zu Durchsuchungen, dass sie wahrscheinlich einen eigenen Tisch in der Cafeteria haben. Aber da gibt es NICHTS....warum nur.
Was mir in einer (objektiven) Berichterstattung noch alles fehlt:
Es gibt doch offenbar Kunden von Wirecard (aus dem Gedächtnis mal die neuen...Aldi, Ikea, Orange, alle kann man unmöglich aufzählen)...keiner davon scheint offenbar ein Problem mit Wirecard zu haben...wirklich keiner. Wäre das bei einem Unternehmen, dass nur aus heißer Luft besteht (wie es die FT und damit leider auch teilweise die SZ glauben machen will) nicht komisch? Aber das wird wieder ausgeblendet, denn es passt ja kaum zu den formulierten Vorwürfen. Das darf man tun, aber dann darf man nicht enttäuscht sein, wenn die Berichterstattung nicht als objektiv angesehen wird. Es wird immer so getan, als wäre es seltsam, wenn ein Unternehmen wie Wirecard, das weltweit arbeitet, Umsatz-Ballungen in Bereichen (geographisch) hat, die möglicherweise eine günstigere Steuerlast zur Folge haben. Das mag moralisch fragwürdig sein, das wäre aber ein völlig anderes Thema. Allerdings weiß nicht, warum ein Journalist, der das unverständlich findet, nicht auch Amazon (nur als Beispiel) für eine Luftnummer hält...denn Luxemburg als Standort mit einem so hohen Umsatz ist doch mindestens genauso unglaubwürdig..."Lux-Leaks"...dürfte Ihnen bekannt sein. Es fehlt jeglicher Hinweise auf mögliche Interessen von anderen Seiten, denen ein fallender Aktienkurs bei Wirecard sehr recht sein dürfte (dass er möglicherweise von dieser Seite sogar hervorgerufen wurde ist natürlich eine Vermutung, aber das so viele Vermutungen in den Artikeln geäußert wurden, wäre sie ja nicht ganz alleine...). Das Aktien im Wert von Milliarden Euro leerverkauft sind (dass der Bundesanzeiger hier ein schlechter Witz ist, sollte einem Wirtschaftsjournalisten auch klar sein, aber an die entsprechenden Zahlen zu kommen, sollte für investigative Leute auch nicht unmöglich sein), dass gerade im Zusammenhang mit kritischen Berichten der FT diese Leerverkaufsquoten dramatisch gestiegen sind, all das ist keine Erwähnung wert...
Es gäbe hier noch viele zu schreiben...aber zum Schluss noch etwas zu der von Ihnen ungeliebten Bafin: Es ist durchaus nachvollziehbar, dass es einem Journalisten vielleicht nicht gefällt, wenn eine Behörde seine Arbeit in Frage stellt (bzw. auf mögliche juristische Fehltritte untersucht). Oder dass er es schon schlecht findet, wenn das bei anderen Journalisten passiert (das ist allerdings schon bedenklicher, denn es gibt ja durchaus Beispiele, in denen Journalisten gesetzeswidrig gehandelt haben). Nicht dass wir uns falsch verstehen, ich finde die Pressefreiheit ein hohes Gut unserer Demokratie und absolut unverzichtbar. Aber Pressefreiheit bedeutet nun mal nicht sakrosankt gegenüber der Rechtsprechung zu sein. Der Artikel "Aschheim gegen London" erweckt leider schon den Eindruck, dass Sie (und Ihre Mitautoren) zumindest teilweise diesen Eindruck haben. Die Bafin ist eine BUNDESBEHÖRDE, die den AUFTRAG hat, bestimmte Vorgänge zur prüfen (z. B. beim Aktienhandel den Verdacht auf Marktmanipulation). Sie sprechen dieser Behörde in dem genannten Artikel dieses Recht vehement ab...DAS finde ich bedenklich. Natürlich ist es Ihr Recht, die Strafanzeige der Bafin (sofern sie Ihnen vorliegt, wobei aus Sicht der Öffentlichkeit, deren Teil ich bin zumindest fragwürdig ist, weshalb dann die Anzeige nicht in voller Form veröffentlich wird) zu kommentieren. Jedoch sollten Sie, der Sie ja in Ihrer Anwort auf meine letzte Mail eine höhere Wertschätzung Ihrer Arbeit eingefordert haben, diesen Maßstab auch bei sich selbst anlegen. Stellenweise ist auch zu konstatieren, dass Sie die rechtsstaatlichen Abläufe nicht verstehen...oder nicht verstehen wollen (oder zumindest für den Leser aussparen). Sie sprechen hier davon, dass die Anzeige der Bafin nur Vermutungen enthält...ja...das ist völlig normal so, denn die Bafin zeigt bei VERDACHT auf Marktmanipulationen diesen Vorgang bei der zuständigen Staatsanwaltschaft an, diese ermittelt dann (bei ausreichendem Verdacht) und sucht Beweise. Findet die Staatsanwaltschaft genügend Beweise, dann erhebt sie Anklage bei einem Gericht und dieses entscheidet dann aufgrund der vorgelegten Beweise, ob Gesetze gebrochen wurden oder nicht. Wenn allerdings schon gefordert wird, dass auf Journalisten ja nicht mal ein Verdacht aufgrund der Pressefreiheit fallen dürfe, dann entspricht das weder dem Grundgedanken der Pressefreiheit noch den Prinzipien eines Rechtsstaats. Gerade im Fall von Wirecard sollte man das als Journalist aus der Ferne (denn es ging ja um Journalisten der FT) sehr zurückhaltend sein, denn zumindest GAB es ja in der Vergangenheit Fälle, in denen sogar die Staatsanwaltschaft die Beweislast für Marktmanipulationen als ausreichend empfand (Fraser Perring...sollte Ihnen auch ein Begriff sein). Leider findet sich in einem Artikel zu Anfang des Jahres 2019 "Die große Leere" ein Absatz, der ein wenig zeigt, wie hier das rechtliche Empfinden ist:
Auch das Delikt des Insiderhandels taucht häufig in Zusammenhang mit Leerverkäufen auf. Wenn also jemand, der exklusive negative Informationen hat, vorher auf den Kursverfall einer Aktie wettet oder andere informiert. Doch dies muss nicht automatisch strafbar sein. Im Einzelnen ist es oft kompliziert, Manipulation und/oder Insiderhandel nachzuweisen.
Dies impliziert leider den Gedanken, dass es nicht als strafbar empfunden wird, wenn es nicht nachgewiesen werden kann...was wieder mal meinem Rechtsempfinden tatsächlich nicht entspricht.
All die genannten Punkte würden aus meiner Sicht einer objektiven, investigativen Berichterstattung sehr gut zu Gesicht stehen. Und all das kann ich, der ich kein Journalist bin, ohne größere Probleme in meiner Freizeit mit Hilfe des Internets zusammentragen. Genau deshalb ärgern mich die genannten Artikel und genau deshalb habe ich Ihnen geschrieben.
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