RASSISMUS IN DEUTSCHLAND
"Potsdam war die Hölle"
Übertrieben oder überfällig? Deutschland diskutiert über die Reisewarnung von Ex-Regierungssprecher Heye für Brandenburg. Hunderte beteiligten sich an der Debatte im SPIEGEL-ONLINE-Forum, Dutzende Leserbriefe erreichten die Redaktion. Viele haben den alltäglichen Rassismus selbst erfahren.
Berlin - Trickfilmproduzent Alexander Rakocz berichtet in einem Leserbrief von seinen Erfahrungen in Potsdam. 1999 sei er von Hamburg nach Potsdam gezogen: "Alle haben mich gewarnt. Der größte Fehler meines Lebens. Potsdam war die Hölle", sagt Rakocz heute auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE. Eines Tages habe ihn sein neunjähriger, halb vietnamesischer Adoptivsohn gefragt, ob er ihn nicht von der Schule abholen könne. Ein anderes Mal habe sein Sohn wegen Magenschmerzen nicht mehr zum Unterricht gehen wollen. Und irgendwann sei der kleine Junge dann mit zerschlagenem Gesicht aus der Schule nach Hause kommen. "Er hat gesagt, er sei vor den Bus gelaufen", sagt Rakocz SPIEGEL ONLINE, "aber ich bin sicher, dass sie ihn wegen seiner Hautfarbe verprügelt haben". | APNeo-Nazis in Frankfurt an der Oder: Sicherheitsring um dunkelhäutige Kollegin | Die drei indischen Programmierer aus seiner Firma hätten es kein halbes Jahr in ihrer Mietwohnung an der Potsdamer Gerlachstraße ausgehalten, sagt Rakocz im Telefongespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Die wurden so bedroht, dass sie Angst hatten." Dann hätten sie die erste Gelegenheit genutzt, Potsdam zu verlassen. "Wenn jemand mit dunklerer Hautfarbe dabei war, dann war es in Potsdam immer vorbei", so Rakocz. "Abfällige Kommentare sind eine Selbstverständlichkeit" Vor solchen Erfahrungen haben viele SPIEGEL-ONLINE-Leser Angst. Sie trauen sich gar nicht erst in den Osten. Vor allem nicht, wenn sie oder ihre Angehörigen nicht blond und hellhäutig sind. Leser Christian G. aus Herrenberg schreibt SPIEGEL ONLINE, wer keinen direkten Kontakt zu dunkelhäutigen Personen habe, der kenne ihre Ängste nicht. "Ich würde gern mal meiner dunkelhäutigen Ehefrau den kulturreichen Osten zeigen, aber sie soll unseren Kindern weiter erhalten bleiben. Heye hat Recht - alles andere gehört zur Kategorie 'WM-Fußballimagekampagne'". Auch Elena D. hat Angst. Sie könne nicht einfach mit ihrem dunkelhäutigen Mann und ihrer Tochter an einen mecklenburgischen Badesee fahren. "Die Gefahr für meinen schwarzen Mann, angepöbelt oder zumindest argwöhnisch beäugt zu werden, ist zu groß, als dass wir uns damit einen schönen Sommertag verderben wollten", so Elena D. in ihrem Leserbrief. Karina M. aus Tutzing würde ihrem Sohn gerne die ostdeutschen Städte zeigen. "Solange ich aber Angst haben muss, wegen der Hautfarbe meines Sohnes angegriffen zu werden, fahre ich lieber ins Ausland", schreibt sie SPIEGEL ONLINE. Auch im Westen sei sie schon beleidigt worden: "In München bin ich von wildfremden Leuten als ,Negerhure' beschimpft worden. Aber die Gefahr eines gewalttätigen Angriffs scheint im Osten größer zu sein." Urlaub im Osten? "Da fahren wir lieber nach Ghana, wo ich nie wegen meiner Hautfarbe blöd angemacht wurde", sagt auch die SPIEGEL-ONLINE-Forumsteilnehmerin "Amass", die einen ghanaischen Ehemann hat. Sie sagten: "Er soll zu den Affen zurückkehren!" Dass diese Ängste berechtigt sind, zeigen die Reaktionen anderer Leser. Sie haben den Rassismus hautnah erlebt. Leser Florian K. schreibt: "Wer, wie ich, schon des öfteren in Wolgast oder Rostock mit lateinamerikanischen Gästen in einem Lokal gesessen hat, darf sich glücklich schätzen, wenn seine Gäste kein Deutsch verstehen. Abfällige Kommentare gehören dort anscheinend zu einer stillschweigend geduldeten Selbstverständlichkeit." Sie haben ebenfalls Erfahrungen mit Rassismus und Ausländerfeindlichkeit gemacht? Schreiben Sie uns Ihre Erlebnisse an spon_leserbriefe@spiegel.de mit der Betreffszeile "Rassismus im Osten". |
