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Millionenpleite: Kommen die Hintermänner aus Nürnberg?
Solar Millennium, WBG-Leipzig West: Justiz ermittelt gegen Unternehmer - 29.06.2015 05:58 Uhr
NÜRNBERG - Einer der größten deutschen Wirtschaftskrimis ist offenbar von Nürnberg und Erlangen aus inszeniert worden. Hier haben die Drahtzieher und Hintermänner die Deals eingefädelt, die zur gigantischen Pleite der Wohnungsbaugesellschaft Leipzig West AG ebenso geführt haben wie später zur Insolvenz der legendären Solar Millennium AG. Noch immer rätseln Ermittler, wohin die Millionen-Summen der Anleger verschwunden sind. Im Mai 2012 standen Aktionäre von Solar Millennium vor der Erlanger Ladeshalle Schlange, um zur Gläubigerversammlung zu gelangen. Bis heute wissen sie nicht, wo ihr Geld geblieben ist.
Im Mai 2012 standen Aktionäre von Solar Millennium vor der Erlanger Ladeshalle Schlange, um zur Gläubigerversammlung zu gelangen. Bis heute wissen sie nicht, wo ihr Geld geblieben ist. © Archivfoto: Böhner
Die Runde traf sich regelmäßig und unauffällig in einem stattlichen Mehrparteienhaus in der Nürnberger Schmausenbuckstraße, dort, wo der Reichswald exklusive Immobilien umwuchert und der Tiergarten in Sichtweite ist.
Jürgen Schlögel, der Mehrheitsaktionär der Wohnungsbaugesellschaft Leipzig-West AG, versammelte hier ein Häuflein von Finanzexperten, Aufsichtsräten, einen Grafiker, Werbetexter. Man legte fest, wie der neue Prospekt aussehen sollte, der potenziellen Anlegern bis zu sieben Prozent Zinsen versprach, wenn sie eine hübsche Summe in Leipzig-West investierten. Weit mehr als am Markt üblich. Raffiniertes Konstrukt
Immer wieder stieß auch Hannes Kuhn zur Runde, versichern Kenner der Szene. Der Gründer des Erlanger Steuerberatungsunternehmens Balance wohnte damals, in den Jahren 2004 bis 2006, nicht weit weg und kam vorbei, um ein gehöriges Wörtchen mitzureden, wie man möglichst viele Kunden zur Geldanlage bringt. - Anzeige -
Die Privatinvestoren sahen keinen Cent mehr von ihrem Vermögen. Denn die AG blutete aus, weil Inhaber-Teilschuldverschreibungen im Schneeballsystem in immer undurchsichtigere Unternehmensbeteiligungen gesteckt wurden. Oft auch in Immobilien, die sich hinterher mehrfach als wertlos herausstellten.
Viel Geld floss zudem in dunkle Kanäle: Davon sind Staatsanwälte und Anlegerschützer überzeugt, die heute noch dabei sind, das raffinierte Firmengeflecht zu entwirren, das Schlögel und Kuhn in jenen Jahren gesponnen haben.
Das trickreiche Konstrukt habe nur einer einzigen Absicht gedient, sagt ein Insider unserer Redaktion: die wahren Verhältnisse und Hintermänner zu verschleiern. Denn Hannes Kuhn, Jahrgang 1964, der sich 1998 bei der Gründung des Erlanger Technologiekonzerns Solar Millennium noch als wagemutiger Unternehmer auf dem jungen Markt der alternativen Energien hatte feiern lassen, ging auf Tauchstation. Nirgends offiziell in Erscheinung treten, keine Spuren hinterlassen — diese Devise setzte er meisterhaft um.
Die Wohnungsbaugesellschaft Leipzig West-AG fuhr 2006 in die Pleite, rund 38.000 Gläubiger bundesweit verloren ihre Einlagen von 360 Millionen Euro. Kurz darauf krachte auch die Düsseldorfer Beteiligungen AG (DMB) mit Verbindlichkeiten von 93,6 Millionen Euro zusammen.
Es sei die größte Gläubigerversammlung gewesen, die er bis dato gesehen hatte, sagt Insolvenzverwalter Horst Piepenburg, der die grauen Eminenzen gerne zu Kasse bitten würde. Rund 9000 Anleger wissen bis heute nicht, was mit ihren Anleihen passiert ist.
Vergangenes Jahr endlich hat das Oberlandesgericht Düsseldorf ausmachen können, wer der wahre Herr im Hause DM Beteiligungen gewesen ist: Der Nürnberger Jürgen Schlögel, Jahrgang 1963, sei der „wirtschaftliche Inhaber der DMB AG“ gewesen, heißt es im Urteil einer Schadenersatzklage vom Mai 2014. Schließlich seien seine Gesellschaften maßgeblich an den Transaktionen beteiligt gewesen, etwa die „Leipzig-West Liegenschaften AG“ oder die „J.S. Unternehmensbeteiligungen GmbH“. Begehrte Sicherheitsfirma
Unstreitig sei, dass allein in den Jahren 2003 bis 2006 mehr als 50 Millionen Euro von der DMB AG an Schlögel und die vom ihn beherrschten Unternehmen geflossen sind, urteilte der 6. Düsseldorfer Zivilsenat.
Nach Recherchen unserer Redaktion hielt die DMB neben ihrer 25-prozentigen Beteiligung an der früheren Euromed-Klinik bei der „Pyramide“ in Fürth auch zeitweilig Anteile an der Nürnberger Sicherheitsfirma SKI Security Guard.
