GRÖNEMEYER-REDE "Deutschland gibt es überhaupt nicht" Grönemeyer hält das Wort Deutschland für inhaltslos So kennt man ihn besser: Herbert Grönemeyer, sein Flügel und die ehrliche Musik, die ihn so bekannt gemacht hat. „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“, sang der 45-jährige Künstler im seit Wochen ausverkauften Renaissance-Theater. Zuvor hatte Grönemeyer aber sein gewohntes Terrain verlassen und einen 50-minütigen Vortrag gehalten. Auf Einladung der Berliner Festspiele und Bertelsmann hatte sich der Popstar im Rahmen der Berliner Lektionen zu der Rede mit dem Titel „Heimat im Land der Mitte“
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Noch niemals zuvor hatte der seit dreieinhalb Jahren in London lebende Sänger, Komponist und Schauspieler, der bereits mehr als zehn Millionen Platten verkauft hat, eine öffentliche Rede gehalten. Dementsprechend nervös war der bühnenerprobte Grönemeyer. Unruhig stieg er von einem Bein auf das andere und fing sein Rede mit einem um Hilfe suchenden Blick ins Publikum an: „Wohin soll ich nur mit diesem Wust an Zetteln.“
"Man kann nicht stolz auf etwas sein, was es nicht gibt" Nach mehrmaligem tiefen Durchatmen begann dann aber ein provokanter Vortrag über die Zerrissenheit seiner Heimat, den Krieg in Afghanistan und den Pop. „Deutschland gibt es überhaupt nicht“, lautet seine provokante These. „Das Wort ist inhaltslos, wir wissen nicht, wer wir sind“, führte er weiter aus. Wenn, dann hätte es Deutschland immer nur in Etappen gegeben, wobei die letzte mit der Wiedervereinigung begonnen hätte. Daher sei auch die Floskel „stolz ein Deutscher zu sein“ Makulatur. „Man kann nicht auf etwas stolz sein, was es nicht gibt.“ "Die Vereinheitlichung der Geschmäcker ist ein Verbrechen"
Die nachdenklichen Worte fanden viel Applaus beim Publikum. Mit seinen elf Jahren sei Deutschland nun in der Pubertät, versuchte Grönemeyer seine Gedanken bildlich zu vermitteln: „Bis zur Reifeprüfung ist es ein langer Weg.“ Wenn sich das Land heute zerrissen präsentiere, sei das angesichts der „unentschuldbaren Vergangenheit“ ein gutes Zeichen. „Ich hoffe, dass Deutschland nie ein Gesicht bekommt, sondern sehr viele unterschiedliche behält“, drückte Grönemeyer seine Hoffnung für die Zukunft aus. Die Diskussion um den Kriegseinsatz in Afghanistan spreche für die Deutschen. Der Vorwurf der mangelnden Solidarität oder des Anti-Amerikanismus´ sei so betrachtet „hanebüchener Unsinn“. Er sei gerne Deutscher, auch wenn er deswegen den Staat noch lange nicht mögen müsse.
Kohl hat Grönemeyer unterdrückt Nicht nur in der DDR, sondern auch im Westen sei Kultur unterdrückt worden, meint Grönemeyer und erinnerte daran, dass Helmut Kohl Lieder seiner Platte „Sprünge“ als „deutsche Unkultur“ bezeichnet habe, die deswegen vom Goethe-Institut im Ausland nicht gespielt werden durften. Zum Thema Heimat kam der Künstler natürlich auch auf die Wiedervereinigung zu sprechen. Nur wenn man gegenseitigen Respekt für die unterschiedlichen historischen Schicksale beider deutscher Staaten zeige, könne Deutschland eins werden. Deutschland sei heute kein westliches Land mehr, sondern ein Land der Mitte. „Europa kann nur ein Gebilde bleiben, wenn es kapiert, dass auch der Osten viel zu erzählen hat“, ergänzte er.
Schluss mit der Quotenkultur Besonders kritisch äußerte sich Grönemeyer zu der von ihm sogenannten Quotenkultur. Überall zwischen Kiel und München sei mittlerweile die gleiche Musik und die gleichen mittelmäßigen Moderatoren zu sehen und zu hören. Das Ergebnis sei eine manipulierbare Masse. „Die Vereinheitlichung der Geschmäcker ist ein Verbrechen“, sagte der Sänger und schloss seine Rede mit der Forderung nach einer Kunst, die exzentrisch, maßlos und kindlich naiv sein sollte.
Quelle: Stern
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