| Katharina N. aus Leipzig erzählt SPIEGEL ONLINE auf Nachfrage, ihrem peruanischer Besucher sei auf dem Leipziger Hauptbahnhof gesagt worden, "er solle zu den Affen zurückkehren, wo er hingehöre." Ihre Schwester, die aus Sri Lanka adoptiert wurde, sei dort so bedroht worden, "dass ihre (weißen) Kollegen einen Sicherheitsring um sie bildeten, solange sie sich in der Öffentlichkeit aufhielt". "Haio Forler" aus Bonn schreibt im SPIEGEL-ONLINE-Forum über seinen ersten Ausflug nach Ostdeutschland: "In Halle. Spaziergang mit meinem Freund, seiner Frau und Kindern. Mein Freund ist 'Mischling', Herzchirurg an der Uni Halle, seit seiner Geburt hier." Kaum 400 Meter seien sie gegangen, als sie von einem "stinknormalen bürgerlichen (nix Glatze) Ehepaar überholt" wurden: "Und so 'was läuft hier immer noch herum!", hätten sie gemurmelt. "Ok, ok ... kann jetzt statistischer Zufall gewesen sein. Aber: Daran glaube ich nicht. Das ist mir hier in Bonn in 15 Jahren nicht passiert." Forumsteilnehmer "Silberfunken" berichtet: Ein Bekannter, der 1969 aus Pakistan nach West-Berlin gezogen sei, habe nach der Wende ein Grundstück in Brandenburg gekauft - und dieses wieder verkaufen müssen, weil die Feindseligkeit der "normalen" Bevölkerung unerträglich gewesen sei. "Dabei ist dieser Mensch sozusagen 'voll integriert', beherrscht die Sprache, die Sitten und alles. Aber was will man machen? Wenn Menschen das Bedürfnis haben, andere auszugrenzen, werden sie immer einen Weg finden - und wenn es nur die Hautfarbe ist." "Ich habe mich für mein Land geschämt!" In einem anderen Beitrag im Forum von SPIEGEL ONLINE berichtet ein Leser von einem Erlebnis, das einige Jahre zurückliegt. In einem brandenburgischen Ort sei er am Geldautomaten "plötzlich von einer Horde Glatzen mit Springerstiefeln und Bomberjacken umringt" worden und zum ersten Mal in seinem Leben froh gewesen, "dass ich helle Haare und Augen habe. Bis auf einige Bemerkungen wegen meines westdeutschen KFZ-Kennzeichens wurde ich in Ruhe gelassen. Ich habe mich geschämt für mein Land!" Die Wahrheit sei doch, dass große Teile Ostdeutschlands längst sogenannte "National Befreite Zonen" seien, "wo sich kaum noch jemand hintrauen kann, der auch nur ansatzweise ausländisch, oder was man dafür hält, aussieht", schreibt Forums-User "Pacific". Sein Onkel, ein eingebürgerter Deutscher, habe bei einem Auftrag seiner Firma im Osten das Hotel nach 18 Uhr nicht ohne Begleitung verlassen dürfen. "Auch seine japanischen und amerikanischen, genauso wie dunkelhäutige holländische und britische Kollegen mussten sich an diese Sicherheitsanweisung halten, da die Firma das freie Herumlaufen ihrer ausländischen Mitarbeiter für lebensgefährlich hielt. Internationale Großkonzerne haben schon seit Jahren diese hausinterne policy." "So etwas trifft tiefer" Dass der ganz subtile Rassismus besonders verletzend sein kann, berichtet "Sorgenbrecher70": "Ich bin augenscheinlich nicht nordeuropäischer Abstammung, trotzdem in Westdeutschland aufgewachsen, zur Schule und Uni gegangen." Drei Jahre hat er in Ostdeutschland gearbeitet. "Es wäre Unsinn, wenn ich von blankem Rassismus erzählen würde." Angenehm seien diese drei Jahre dennoch nicht gewesen. "Der geringschätzige Ausdruck im Gesicht der Tankstellenverkäuferin, obwohl sie doch Sekunden zuvor den Kunden vor mir mit einem strahlenden Lächeln verabschiedet hatte. Oder die Angestellte an der Kasse deines Supermarktes, die schon wieder jeglichem Augenkontakt aus dem Wege geht und sich abwendet." Kein offener Ausländerhass - aber oft unterschwellige Ablehnung. "Und das leider nicht nur punktuell. So etwas trifft tiefer, es ist kein oberflächlicher Schmerz, denn wie kann man sich dem offen entgegenstellen? Ich habe mein Kapitel Ost abgeschlossen. Kein Geld der Welt wiegt das Lebensgefühl auf, das mir dort genommen wird." *Die Forum- Beiträge sind in der Forumsdebatte zum Thema "Rassistische Übergriffe: Ausländische Besucher vorwarnen?" nachzulesen. Die von den Lesern genannten Fakten wurden von SPIEGEL ONLINE nicht überprüft. Zusammengestellt von Fabian Grabowsky, Anna Reimann und Alexander Schwabe
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