Die SKI, hervorgegangen aus dem Verkauf von Peter Althofs Personenschutzfirma im Jahr 2004, sollte der Grundstock für ein weltumspannendes Firmen-Netz im Sicherheitsbereich werden. So hatten es Schlögel und Kuhn offenbar geplant. Doch das Vorhaben zerschlug sich. Jürgen Schlögel wurde 2007 in Handschellen ins Leipziger Landgericht geführt. Der Prozess platzte, seitdem ist er verhandlungsunfähig.
Jürgen Schlögel wurde 2007 in Handschellen ins Leipziger Landgericht geführt. Der Prozess platzte, seitdem ist er verhandlungsunfähig. © dpa
Die DMB stieg im gleichen Jahr mit 25 Prozent bei der Nürnberger Grafikagentur Drehmomente.de GmbH ein. Drei Millionen Euro sollen für diese Anteile gezahlt worden sein, haben Wirtschaftsprüfer herausgefunden. Wo das Geld wirklich gelandet ist, ist bis heute nicht geklärt. Fest steht aber, dass die Agentur dem Sohn des Aufsichtsratsvorsitzenden von Solar Millennium, Helmut Pflaumer, gehörte. Pflaumer war zeitweise Gesellschafter beim Unternehmen seines Sohnes.
Kuhn und Schlögel hätten das Geld, das die DMB einwarb, „frühzeitig abgeschöpft“, sagt ein Tübinger Anlegervertreter. Vor allem soll Kuhns Steuerberatungsfirma Balance, die noch heute in der Erlanger Nägelsbachstraße residiert, unweit des einstigen Firmensitzes von Solar Millennium, kräftig von den Deals profitiert haben. Kuhn habe nicht nur die Handelsbilanzen der DMB AG erstellt, sondern sei auch Steuerberater eines Großteils des „Gesellschaftsgeflechts“ gewesen.
Das Düsseldorfer Landgericht hat gegen Kuhn und Schlögel vor vier Monaten ein Verfahren wegen Betrugs eröffnet, die Anklageschrift umfasst 500 Seiten. Ein Verhandlungstermin steht noch aus. Zudem laufen dort mehr als 100 Zivilverfahren gegen Hannes Kuhn, in denen Anleger um ihr Geld streiten.
Als im Jahr 2011 dann Solar Millennium Insolvenz anmelden musste und 30 000 Aktionäre mit anerkannten Forderungen von 250 Millionen Euro wütend zurückblieben, wurde peu à peu klar, dass auch hier Balance eine dubiose Rolle gespielt hatte. Zwischen Oktober 2004 und Oktober 2007 soll Solar Millennium 800 000 Euro Honorare an Kuhns Balance und eines seiner Tochterunternehmen in Dubai für Beratung und Vermittlung von Investoren gezahlt haben, meldete die Wirtschaftswoche.
Die Süddeutsche Zeitung berichtete vor einiger Zeit, neue Dokumente aus den USA, wo sich Solar Millennium ein zweites Standbein mit Solar-Thermie-Kraftwerken aufbauen wollte, würden belegen, dass reichlich Geld „für den glamourösen Lebensstil von Managern“ verpulvert worden sei. Glamourös gelebt
Eine Ahnung davon, wie aufwändig der Lebensstil war, hatten bereits Leipziger Staatsanwälte bekommen, als sie 2006 begannen, Jürgen Schlögels Gebaren bei der Leipzig-West AG aufzudecken. Sie fanden in seinem Fuhrpark unter anderem einen Maserati, einen Porsche und einen Jaguar. Sie sind überzeugt, dass Schlögel über seine Firma J.S. Unternehmensbeteiligungen fast 100 Millionen Euro von Leipzig-West auf sein Privatkonto geleitet hat. Die Leipzig-West AG hatte im Juni 2006 Insolvenz beantragt. Der Fall gilt als einer der größten Finanz-Skandale in Deutschland.
Die Leipzig-West AG hatte im Juni 2006 Insolvenz beantragt. Der Fall gilt als einer der größten Finanz-Skandale in Deutschland. © dpa
Kein Cent mehr soll davon übrig sein: Als der Gerichtsvollzieher bei Schlögel 2014 in Nürnberg läutete, weil Anleger der Düsseldorfer Beteiligungen AG gerichtlich mit ihren Schadenersatzforderungen obsiegt hatten, gab er an, er verfüge über kein nennenswertes Vermögen mehr.
Schlögel, der immer wieder auf großen Boxveranstaltungen gesehen wird, die die SKI-Sicherheitsfirma bewacht, und enge Kontakte zu einem Ringarzt des Deutschen Berufsboxerverbandes pflegte, hat es nach dem Millionendeal geschafft, sich Gerichten zu entziehen. Er sei aufgrund seiner Alkoholkrankheit verhandlungsunfähig, heißt es in Gutachten, die er dem Landgericht Leipzig vorlegen ließ. Die jüngste Expertise, die dem Richter noch nicht zugegangen ist, soll ihm nach Informationen unserer Redaktion sogar dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit bescheinigen.
Und Hannes Kuhn? Er hat sich im Jahr 2011, noch bevor der Insolvenzantrag für Solar Millennium gestellt wurde, in Nürnberg abgemeldet. Als neuen Wohnort gab er an: London, Hamilton Place, Park Lane. Auf seinem Landsitz in Sussex soll er ein Gestüt betreiben.
Am Montag will Insolvenzverwalter Volker Böhm verkünden, wie es mit Solar Millennium weitergeht.
ELKE GRASSER-REITZNER
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