Die großzügige Förderung der Solarbranche schadet den Verbrauchern - und der Umwelt
Viele Milliarden für wenig Strom
Erschienen in DIE ZEIT Seite 19 Erscheinungsdatum 13.08.2009
Ausländer machen sich gern über uns lustig: So wenig gutes Wetter - und so viele Solaranlagen. Obwohl Deutschland nicht zu den sonnigen Ländern auf dem Planeten zählt, stehen tatsächlich nirgendwo mehr Solarstromanlagen. Der Boom ist allerdings künstlich. Und er kostet die Stromverbraucher ein Vermögen.
Die Summe lässt sich ziemlich genau beziffern: Allein die im Jahr 2009 zu erwartende Installation neuer Solarmodule wird die Verbraucher in den nächsten 20 Jahren gut zehn Milliarden Euro kosten. Dafür kommen pro Jahr zusätzlich rund 1,8 Milliarden Kilowattstunden Sonnenstrom aus den Steckdosen, das entspricht etwa 0,3 Prozent des gesamten gegenwärtigen Stromverbrauchs. Es ist fast nichts.
Doch zehn Milliarden Euro kosten nur die neuen Anlagen. Was bis 2008 errichtet wurde, verursacht über die Jahre sogar Mehrkosten von 30 Milliarden Euro. So hat es jedenfalls das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen ausgerechnet.
Und die Kostenlawine wächst. Wenn sich die Prognose des Verbandes der europäischen Photovoltaikindustrie bewahrheitet, werden bis 2013 in Deutschland so viele Anlagen installiert sein, dass die Kosten auf gut 77 Milliarden Euro wachsen - und zwar inflationsbereinigt.
Die Einspeisevergütung hält den Preis für Solarstrom künstlich hoch
77 Milliarden Euro! Es ist nicht die Solartechnik selbst, die diese immense Last erzeugt; es sind die deutschen Förderparagrafen, aufgeschrieben im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Danach erhalten die Erzeuger von Solarstrom für jede ins Netz eingespeiste Kilowattstunde einen bestimmten Geldbetrag, der sämtlichen Stromverbrauchern in Rechnung gestellt wird. Der Betrag, Einspeisevergütung genannt, richtet sich nach der Größe der Solaranlage und nach dem Jahr ihrer Installation. Zum Beispiel beträgt er 43,01 Cent für Strom aus kleinen Dachanlagen, die in diesem Jahr installiert werden. Das Geld erhält der Betreiber der Solaranlage für jede Kilowattstunde, und zwar 20 Jahre lang, in dem Fall also bis zum Jahr 2029.
Nach demselben Prinzip garantiert das geltende Recht Einspeisevergütungen für Strom aus Solaranlagen, die nächstes oder übernächstes Jahr gebaut werden - wieder auf 20 Jahre. Pro Kilowattstunde sind diese Garantien zwar etwas niedriger als die für die älteren Anlagen. Trotzdem nehmen die Kosten für die Bürger Jahr um Jahr zu: Sie müssen noch auf Jahre hinaus für den teuren Solarstrom aus den Altanlagen zahlen und obendrein für den zwar etwas weniger teuren, dafür aber reichlicher fließenden Strom aus den Neuanlagen.
Wohlgemerkt, die Zusatzkosten, die das RWI berechnet hat, sind wirklich nur die Zusatzkosten für die Verbraucher: Sie entsprechen dem Garantiepreis für den Solarstrom abzüglich der Kosten für konventionellen Strom, denn die müssten die Stromverbraucher ja auf jeden Fall bezahlen. Die Forscher haben sogar unterstellt, dass es im Laufe der Jahre deutlich teurer werden wird, herkömmlichen Strom zu besorgen; nicht zuletzt deswegen, weil sich zunehmend die Kosten der Umweltbelastung im Strompreis widerspiegeln. Ihre Rechnung ist also konservativ. Sollte der Börsenpreis für klassischen Strom weniger stark steigen als unterstellt, würde die Förderung des Solarstroms nochmals teurer.
Wie teuer er schon heute ist, offenbart auch ein Vergleich mit den Förderkosten für Strom aus Wind, Wasser und Biomasse. Laut Statistik wurden im Jahr 2008 sechs Prozent des grünen Stroms mit Solarzellen erzeugt. Für diese sechs Prozent wurden allerdings 25 Prozent aller Einspeisevergütungen in Höhe von knapp neun Milliarden Euro fällig.
