HB BRÜSSEL. Ohne Gegenmaßnahmen werde der deutsche Schuldenberg rapide wachsen und im Jahr 2050 die astronomische Höhe von bis zu 384 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen, heißt es im Bericht zur Lage der Staatsfinanzen, den die Brüsseler Behörde am Mittwoch vorlegen will. Derzeit beträgt die deutsche Staatsverschuldung rund 60 % vom BIP.
In Deutschland kämen mehrere für die Staatsfinanzen bedrohliche Probleme zusammen, heißt es weiter in dem Bericht, der dem Handelsblatt vorliegt. Die öffentlichen Ausgaben für Renten und Gesundheit würden hier zu Lande stärker wachsen als im EU-Durchschnitt. Zugleich gehe der Abbau der Staatsverschuldung langsamer als anderswo voran. Hinzu komme die niedrige Beschäftigungsquote bei älteren Arbeitnehmern und das niedrige Renteneintrittsalter.
Die Bundesregierung müsse diese Probleme gezielter und schneller anpacken als bisher, mahnt die Kommission. „Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die steigenden Alterslasten in der Agenda 2010 nicht ausreichend berücksichtigt“, hieß es in Kommissionskreisen. Auch in anderen EU-Staaten, darunter Frankreich und Österreich, fehle eine „ehrgeizige und nachvollziehbare“ Strategie gegen die Überalterung der Bevölkerung, heißt es in dem Kommissionsbericht. Alle Staaten müssten sich jetzt so schnell wie möglich auf die mit der demografischen Entwicklung verknüpften Finanzlasten vorbereiten. In Deutschland müsse deshalb die Defizitquote von zuletzt 3,6 % so schnell wie möglich wieder unter die EU-Grenze von 3 % sinken. Zugleich benötige Deutschland dringend Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialversicherungen.
Die Kommission bestreitet in ihrem Bericht, dass Sozialabbau und Sparkurs Deutschland noch tiefer in die Rezession treiben würden. Eine mit Strukturreformen verknüpfte Sanierung der Staatsfinanzen könne der Wirtschaft sogar kurzfristige Wachstumsimpulse geben. Diese These belegt die Kommission mit einer Modellrechnung für Deutschland. Außerdem beruft sie sich auf die Erfahrungen anderer Staaten. Etwa die Hälfte aller Sparpakete in der EU in den vergangenen drei Jahrzehnten hätten „eine unmittelbare Wachstumsbeschleunigung“ zur Folge gehabt, meint die Kommission. Wichtig sei es, die Haushaltssanierung richtig zu gestalten. Nach Ausgabenkürzungen seien eher günstige Konjunktureffekte zu erwarten als nach Steuererhöhungen.
Die EU-Kommission spricht sich in ihrem Bericht kategorisch dagegen aus, eine höhere staatliche Neuverschuldung für Investitionsausgaben in Euro-Land zuzulassen. Die Eurozone könne es sich nicht erlauben, die Staatsverschuldung auf diese Weise weiter in die Höhe zu treiben. Nach der französischen Regierung hatte zuletzt auch Bundesverteidigungsminister Peter Struck verlangt, eine zusätzliche Nettokreditaufnahme für Rüstungsausgaben zu erlauben.