Wer einen klaren Gesetzesrahmen und eine einigermassen gesicherte Privatsphäre für Bürger und Unternehmen für wertvoll hält, wird am Ausgang des Mannesmann-Prozesses wenig Freude haben.
Aber nicht weil die Richter gegenüber den angeklagten Managern und Aufsichtsräten des damaligen Mannesmann- Konzerns zu gnädig gewesen wären - nein, stossend ist vielmehr, dass die deutsche Justiz allzu einfach aus diesem Fall herauskommt. Nun kann sie sich aus der Veranstaltung verabschieden, ohne dass ihre expliziten und impliziten Anschuldigungen einem harten Test unterzogen werden.
Die Richter kommen darum herum, genau darlegen zu müssen, welche Vorgänge damals bei der Geldverteilung an der Mannesmann- Spitze aus ihrer Sicht so gravierend waren, dass sie zu Strafrechts-Themen wurden. Man wird auch nie erfahren, ob und wieweit sie eine Antwort auf die Frage nach der Beziehung zwischen Manager-Entschädigung und Gegenleistung formuliert hätten, wieweit sich Strafrichter also zu Themen geäussert hätten, die in liberalen Ordnungen im Prinzip zur Privatsphäre gehören und zwischen Management und Aktionären auszuhandeln sind.
Gewiss, für alle Betroffenen, besonders für die Angeklagten, wäre eine langwierige Fortsetzung des Prozesses aufreibend und teuer geworden, aus dieser Sicht erscheint dessen Einstellung vernünftig.
Aber man muss sich vor Augen halten, dass damit zugleich die Möglichkeit ausgeschaltet wurde, dass mit einer allfälligen, deutlich sichtbaren Niederlage der Strafjustiz einigermassen klar geworden wäre, wo die Grenzen zwischen strafrechtlichem und privatrechtlichem Gebiet in Deutschland verlaufen. Diese Disziplinierung des Staates im weiteren Sinn wäre aus ordnungspolitischer Sicht einiges wert gewesen.
Das «Unentschieden» dagegen hat die Ungewissheit kaum verringert; die Frage bleibt im Raum, ob nicht ähnliche Fälle wieder zu ähnlichen Prozessen führen können. Wer sich aufs Formelle konzentriert, wird mit Nein antworten und argumentieren, dass der Mannesmann-Prozess genau in dieser Hinsicht viel gebracht habe: Aufsichtsräte und Manager hätten daraus die Lehre gezogen, dass Prämien ohne vertragliche Grundlage juristisch anfechtbar seien, und ihre Verträge angepasst, um die Vergütung rechtlich abzusichern. Aber dies ist eher ein bürokratischer Fortschritt.
Mit Blick auf öffentliche Stimmung und veröffentlichte Meinung in Deutschland scheint sich weniger verändert zu haben; es dominiert nach wie vor der Eindruck, vielen Bürgern wäre ein hoheitlicher Schiedsrichter im Stil eines «Mannesmann-Rächers» willkommen, der die Grenze zwischen angemessenen und übertrieben hohen Managerlöhnen aufzeigen und die Masslosen massregeln würde. Es passt ins Bild, dass der prominenteste Angeklagte, «Joe» Ackermann, heute eher als Chef der rentablen Deutschen Bank und Empfänger eines hohen Millionengehalts in der öffentlichen Kritik steht denn wegen seiner damaligen Rolle als wenig aufmerksamer Mannesmann-Aufsichtsrat.
Es passt ebenfalls ins Bild, dass Verteilungsfragen in Deutschland nicht nur das breite Publikum und die grosse Masse der Politiker beherrschen, sondern unterschwellig auch weite Teile der gewichtigen Binnenwirtschaft - nicht zuletzt die grosse Branche der regionalen, staatsnahen und genossenschaftlichen Banken, in der man die vom Ausländer Ackermann nach angelsächsischen Rezepten geleitete Deutsche Bank eher als Störung betrachtet.
Aber wahrscheinlich werden es gerade solche «Störungen» im Zug der Globalisierung sein, die dafür sorgen werden, dass neue Prozesse à la Mannesmann in Deutschland in Zukunft geringe Chancen haben werden.
Gy.