Alexander Falk ist wegen Verdachts auf schweren Betrug verhaftet worden. Die Aktionäre seiner Distefora haben zuvor Hunderte von Millionen Franken verloren Mit Hilfe fiktiver Geschäfte soll Alexander Falk die Schweizer Distefora-Gruppe aufgebläht haben. Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat nun Falk und vier weitere Beschuldigte festgenommen. Dominik Flammer
Als sich Alexander Falk am 19. 9. 2000 mit seinen Getreuen am Steinhöft 9 in Hamburg traf, geschah das nur in einer Absicht: Es galt, mit allen Mitteln zu verhindern, in den Abwärtsstrudel der New Economy zu geraten. Da die dafür notwendigen Umsätze ausblieben, beschlossen Falk und sechs seiner Vertrauten, einen Plan auszuarbeiten, wie der Aktienkurs der von ihnen über die Schweizer Distefora kontrollierten Internetfirma Ision mit Scheingeschäften nach oben getrieben werden könnte. Das zeigen Dokumente, die der «NZZ am Sonntag» vorliegen.
Die grösste Betrugsgeschichte der Schweizer New Economy nahm ihren Anfang, als Falk 1997 den leeren Aktienmantel der aufgelösten Berner Interdiscount-Holding kaufte. Unter dem neuen Namen Distefora Holding versuchte Falk, mit der Übernahme zahlloser kleiner Firmen ein Konglomerat aufzubauen, welches zum «führenden Anbieter» auf mehreren Gebieten der New Economy werden sollte. Dank der Internet-Euphorie und mit Hilfe undurchsichtiger Transaktionen pumpte er Distefora auf einen Börsenwert von 3,6 Milliarden Fr. auf und avancierte damit zum Liebling der Schweizer Börse. Banken und Finanzanalysten rannten dem Verkaufstalent hinterher; die Bank Julius Bär etwa kontrollierte über einen Anlagefonds damals über 5% des Distefora-Kapitals.
Nur wenige warnten davor, dass Falks Firmenkonstrukt undurchsichtig war. Tausende von Kleinanlegern investierten - und hofften auf den grossen Gewinn. Heute ist Distefora noch einige Millionen Fr. wert, der Handel mit Aktien wurde vor zwei Monaten eingestellt. Die Aktionäre haben praktisch ihren gesamten Einsatz verloren.
Geld in Falks Kasse Nicht so Falk. Die neusten Fakten zeigen, dass er alles unternahm, um selber nicht zu Schaden zu kommen. Zusammen mit seinem Anwalt Christian von Lenthe sowie seinen Freunden Hubertus Wiens, Maarten Reidel, Ralf Simmen, Dirk Willers und Diedrich Aufenacker hatte er an der ominösen Sitzung am Hamburger Steinhöft beschlossen, die Geschäftsunterlagen der Ision AG durch Scheingeschäfte zu manipulieren und so die Bewertung der Aktie zu beeinflussen. Dadurch sollten potenzielle Investoren beeindruckt werden. Nur so würde es gelingen, den von der Distefora gehaltenen Mehrheitsanteil der Ision zu einem hohen Preis zu verkaufen.
Der Plan gelang. Im Januar 2001 übernahm der britische Energiekonzern Energis die Ision zum überrissenen Preis von 812 Millionen Euro. Für Falk zahlte es sich aus: Ein Grossteil des Gewinns floss als Sonderdividende von 233 Millionen Fr. in seine Kasse.
Die Tatbeteiligten nutzten für die Abwicklung der fiktiven Aufträge und der undurchschaubaren Geldtransaktionen befreundete und eigene Firmen. Die Mittel sollten nach Vorschlag Falks von der Muttergesellschaft Distefora zur Verfügung gestellt werden, wie dem Rechtshilfegesuch des Hamburger Staatsanwalts zu entnehmen ist.
