Als ich vor 25 Jahren geboren wurde, war ich noch sehr jung.
Meine Eltern waren gerade nicht zuhause. Sie waren auf dem Feld. Sie holten dort Kartoffeln. Das machten sie immer so, denn es war nicht unser Feld.
Mein Vater ist im Gefängnis: wegen seines Glaubens; er hatte geglaubt die Miete nicht zahlen zu müssen.
Ich war nicht wie alle Kinder. Ich hatte noch 20 Geschwister, davon 10 Brüder, 9 Schwestern und einen Blindgänger: ich.
Wir Mädchen heißen alle Jessy, bis auf Moni - die heißt Paul. Wir schliefen alle in einem Zimmer. Da wir nur ein Bett hatten, war es mit dem Schlafen sehr schwierig. Das erste Kind wurde ins Bett gebracht und wenn es schlief wieder herausgenommen und an die Wand gestellt. Dann kam das nächste Kind an die Reihe. Mit dem Erwachen war es etwas schwierig. Ich bin einmal 14 Tage stehen geblieben.
Wir waren eine sehr musikalische Familie. Meine Mutter nähte auf einer Singer-Nähmaschine. Mein Vater war Pianoträger. Einer meiner Brüder war Sänger. Er sank immer tiefer. Jetzt brummt er schon zwei Jahre. Am musikalischsten war meine letzte Schwester. Die ging bei der Geburt flöten.
Wir sind auch eine sehr intelligente Familie.
Mein Bruder ist in der Heidelberger Universität. Er steht dort in Spiritus, denn er hatte zwei Köpfe. Ein anderer Bruder ist Verwandlungskünstler. Der geht in ein Cafe mit einem alten Mantel und kommt mit einem neuen heraus. Ein anderer ist Klempner. Was der am Tage klemmt, wird am Abend verlötet. Ein anderer ist im Stadtbad tätig. Es steht dort als Brause, weil er einen Wasserkopf hat.
Meine Schwestern waren alle furchtbar dünn. Die eine musste immer zweimal ins Zimmer kommen, damit man sie sah. Eine hat jetzt Zwillinge bekommen. Die sehen sich sehr ähnlich, besonders der eine.
Als ich sechs Jahre war, kam ich in die Schule. Ich war immer der Liebling meiner Lehrer. Verschiedene Klassen durfte ich zweimal besuchen, während die anderen in eine andere Klasse mussten. Einmal fragte mich der Lehrer: "Welchen Beruf hatte Goethes Faust?" "Damenschneider", sagte ich. "Als er zu Gretchen kam, rief er: 'Hier möchte ich säumen.'"
In der Rechenstunde sagte der Lehrer: "Ihr zahlt beim Fleischer 30 DM, beim Bäcker 10 DM und beim Kaufmann 15 DM Schulden. Wieviel zahlt ihr dann zusammmen?" Da sagte ich: "Das weiß ich nicht, denn da ziehen wir immer um." Brachten wir schlechte Zeugnisse mit nach Hause bekamen wir mit dem Ausklopfer. Brachten wir gute mit, bekamen wir einen Groschen für die Spardose. War die voll, wurde wieder ein neuer Ausklopfer gekauft.
In einem Ferienjob kam ich zu einem Schmied. Der sagt zu mir: "Wenn ich nicke, haust du zu!" Der hat nie wieder genickt.
Nach der Schule wurde ich Vertreterin. Mein Chef fragte mich nach meinem früheren Tätigkeiten. Ich sagte nur: "Ich habe den Ölsardinen die Augen zugedrückt, bevor die in die Büchsen kamen." Ihm fiel auf, daß ich eine sehr langsame Aussprache hatte und er fragte mich, ob ich überhaupt etwas schnell machen könnte. "Ja", sagte ich. "Ich werde immer schnell müde." Er stellte mich dann doch ein. Ich hatte die Städte Hamburg, Bonn, Köln, Hannover, Dresden, Leipzig und zurück nach Berlin zu besuchen. Das alles in acht Tagen. Als ich zum Bahnhof kam, traf ich meinen alten Freund Karl. "Mensch Jessy, wollen wir nicht zusammen fahren?" "Nee", sagte ich. "Ich bin schon zusammengefahren, als ich dich sah." "Übrigens Jessy, du hast deinen Hut verkehrt auf." "Wieso?", fragte ich dann. "Du kannst doch nicht wissen in welche Richtung ich fahre."
Die Eisenbahn ist doch eine herrliche Einrichtung dachte ich mir. Grund zu diesem Lob gab mir der Herr gegenüber. Er fuhr von Bonn nach Hamburg und ich von Hamburg nach Bonn nur mit dem Unterschied, daß er so und ich so herum saß. Unterwegs zählte er die Schafe. Einmal kam ich ihm zuvor. "62" sagte ich. "Wie konnten sie das so schnell herausbekommen?" fragte er mich. "Ja", sagte ich. "Ich habe die Beine gezählt und dann durch vier geteilt." Als ich von meiner Reise zurück kam, kam mir mein Chef mit offenen Armen entgegen. "Wunderbar", sagte er. "Sie sind die erste, die das in dieser Zeit geschafft hat. Wo sind die Abschlüsse?" "Was für Abschlüsse?", fragte ich. "Ich bin froh, daß ich die Anschlüsse erreicht habe."
Dann kam ich zum Theater, doch da dieses noch im Bau war, sang ich da die Arie 'Heinrich, rühr du den Kalk, bei mir gibts lauter Klumpen'. Dann spielte ich im 'Wildschütz' mit, ich spielte die wilde Sau. In einem anderen Stück hatte ich auf die Bühne zu kommen und zu sagen: "Sie kommen noch nicht." Als ich in meiner Ritterausrüstung auf der Bühne erscheine, entdecke ich vor mir einen kleinen Kasten, aus dem eine Frau herausguckte und mir zuflüsterte: "Sie kommen noch nicht." Da habe ich nur gesagt: "Dann eben nicht!" und bin wieder gegangen. Der Direktor sagte, ich sei unbezahlbar. Ich habe dann auch kein Geld bekommen. Dafür gab er mir die Hand - mitten ins Gesicht.
Wenn man nichts kann und nichts weiß, bleibt nur noch ein Ausweg: man postet bei Ariva. Das mache ich nun schon seit 2001. So bekommt man zum einen den Tag herum und das Faß voll.
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