In BILD am SONNTAG spricht Dortmunds Trainer Jürgen Klopp erstmals über das Verhältnis zu seinem Vater und was er selbst bei der Erziehung seines Sohnes besser macht.
BILD am SONNTAG: Herr Klopp, es fiel auf, dass Ihr Drei-Tage-Bart öfter verschwunden ist. Wie kommt das?
JÜRGEN KLOPP (41): Glückwunsch zur ersten Frage. Wie lange haben Sie dafür überlegen müssen? Ich weiß nicht, wie oft ich mich rasiere. Es gibt keinen festen Rhythmus. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich mich morgens im Spiegel nicht richtig sehe, weil ich kurzsichtig bin.
Hintergrund der Frage ist: Es fällt auf, dass Sie seriöser sein wollen. Von Mainz kennen wir Sie nur mit dem Trainingsanzug, jetzt haben Sie Hemden und Jeans an.
Das ist eine natürliche Entwicklung, ich habe mir das aber nicht bewusst vorgenommen.
Sie wollen hier in Dortmund auch nicht mehr „Kloppo“ genannt werden.
Ich werde hier „Trainer“ oder „Jürgen“ genannt. Das ist doch auch ganz normal. Ich gehe doch nicht auf die Leute zu, verneige mich und sage „Gestatten, Kloppo!“ Es war nie mein Plan, dass ich mein Leben lang „Kloppo“ genannt werden möchte. In Mainz war ich 18 Jahre, „Kloppo“ war dort selbstverständlich.
Sie haben mal in einem Interview im Sommer gesagt, dass Ihr Vater Sie auf die Profi-Karriere vorbereitet hat, weil seine Erwartungshaltung sehr, sehr hoch an Sie war.
Die Frage damals war, wie ich mit Druck umgehe. Vom ersten Tag meines Lebens wusste ich, wie es ist, mit Druck umzugehen. Meine Eltern haben zuerst zwei Töchter bekommen, mein Vater wollte unbedingt einen Sohn. Als ich dann da war, sollte ich alle Erwartungen, die er hatte, erfüllen. Ich hatte nur Glück, dass ich das meiste von dem auch gerne gemacht habe. Ansonsten wäre meine Kindheit nicht so phantastisch verlaufen. Mein Vater musste mir nicht zwei Mal sagen: „Komm, wir gehen Tennis spielen! Oder wir gehen auf den Sportplatz nur ein bisschen so kicken.“ Schlimmer wäre gewesen, wenn ich nur zu Hause hätte sitzen müssen und Fischer-Technik hätte spielen müssen – obwohl er das auch gerne gehabt hätte, dass ich das mache.
Sie konnten also nicht alle Erwartungen erfüllen?
Nein, handwerklich konnte mein Vater alles, ich diesbezüglich nichts. Das hat sich bis heute durchgezogen. Das ist etwas, wo mir jegliches Selbstvertrauen fehlt.
War Ihr Vater Ihr größter Fan?
Ich glaube schon, er hat es sich aber nicht anmerken lassen. Wenn wir von einem Turnier oder einem Spiel nach Hause gefahren sind, hat er immer wieder
andere gelobt: „Hast Du den Spielmacher von dem Verein gesehen? Oder den Schuss von dem?“ Dass ich aber die meisten Tore geschossen habe, war nie ein Thema. Wir haben uns dann schon gerieben.
Wie war es dann als Profi?
Als wir nach dem Spiel telefoniert haben, war das erste Thema, das er ansprach, grundsätzlich: „Sag mal, wie hast Du eigentlich ausgesehen?“ Ihm waren der Bart zu lang oder die Haare oder sonstwas. Ihm war das deshalb auch so arg, weil er mir ziemlich lange die Haare selbst geschnitten hat.
War er da auch handwerklich begabt?
Das kann ich durchaus verneinen.
(Klopp lacht und haut sich auf die Oberschenkel) Um es mal so zu sagen: Er war beim Haareschneiden sehr selbstbewusst. Ich muss noch was erzählen: Ich habe auch seine Brillen getragen. Ich habe mir erst meine erste Brille mit 20 Jahren gekauft, bis dahin habe ich die Brillen von meinem Vater getragen.
Hört sich nach einem gespannten Verhältnis zu Ihrem Vater an?
Nein, das nicht. Wir haben ein sehr intensives Verhältnis gehabt. Heute ist es so, dass ich ihn sehr vermisse. Der Trainerjob wäre das gewesen, wo er gesagt hätte (Klopp schnalzt mit den Fingern): „Perfekt!“ Er wäre mir bestimmt auf die Nerven gegangen, mehr als ihr Journalisten. Er hätte ständig gefragt: „Warum spielt denn der – und der nicht?“ Aber er wäre richtig stolz gewesen. Leider hat er das nicht mehr erlebt. Er starb im Jahr 2000, ich wurde 2001 Trainer in Mainz.
Sind Sie komplett anders als er in der Erziehung Ihres Sohnes?
Ja, mein Vater war wenig nachsichtig. Ich kann auch loben. Ich empfinde es so: Ich bin nicht dazu da, aus meinem Sohn ein was-weiß-ich-was zu machen, sondern ich bin dazu da, meinen Sohn zu einem sozialen Menschen zu erziehen, der aus den Chancen, die das Leben bietet, das Beste macht.
Ihre Frau Ulla erwischt Sie des öfteren, dass Sie Details aus einem Gespräch kurze Zeit später nicht mehr wissen, weil Sie in diesem Moment gerade an Fußball gedacht haben. Ist sie dann wütend?
Nein, wir waren noch nie wütend aufeinander.
Das ist ja langweilig.
Finde ich überhaupt nicht. Es gibt Beziehungen, in denen es Ärger gibt, weil man die Zahnpastatube nicht zugedreht hat. Das habe ich in meinem Leben noch nie verstanden, wie so etwas passieren kann. Nicht falsch verstehen: Man soll natürlich eine Zahnpastatube zuschrauben, aber ...
. . . wir verstehen!
Das hoffe ich. Ulla und ich haben eine glückliche, unglaublich harmonische Beziehung. Ich muss zugeben: Ich konnte früher nicht abschalten, ich habe teilweise 30 DVDs über Fußball pro Woche angeschaut. Zu meiner Anfangszeit in Mainz hatte ich zwei Handys. Ich habe auf dem einen telefoniert, das andere hat geklingelt, ich habe das erste Gespräch für eine Minute unterbrochen und mit zwei Handys am Ohr hantiert. Auf diesem Niveau sollte man das aber nicht durchziehen, das ist ungesund – genau das habe ich gemerkt.
Zum Fußball!
Na, endlich!
Dortmund . . .
. . . ist die beste Mannschaft, die ich je trainiert habe.
Ihr Neuzugang Boateng gilt zwar als großes Talent, aber auch als vorlauter Profi. Wie wollen Sie den in den Griff kriegen?
Wissen Sie, solche Spieler, die nicht den kerzengeraden, von der Gesellschaft gewollten Weg nehmen, machen oft das gewisse Etwas aus.
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