Seit über einem Jahr geht es an der Börse abwärts, oder etwa doch nicht? Auf oder ab - in den Augen von US-Analysten ist das nur eine Frage der Perspektive.
Von Carsten Volkery, New York - aus: Spiegel Online vom Samstag dem 18.08.01
New York - Den Urlaub diesen Sommer haben sie sich verdient, die amerikanischen Anleger. Seit Monaten nichts als Ärger an der Börse, der eine oder andere ist auch noch gefeuert worden. Das setzt zu. Da hilft es, zunächst einmal zu fliehen.
Und vielleicht erscheinen die Dinge nach dem Urlaub in einem neuen Licht. Genau betrachtet war dieses Jahr nämlich gar nicht so schlecht. Sicher, die Zahlen deuten zunächst auf das Gegenteil hin. Der Nasdaq-Composite-Index: minus zwanzig Prozent seit Anfang des Jahres. Der Dow Jones: minus fünf Prozent. Der S&P 500: minus zehn Prozent.
Aber was sind schon Indizes? Sie sind eine Auswahl der wichtigsten Aktien, noch dazu überladen mit den aktuellen Modewerten. In den vergangenen Jahren haben besonders Technologie-Aktien ihren Weg in die Marktbarometer gefunden, allen voran Cisco, Intel, Sun. Kein Wunder also, dass die Indizes den Aufstieg und Fall der Tech-Aktien brav nachvollziehen. Aber die Indizes zeichnen ein verzerrtes Bild. Denn, erinnert Philip Roth von Morgan Stanley: "Tech ist nicht der Markt."
Völlig unbeeindruckt von dem Crash-Geschrei ist die durchschnittliche Aktie nämlich seit Anfang des Jahres gestiegen. Um genau 2,5 Prozent, laut einer Rechnung von Banc One Investment Advisers. Die Geldmanager haben 1500 Aktien untersucht, neben den 500 großen Werten auch die 400 mittleren und 600 kleinen Werte des S&P. Während die großen Aktien nachgegeben haben, konnten sich die kleinen bemerkenswert gut halten. Doch der Trend bleibt weitgehend unbemerkt, weil die angeschlagenen Riesen den Blick auf die kleinen Überflieger verstellen.
Für manche Profis sind das "old news". "Seit Dezember befinden wir uns in einem Bullenmarkt", schreibt Arne Alsin, Gründer von Alsin Capital Management, auf der Finanz-Website TheStreet.com. Ein unsichtbarer Bullenmarkt, über den niemand redet, der aber gewieften Anlegern immer noch satte Gewinne beschert. Alsins Portfolio beispielsweise hat nach eigenen Angaben seit Anfang des Jahres 41 Prozent zugelegt.
Die Lehre daraus? Man sollte die Indizes einfach ignorieren. "Vergessen Sie das Timing der Märkte, wählen sie einzelne Aktien", rät Ralph Acampora, Analyst bei Prudential Securities. Perlenfischen ist wieder angesagt, wenn es kollektiv nur abwärts geht.
Dabei sind auch Tech-Aktien nicht tabu. So haben etliche große Fonds Microsoft aufgestockt. Der größte Fonds der USA, Fidelity Investments, hat die Softwarefirma wieder in seine Top-5-Auswahl aufgenommen, neben Old-Economy-Elitefirmen wie Citigroup, General Electric, Exxon Mobil und Fannie Mae.
Wenn man Alsins Lesart der Statistik glaubt, dann könnte der unsichtbare Bullenmarkt noch eine ganze Weile dauern: "Die durchschnittliche Länge der Rallye nach einem Bärenmarkt betrug in der Vergangenheit 46 Monate." Also: nur keine Eile im Urlaub.
|