Mit "Disziplin" gibst du meiner Aussage in # 206 (2. Absatz) einen mMn unpassenden AfD-Spin.
Disziplin gab es auch im rheinischen Kapitalismus nur als Sekundärtugend. Um die Arbeiter und Angestellten bei Laune zu halten, erhielten sie in D. bereits ab den 1920er Jahren gemütliche Kantinen mit Blumen und passablem Essen, Erholungsheime, Werkswohnungen etc. Ziel war, dass sich die Angestellten stärker mit den Unternehmen identifizierten. (Info: Noch Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als in den Fabriken offener Klassenkampf herrschte, betrieben viele unzufriedene Arbeiter Werkssabotage - legten also z. B. absichtlich Förderbänder still. Dies wirkte ebenfalls profitmindernd.)
Man kann daher sagen, dass der teilweise Verzicht auf Profite, der für den rheinischen Kapitalisten aus diesen Wohltaten erwuchs, eine Form kalkulierender Disziplin erforderte. Kalkulierend war sie insofern, als von den Arbeitern und Angestellten im Gegenzug bedingungslose Vasallentreue zum Rheinischen Kapitalisten-"Wohltäter" erkauft wurde. Das kann man auch aus vielen Postings von Blackrock-ETF herauslesen, in denen er diese anmahnt und sinngemäß sagt: Wer nicht alles gibt oder mobbt, wird gefeuert. Was im Grunde heißt: Wohltaten hin oder her, der Chef bin ICH. Richtig reich wurden natürlich auch damals nur die Kapitalbesitzer. Immerhin konnten sich viele Arbeitnehmer damals noch, auch dank staatlicher Förderung, zumindest ein eigenes Haus leisten.
Heute wird diese Maske der Wohltaten immer stärker fallen gelassen. International tätige Großkonzerne können sich dies leisten, weil das tradierte Feindbild "Fabrikbesitzer" zunehmend im globalen Netzwerk vorgeblicher Unzuständigkeiten verschwimmt. Die Globalisierung brachte auch eine "Virtualisierung" der Geschäftsbetriebe. Konzerne wie Amazon, Google, Facebook und Apple - nicht ohne Grund zugleich Börsenlieblinge - können nach Belieben Länder gegeneinander ausspielen, um für sich die günstigsten Bedingungen (Steuern und staatliche Förderung) herauszuschinden.
Die Politik hat sich in den letzten Jahrzehnten - auch in D. - immer stärker auf die Seite des Kapitals geschlagen, das ist auch der wahre Grund für das aktuelle SPD-Debakel (bundesweit nur noch 15 %). Wer Unternehmensparteien wählen will, kann dann ja auch gleich FDP, CDUCSU oder Grüne wählen. Dies erklärt auch, wie reibungslos sich die ehemals gegnerischen Parteien zur Großen Koalition zusammengefunden haben. Es gibt kaum noch Gegensätze in der universellen Kapital- und Transatlantik-Freundlichkeit, die für die Politiker mit sicheren Posten und dem Füllen eigener Taschen belohnt wird. In Brüssel wird das Ganze auf die Spitze getrieben.
Die AfD hingegen verspricht demagogisch - unter dem Tenor: "früher war Alles besser" - zu den Werten und Produktionsbedingungen der 1950er zurückzukehren. Auch Trump sucht sein Heil in alten Strukturen, Schutzzöllen und Industriezweigen aus der vorletzten und letzten Jahrhundert (Kohle, Stahl).
Die Globalisierung ist jedoch unumkehrbar. Diese Zahnpasta bekommen weder Trump noch Erdogan noch die AfD jemals wieder in die Tube zurück.
Die Politik ist daher gefragt, Antworten auf die aktuellen und im globalen Betrieb immer stärkeren Verteilungsungerechtigkeiten zu finden. Rückbesinnung auf Patriotismus und neoliberaler Schulterschluss mit dem Kapital ist für die (Protest-)Wähler auf Dauer KEINE vernünftige Antwort.
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