Gerade hat ein Konsortium europäischer Großunternehmen das Projekt Desertec publik gemacht. Danach soll in einem gigantischen Unterfangen Strom aus der Sonne über der Sahara gewonnen und teilweise nach Europa geleitet werden. Das Vorhaben ist von manchem Solarfreund heftig kritisiert worden, auch mit dem Argument, die Kosten seien absurd hoch. Tatsächlich sind aber im Vergleich zu Desertec die hiesigen Solarpanels teuer: Mit deren Hilfe werden in Deutschland zurzeit insgesamt rund 4,5 Milliarden Kilowattstunden erzeugt, weniger als ein Prozent des Stroms - und dafür sind seit Mitte der neunziger Jahre 23 Milliarden Euro investiert worden. Dieser Summe stünden Investitionen von 60 Milliarden Euro gegenüber, die laut Desertec-Plan der Versorgung Deutschlands mit Wüstenstrom zuzurechnen wären. Bloß - da geht es um rund 100 Milliarden Kilowattstunden. Die Kosten für Desertec könnten sich vervielfachen, der Aufwand für den Wüstenstrom bliebe immer noch deutlich hinter dem Aufwand für die Förderung der Photovoltaik in Deutschland zurück.
Zu einem öffentliches Ärgernis wird das Ganze, weil der Strom von deutschen Dächern längst viel billiger sein könnte - wenn der Markt nicht durch die überzogenen Einspeisevergütungen verzerrt wäre. Anfang des Jahres ließ der hiesige Branchenverband wissen, dass sich die Anschaffung einer schlüsselfertigen Solaranlage bei einem Preis von 4000 Euro pro Kilowatt und der üblichen Einspeisevergütung von 43,01 Cent pro Kilowattstunde rentiere. Kostete die Anlage also, zunächst theoretisch, statt 4000 nur 2000 Euro pro Kilowatt, lohnte sie sich schon bei der Hälfte des gegenwärtigen Garantiepreises. Das wären gut 20 Cent. Bei 20 Cent pro Kilowattstunde wäre aber die Förderung der Solarzellen überflüssig; so viel müssen Endverbraucher auch für Normalstrom bezahlen.
So weit die Theorie. In der Praxis kostet eine schlüsselfertige Solaranlage schon heute nicht mehr 4000 Euro pro Kilowatt, sie ist im günstigsten Fall schon für 3000 Euro zu haben. Sie könnte sogar noch deutlich billiger sein. Auf der kürzlich zu Ende gegangenen Fachmesse Intersolar North America wurden Solarmodule für durchschnittlich umgerechnet 1400 Euro gehandelt. Und nach Recherchen des Beratungsunternehmens Photon Consulting lassen sich Module inzwischen für weniger als 1000 Euro pro Kilowatt herstellen. Dazu kommen erfahrungsgemäß noch einmal 700 Euro für den Wechselrichter, der aus Gleichstrom Wechselstrom macht, für Kabel, Netzanschluss und Montage - macht zusammen unter 2000 Euro. Selbst wenn noch einiges für Handelsspannen und Kapitalverzinsung hinzugerechnet wird: Solarzellenstrom könnte schon heute fast mit der Energie aus der Steckdose konkurrieren. Die gigantische Förderung wäre weitgehend überflüssig. Und Solarstrom könnte den konventionellen Energiekonzernen nennenswerte Marktanteile streitig machen. Denn viele Hauseigentümer dürften preiswerte Solarstromanlagen kaufen, um einen Großteil ihres Stroms künftig selbst zu produzieren, statt sich teuren Steckdosenstrom liefern zu lassen.
Das alles ist ein Beleg dafür, wie erfolgreich die deutschen Förderparagrafen gewirkt haben. Sie sollten Solarzellen zu Massenprodukten machen, Lerneffekte auslösen, die Kosten der Photovoltaik senken und den Klimaschutz dadurch verbilligen; genau das haben sie geschafft. Nicht geschafft hat es indes die Politik, daraus die Konsequenz zu ziehen und die Förderung deutlich zu kappen - nach der Devise »Mission erfüllt«. Deshalb bleibt es vorerst dabei: Die in Deutschland, dem weltweit wichtigsten Markt für die kleinen Zellen, verordneten Einspeisevergütungen erlauben Anlagenpreise, die deutlich höher als nötig sind. Auf Kosten der Allgemeinheit verdienen Hersteller und Investoren deshalb Extrarenditen.
Um die Stromverbraucher im Namen des Klimaschutzes besser zur Kasse bitten zu können, reden vermeintliche Solarfreunde die Kosten der Photovoltaik sogar gern hoch. Der Solarenergie-Förderverein Deutschland forderte vor zwei Jahren eine »Erhöhung der Solarstrom-Einspeisevergütung«. Die im vergangenen Jahr beschlossene moderate Absenkung stieß selbstverständlich auf seine heftige Kritik.
Dabei leidet unter der teuren Förderung nicht nur der deutsche Konsument, sondern auch der globale Klimaschutz. Weil das deutsche Fördersystem jedem Hersteller erlaubt, seine Anlagen teuer in Deutschland zu verkaufen, statt innovativer zu werden und effizienter zu produzieren, setzt sich die grüne Technik weltweit - vor allem in Ländern mit weniger Kaufkraft - langsamer durch als möglich.
