Ist der Kapitalismus ein unhaltbares Schneeballsystem oder nicht?
VORBEMERKUNG:
Der Kapitalismus basiert auf vorgezogenem Konsum via Kredit. Inzwischen hat aber fast jeder fast alles, und der Konsum lässt sich nur noch mühsam mit Innovations-Mätzchen (alle 6 Monate ein neues iPhone für 999 Dollar) am Laufen halten. Ist der Markt - wie aktuell - weitgehend gesättigt, kann auch nur noch wenig Konsum auf Kredit vorweggenommen werden. Es ist somit letztlich der Verbraucher, die weniger Kredite nachfragt. Die Geschäftsbanken wären im Zuge der Geldschöpfung durchaus in der Lage, noch weit mehr Kredit/Konsum zu finanzieren. Aber die Banken können es nicht, weil Kredite ja nicht nachgefragt werden (eine Art private Bilanzrezession).
Infolge dieser Konsum-Stagnation wächst die Weltwirtschaft kaum noch. Das einzige, was noch indirekt Konsumsteigerung bringt, ist das Bevölkerungswachstum, weshalb es auch nicht ernsthaft von der Politik begrenzt wird (nützt dem Kapital, scheiß auf den erstickenden Globus).
Die Konsumstagnation schmälert allerdings auch die Gewinne. Da die Geschäftsführungen/Aktionäre gern an alten, "liebgewonnenen" Margen und Renditen festhalten, werden diese statt durch mehr Umsatz nunmehr durch immer schlankere Produktion (Entlassungen zur Effizienz- und Profitsteigerung, Arbeithetze bei den noch Beschäftigten) erwirtschaftet. Diese Entwicklung wirkt deflationär, und die arbeitende Bevölkerung verliert durch den Reallohnabbau zusätzlich an Kaufkraft.
Um die Lücken zu schließen, sind ab 2009 die Notenbanken als "Ersatznachfrager" - und mMn als "letzte Retter" des Kapitalismus - in die Bresche gesprungen. Einst als Notmaßnahme verkauft, ist QE (Staatsanleihenaufkäufe durch Notenbanken) inzwischen zum Dauerzustand geworden. Die Notenbanken kaufen seit 2009 Staatsanleihen zu überhöhten Kursen auf, die kein wirtschaftlich denkender Investor noch zahlen würde, und ermöglichen den Staaten und Problemstaaten auf diese Weise, weiterhin frische Staatsanleihen zu relativ niedrigem Zins auf den Markt zu werfen. Die Minister füttern mit den Anleihen-Neuemissionen sozusagen das Front-End des Kanals, während die Notenbanken am hinteren Ende den "Schrott" aufkaufen und damit sicherstellen, dass das Frontend nicht "austrocknet". Natürlich ist auch das ein haltloses Schneeballsystem - auf der nächsthöheren Stufe.
-----------------------------
HAUPTTEIL:
Nach dieser Vorbemerkung dürfte klar sein, dass zumindest ich den Kapitalismus für ein unhaltbares Schneeballsystem halte.
Es ist daher m. E. widersprüchlich, wenn ich hier so oft - und mit konservativen Argumenten - eine hohe Disziplin bei der Neuverschuldung einfordere. Denn ein Schneeballsystem ist und bleibt der Kapitalismus ohnehin. Daran ändern auch Sparmaßnahmen nichts. Kurzfristig dürfte eine Turbo-Neuverschuldung (z. B. via MMT) sogar positive Wirkung haben: Die unmittelbare Folge wäre in jedem Fall eine Scheinblüte. Die Väter der MMT könnten sich dann wechselseitig auf die Schultern klopfen und sich rühmen, wie toll ihr Konzept funktioniert habe. Das geht natürlich auch mit jeder anderen Form massiver Neuverschuldung, wie sie 2009 ff. auch von Obama und der Fed praktiziert wurde.
Warum also sollte man sich diese MMT-Scheinblüte "nicht noch gönnen", wenn früher oder später ohnehin alles an Überschuldung zusammenbricht? Freilich sollte die MMT-ler dann auch ehrlich sein und nicht versuchen, das Ganze als solides Konzept zu verkaufen.
Vielleicht bin ich ein Träumer, der glaubt, durch fiskale Disziplin "trotzdem noch irgendwie" Stabilität in das marode Schneeballsystem des Kapitalismus bringen zu können. MMT wäre unter diesem Aspekt eine akute Gefahr, weil sie den Niedergang (nach zwischenzeitlicher Scheinblüte) am Ende scharf beschleunigte.
Wäre ich Marxist, würde ich die MMT uneingeschränkt gutheißen, weil aus dem resultierenden allfälligen Zusammenbruch des Kapitalismus vielleicht eine neue, gerechtere Wirtschaftsordnung entstünde. Unter dem Aspekt wäre es sogar vorteilhaft, wenn das Ende des Kapitalismus durch MMT beschleunigt würde. Aber ich würde mir verlogen vorkommen, weil die MMT-ler ja system-immanent argumentieren. MMT-ler tun so, als gäbe es gar kein Schneeballsystem. Dabei ist das ihrige - bis zum Zusammenbruch - ja sogar ein noch viel größeres.
|