sein, ..... Stimmt, aber:
Etwas ist anders im Fall Graichen. Nicht etwa, dass man den Grünen etwas vorwerfen würde, das es woanders nicht gäbe. Vetternwirtschaft kommt überall und nicht zum ersten Mal vor. Neu ist, dass die Kritik an der Partei auch außerhalb konservativer Bashing-Blasen in einer Breite verfängt, wie man es umgekehrt nur bei unglücklichen Auftritten aus dem Unionslager à la Merz und Laschet kennt.
Deutschland ist mehr als die Stadt Berlin. Politische Entscheidungen haben zu selten einen Bezug zur Realität in der Fläche. Die Kolumne von Burkhard Ewert gibt Positionen Raum, die zu wenig Geltung erhalten im Betrieb der Berliner Blase. Den Blick aus dem „Rest der Republik“ gibt es auch als Newsletter, Woche für Woche.
Es ist die Reaktion von Medien und Öffentlichkeit, die demnach auffällt, und auf der anderen Seite das dröhnende Schweigen. Kaum jemand springt in die Bresche, um die ehemalige Ökopartei und ihren Hoffnungsträger Robert Habeck zu verteidigen.
Worum geht es? Im Mittelpunkt steht Patrick Graichen, Staatssekretär und vorheriger Energiewenden-Berater einer „Denkfabrik“. Radikaler als üblich hat Habeck nach seinem Amtsantritt im Bundeswirtschaftsministerium aufgeräumt und die vorher zuständigen Fachleute kaltgestellt. Stattdessen installierte er dort und in der Umgebung Vertraute und deren Verwandte. An der Spitze: Graichen.
Hinzu kamen PR-Pannen, die keiner in Habecks Umfeld zu verhindern wusste. So ließ sich der Minister einen Energiewende-Preis in Schleswig-Holstein vom eigenen Bruder überreichen. Jedem Ortsverbandsvorsitzenden wäre eine derart ehrlose Aktion peinlich. Der Bundeswirtschaftsminister freute sich vor laufenden Kameras.
Zuletzt wollte Graichen, nachdem die Top-Posten im Ministerium vergeben waren, bei angeschlossenen Organisationen weitermachen und seinen Trauzeugen als Chef der „Deutschen Energieagentur“ installieren. Das war zu viel. Nach einigem Zaudern schwenkte die Hauptstadtpresse um. Und so ist es die Tonlage der „Politischen Beobachter“, die diese Affäre von anderen unterscheidet.
Im ZDF lief ein 5-Minuten-Beitrag, der das Netzwerk rund um Habeck und Graichen ebenso knallhart wie süffisant auseinandernimmt. Der Beitrag war gut gemacht; schwierig, ihn zu ignorieren. Ein erster, ebenfalls dezidiert kritischer Text war in der „taz“ erschienen, die unverdächtig ist, sich als antigrünes Kampfblatt profilieren zu wollen. Und so funktionierte diesmal auch die übliche Verteidigungstaktik nicht, Kritik als Parolen rechter Verschwörungstheoretiker abzutun.
„Der Fall hat alles, um Minister Habeck und den Grünen zu schaden“, ahnt die „SZ“ als linksintellektuelles Leitmedium. Wohl wahr. Keine milliardenschweren und konjunkturkillenden Sonderwege in der Energiepolitik, sondern der in Relation belanglose Fall Graichen lässt die Medien abfallen vom Welterklärer mit dem Wuschelhaar.
Beim nächsten Fehler hat Habeck keinen Bonus mehr; im Rest der Republik vielleicht sogar noch eher als in Berlin. Dort ist er offiziell in Ungnade gefallen, befürchte ich.
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