Im vergangenen Jahr wurde das Erneuerbare-Energien-Gesetz novelliert. Dabei standen auch die Garantiepreise zur Debatte. Seinerzeit hielt es sogar der Bundesverband der Verbraucherzentralen, ein Verein mit durchaus grünen Sympathien, für unverständlich, warum »die Solarbranche selbst das Bild vom ›teuren Solarstrom‹ aufrechterhält«; kurzfristig solle die garantierte Vergütung auf »unter 30 Cent pro Kilowattstunde« gesenkt werden.
Das Parlament scherte sich nicht darum, zur Freude der Solarwirtschaft. Spricht sich aber herum, welche Kosten die Allgemeinheit schultern muss, könnten die Pfründen der Branche bedroht sein.
Erneuerbar - aber auch effektiv?Die Kritik tut immer wieder aufs Neue weh: Das in Deutschland erfundene und inzwischen von mehr als 40 Ländern kopierte Fördersystem für Strom aus erneuerbaren Energiequellen sei zwar gut gemeint, aber tatsächlich nur teuer und unwirksam. Weil die Förderparagrafen das Wirtschaftswachstum abwürgten und auf diese Weise den politischen Spielraum zur Erreichung weiterer Klimaschutzziele einschränkten, seien sie sogar klimaschädlich. Die aktuellste Version dieser Fundamentalkritik ist im jüngsten Gutachten der Monopolkommission nachzulesen, und sie hat bereits Anhänger gefunden. Zum Beispiel Michael Meister, den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag. Er ließ schriftlich wissen, die Union werde »die Vorschläge der Monopolkommission für eine realistische Energiepolitik berücksichtigen«. Das könnte bedeuten: CDU/CSU würden das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) kippen, wenn sie nach der Bundestagswahl Ende September so könnten, wie sie wollten. Die Kritik an dem Förderinstrument für Strom aus Wasser, Wind, Sonne und Biomasse entzündet sich regelmäßig an der vermeintlichen Unvereinbarkeit des EEGs mit dem in der Europäischen Union seit 2005 praktizierten Emissionshandel Der deckelt die Summe aller Kohlendioxidemissionen, die bei der Stromerzeugung entstehen dürfen, während das EEG nicht nur dafür sorgt, dass jede regenerativ erzeugte Kilowattstunde Strom finanziell gefördert wird, sondern auch vorrangig ins Netz kommt. CO2-freier Strom, beispielsweise aus Windkraftanlagen, senkt deshalb die Nachfrage nach konventionell erzeugtem Strom, zum Beispiel aus CO2-intensiven Kohlekraftwerken. Wird aber weniger Kohle verstromt, sinkt auch der Bedarf an Emissionszertifikaten und damit deren Preis. Das wiederum erlaubt anderen, dem Zertifikatehandel unterliegende Emittenten, mehr CO2 auszustoßen - mit dem Effekt, dass am Ende genau so viel Klimagas in die Atmosphäre geblasen wird, wie der Gesetzgeber qua Emissionshandel erlaubt. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium behauptete deshalb schon vor fünf Jahren, der Nettoeffekt des EEGs auf die CO2-Emissionen sei - »null«.Tatsächlich ist die Klimapolitik alles andere als perfekt. Dennoch ist das vernichtende Urteil, dem sich jetzt auch die Monopolkommission angeschlossen hat, falsch, weil fern der klimapolitischen Realität. In der wird die laut Emissionshandel zulässige CO2-Menge jeweils nur für einige Jahre im Voraus bestimmt und für die folgende Handelsperiode neu festgelegt. In diese Festlegung gehen auch Annahmen darüber ein, wie sich die Stromproduktion aus erneuerbaren Energiequellen entwickeln wird. Je mehr »grüner« Strom zu erwarten ist, desto geringer muss die zulässige -Obergrenze im Emissionshandel sein. Wird mehr regenerativer Strom erzeugt als bei der Festlegung der Obergrenze angenommen, sinken die Zertifikatspreise - mit der Folge, dass kohlelastige Unternehmen wie RWE sich kostengünstiger mit Zertifikaten eindecken können. Dass die EU kürzlich die Vorschriften für den Emissionshandel wie für die grünen Energien im Paket reformierte, zeugt allerdings davon, dass die Politik bei der Abstimmung beider Instrumente weiter ist, als mancher Ökonom denkt. Vielleicht ist sie nicht weit genug. Doch deshalb und auf der Grundlage eines einfachen ökonomischen Modells die Förderpolitik zugunsten erneuerbarer Energiequellen zu opfern wäre voreilig. Sie ist mit dem Emissionshandel keineswegs prinzipiell unvereinbar.
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