Zwei der sieben Beschuldigten hatten den Geldfluss erarbeitet und dafür gesorgt, die fingierten Leistungen erklärbar zu machen. Zwei weitere Involvierte kümmerten sich darum, die fiktiven Geschäftsvorgänge rückwirkend in die Buchhaltung der Ision einzuarbeiten. Das geschah, wie Dokumente des Amtsgerichtes Hamburg zeigen, indem Belege teilweise nachträglich von Hand ausgestellt wurden.
Bis jetzt konnte die Hamburger Staatsanwaltschaft den Beschuldigten fingierte Umsätze von umgerechnet 14 Millionen Fr. nachweisen; das entspricht einem Sechstel von Isions angeblichem Umsatz im Jahr 2000. Recherchen der «NZZ am Sonntag» zeigen gar, dass allein im zweiten Quartal 2000 rund 20 Millionen Fr. von Distefora an die Ision-Tochterfirma Bluetrix flossen. Mit diesem Geld wurden rückdatierte Aufträge an verschiedene andere Tochterunternehmen erteilt, die wiederum mit lautem Getöse über Ad-hoc-Mitteilungen den Ision- Aktionären kommuniziert wurden. Da zu diesem Zeitpunkt der Absturz vieler New-Economy-Firmen bereits begonnen hatte, wirkten selbst geringe Umsatzsteigerungen an der Börse wie Katapulte. Falk und seinem Team gelang es so, den Aktienkurs der Ision entgegen dem Markttrend zu stabilisieren.
Schlampige Aufsicht Ähnliche Scheingeschäfte, wenn auch mit tieferen Beträgen, wurden auch im zweiten und vierten Quartal verbucht. Den nicht involvierten Aufsichtsräten wurden angeblich die Geschäfte als normale konzerninterne Umsätze präsentiert. Alle Geschäfte seien rechtens gewesen, behauptete der Schweizer Ex-Von-Roll-Finanzchef Georg Hahnloser, der bis zum Verkauf der Ision in deren Aufsichtsrat sass, noch im März 2003 im «Tages-Anzeiger».
Auf die jüngste Entwicklung angesprochen, gibt sich Hahnloser heute überrascht: «Wir mussten uns auf die Geschäftsleitung und die Buchprüfer verlassen, die nie etwas beanstandet hatten. Zudem war Falk für mich ein höchst integrer Geschäftsmann.»
Hahnloser will auch nichts davon gemerkt haben, als die Ision kurz vor der Übernahme durch Energis mit einem fiktiven Auftrag in der Höhe von 4 Millionen Fr. prahlte. Die von Ision gelieferte Computer-Hardware wurde kurz darauf wieder an eine Ision-Tochter zurücktransferiert. Ein simpler Trick, um den Umsatz aufzublähen.
Der Schaden, der aus diesen Manipulationen entstanden ist, lässt sich heute noch nicht genau beziffern. Während Rüdiger Bagger, Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, allein für die Energis-Aktionäre von einem möglichen Schaden von umgerechnet 380 bis 780 Millionen Fr. ausgeht, dürfte der Gesamtschaden weit über einer Milliarde Fr. liegen. Denn noch ist nicht feststellbar, wie weit die Kleinaktionäre von Ision und Distefora geschädigt wurden. Der in Zürich zuständige Bezirksanwalt Dave Zollinger spricht bezüglich der Deliktsumme vom «grössten Fall der letzten Jahre».
Auf die Spur gekommen waren die Hamburger Ermittler den Beschuldigten dank dem Zürcher Anwalt Johann- Christoph Rudin, der am 19. März 2003 die vorläufige Dekotierung der Distefora-Aktien an der Börse erwirkt hatte. Rudin ist als Vertreter der Kleinaktionäre heute der einzige Verwaltungsrat der Distefora. Die deutsche Wertpapieraufsicht verlangte von Rudins deutschem Partner die Belege, auf die die Handelseinstellung zurückzuführen war. Am 17. April leitete die Hamburger Staatsanwaltschaft dann die Untersuchungen ein.
