Man könnte den Vorsitzenden der amerikanischen Notenbank Federal Reserve mit einem Golfspieler vergleichen, der versucht, einen gelungenen Abschlag zu plazieren, während ihm tausende Zuschauer lautstark Ratschläge erteilen. Je mehr auf dem Spiel steht, desto lauter wird das Geschrei von den Zuschauerrängen.
Und nachdem die Regierung am 7. September ihren überraschenden Bericht über einen Rückgang der Beschäftigtenzahl im August vorlegte, steht tatsächlich enorm viel auf dem Spiel. Dieser erste derartige Rückgang der Arbeitsplätze seit vier Jahren machte den Aktien schwer zu schaffen. Der Dow Jones Industrial Average stürzte um 250 Punkte ab. Zu den Aktien, die es am härtesten traf, zählten Caterpillar, IBM, ExxonMobil, Harley Davidson und Krispy Kreme Doughnuts.
Fed-Chairman Ben Bernanke kann unmöglich jeden Ratschlag befolgen, wie er es bewerkstelligen soll, die Wirtschaft der Vereinigten Staaten sozusagen auf dem „Fairway“ zu halten. Einige Punkte muss er allerdings berücksichtigen. Angesichts der nächsten Sitzung des Offenmarktausschusses, die für den 18. September anberaumt ist, hat Bernanke sicherlich folgende fünf Punkte im Hinterkopf, während er darüber nachdenkt, ob, wie schnell und in welchem Maße die Notenbank die Zinssätze senken muss.
1. Wie schwach ist der amerikanische Arbeitsmarkt wirklich?
Es steht viel schlechter, als die meisten Experten noch vor kurzem glaubten. Am 7. September gab das Arbeitsministerium bekannt, dass die Zahl der Beschäftigten im August um 4.000 gesunken war - ein Rückgang, der alles übertraf, was die Volkswirte erwartet hatten. Diese hatten vielmehr mit einem Zuwachs von 100.000 Arbeitsplätzen gerechnet. Michael Englund von Action Economics ließ die düstere Bemerkung verlauten, dass „die rückläufige Beschäftigtenzahl, die derzeit für Schlagzeilen sorgt, an die Rückgänge erinnert, die vor Beginn der letzten beiden Rezessionen beobachtet wurden“.
Ein großer Anteil dieser Abnahme ist auf die rückläufige Zahl der Arbeitsplätze im Staatssektor zurückzuführen, und die Beschäftigtenzahl im Baugewerbe nimmt weiter ab. Was den Volkswirten jedoch mehr Sorgen bereitet, ist der generelle Rückgang der Erwerbstätigen im privaten Sektor. Infolge dieses Berichtes wird die Fed am 18. September mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tagesgeldsatz um mindestens einen Viertelprozentpunkt senken, und weitere Senkungen sind künftig zu erwarten.
2. Warum steht es noch immer so schlecht um die Kreditmärkte?
Das Finanzsystem kommt nach wie vor in vielerlei Hinsicht seiner Aufgabe nicht nach, die darin besteht, Geld in Umlauf zu bringen, um das Wachstum von Personen und Unternehmen zu unterstützen. Unternehmen, die sich Geld leihen, indem sie durch Vermögenswerte gesicherte Handelspapiere ausgeben, finden derzeit wenige Interessenten. Zudem verzeichnet der Libor (London Interbank Offered Rate) - der Zinssatz kurzfristiger Darlehen zwischen Banken - einen stetigen Anstieg, was auf eine Vertrauenskrise schließen lässt.
Das Problem besteht darin, dass das Finanzsystem auf zuverlässige Informationen über die Qualität der Kreditsicherheiten angewiesen ist, und die Kreditnehmer den Informationen, die sie erhalten, nicht mehr vertrauen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Sicherheiten leichtfertige oder fingierte Subprime-Kredite beinhalten könnten. Bernanke muss in Erfahrung bringen, wie lange es dauern wird, bis die Märkte die Probleme mit den Subprime-Krediten bewältigt haben und wieder zum Alltag übergehen. Je länger die Wall Street braucht, um dem eigenen Chaos Herr zu werden, desto größer die Gefahr, dass auch die kleineren, nicht an der Wall Street gehandelten Unternehmen Schaden nehmen.
3. Wann wird sich der Immobilienmarkt, in dessen negativer Entwicklung das Kernproblem zu sehen ist, erholen?
Die Rate der Zwangsvollstreckungen wird wohl bis Ende 2007 weiter steigen. Wahrscheinlich wird sich dieser Anstieg sogar bis Mitte 2008 fortsetzen. Diese Aussage stammt von keinem Geringeren als Douglas Duncan, Chefökonom der amerikanischen Hypothekenbankvereinigung Mortgage Bankers Association, die am 6. September bekanntgab, dass der Prozentsatz der Eigenheime, deren Zwangsvollstreckungsverfahren eingeleitet wurde, im Quartal April bis Juni eine Rekordzahl erreicht hatte.
Bernanke weiß, dass der Wirtschaft auch in Zukunft ein starker Gegenwind ins Gesicht bläst, so lange man die Menschen vor die Tür setzt, weil sie ihre Hypotheken nicht bezahlen können. Auch dies spricht für eine Senkung der Zinssätze.
4. Wie hoch ist das Risiko einer Inflation?
Das Inflationsrisiko stellt leider ein echtes Problem für die Fed dar. Die Löhne steigen schneller als die Produktivität der Arbeitskräfte. Dies ist eine inflationäre Tendenz, denn es bedeutet, dass die Unternehmen ihre Preise erhöhen müssen, um angesichts der höheren Personalkosten ihre Gewinnspannen aufrecht zu erhalten.
Bislang hielt sich die Inflation im Zaum, doch die Abschwächung der Produktivität in den vergangenen Jahren schränkt den Spielraum der Fed hinsichtlich einer Zinssenkung im Vergleich zu früheren Wirtschaftskrisen ein. Eine Zinssenkung könnte die Nachfrage der Verbraucher und Unternehmen ankurbeln, was jedoch zu einer weiteren Verschärfung des Inflationsproblems führen könnte.
5. Wie viel Nutzen würde eine Zinssenkung zum jetzigen Zeitpunkt bringen?
Man darf nicht vergessen, dass die Fed lediglich die kurzfristigen Zinssätze beeinflussen kann, indem sie viel Geld in das Bankensystem pumpt. Auf langfristige Zinssätze wie beispielsweise bei festverzinslichen Hypotheken und Unternehmensanleihen übt sie weit weniger Einfluss aus. Das Alptraumszenario der Fed sähe so aus, dass eine mögliche Zinssenkung bei den Märkten Angst vor einer höheren Inflation auslösen könnte, ohne jedoch die Wirtschaft anzukurbeln. Somit wären alle Zutaten für eine Stagflation vorhanden.
Wäre eine Senkung des Tagesgeldsatzes im Augenblick hilfreich? Wahrscheinlich. Kann die Fed im Alleingang die amerikanische Wirtschaft vor einem Konjunktureinbruch oder einer Rezession bewahren? Nein. Doch seien Sie gewiss: Diese Tatsache wird das Geschrei aus den Zuschauerrängen nicht verstummen lassen.
Es hängt viel davon ab, wie viel Beachtung Bernanke diesen Fragen schenkt, während er zu seinem nächsten Schlag ansetzt.
Quelle: http://www.faz.net/s/...9DA83F658D845EEEF3~ATpl~Ecommon~Scontent.html
|