Am Dienstag, dem 3. Juni, durchsuchten in Deutschland und in der Schweiz rund 200 Beamte die Geschäftsräume der Beschuldigten: die Frankfurter Bank Hornblower Fischer, die vor wenigen Monaten von Falk übernommen wurde, die Hamburger Anwaltskanzlei CMS, Hasche, Sigle, Eschenlohr, Peltzer sowie die Archive der Distefora in der Schweiz. Bezirksanwalt Dave Zollinger, der die Hausdurchsuchungen auf Zürcher Seite leitete, bestätigte, «dass sämtliche von den deutschen Behörden verlangten Unterlagen gesichert werden konnten». Falk und seine Mitstreiter müssen sich nun wegen schweren Betruges sowie Vergehen gegen das deutsche Börsengesetz verantworten. Ihnen drohen laut deutschem Gesetz Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren.
Rascher Aufstieg, tiefer Fall Alexander Falk wurde 1969 geboren als Sohn des Verlegers Gerhard Falk, der mit faltbaren Stadtplänen ein Vermögen machte. Falk junior verkaufte den Verlag 1995 für 50 Millionen DM an Bertelsmann. 1997 erwarb er 35% an der Schweizer Distefora, die er durch die Übernahme von verschiedenen Internetfirmen zu einem führenden Anbieter in Europa umzubauen versprach. Daraus wurde nichts. Falk verkaufte das wichtigste Aktivum der Distefora, die deutsche Ision, im Januar 2001 mit riesigem Gewinn nach England und zog sich ein Jahr darauf ganz aus der Distefora zurück. Anfang 2002 machte Falk auf sich aufmerksam, als er die Mehrheit am Frankfurter Wertpapierhaus Hornblower Fischer übernahm und sich in zahlreiche Rechtshändel verstrickte. In München etwa standen die Angestellten ohne Ankündigung plötzlich vor verschlossenen Türen; es wurde ihnen verboten, mit ihren Kunden nochmals Kontakt aufzunehmen. Zu Falks Verbündeten gehörte bis anhin auch der ehemalige deutsche Wirtschaftsminister Günter Rexrodt. (fla.)
Nach Falk kamen die Krähen Bis heute ist unklar, ob Alexander Falk bei der Distefora nicht doch noch seine Hände im Spiel hat, obwohl er 2002 ausgeschieden ist. Damals übergab er seine Aktien an den Geschäftsführer Patrick Hofmann. Der Kaufpreis wurde bis Ende 2006 gestundet. Insider gehen davon aus, dass Hofmann das wertlose Aktienpaket gratis erhalten hat. Falk habe gehofft, dass ihm Hofmann keine Schwierigkeiten bereiten würde. Doch Hofmann liess sich von dubiosen deutschen Managern der bankrotten Internetfirma Adori über den Tisch ziehen. Diese konnten Hofmann im Frühjahr 2002 überreden, den Verwaltungsrat mit ihnen zu besetzen.
Die Adori-Crew zielte darauf ab, aus den verbliebenen Aktiven der Distefora noch den letzten Tropfen herauszupressen. Sie setzte Hofmann als Geschäftsführer ab, doch dieser leistete Widerstand. Hofmann erwirkte über den gerichtlichen Weg für den 19. Dezember 2002 eine ausserordentliche Generalversammlung. Er konnte glaubhaft machen, dass die Adori-Leute, von denen einer wegen Betrugs schon Jahre hinter Gittern verbracht hatte, in ihrer kurzen Amtszeit weitere Mittel der Distefora in der Höhe von 23 Mio. Fr. hatten abfliessen lassen. Dies fiel auf, weil das Geld in einen betriebsfremden Bereich floss. An der GV kippte dann die Stimmung unter den Aktionären. Die Adori-Leute mussten zurücktreten, und Hofmann verzichtete auf ein Verwaltungsratsmandat. Die Aktionäre ernannten den Vertreter der Schutzgemeinschaft der Investoren Schweiz, Johann-Christoph Rudin, zum einzigen Verwaltungsrat. Damit begann das Tauziehen um die Dokumente, die Falk offensichtlich verschwinden lassen wollte. (fla.)
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