Seit den 9/11-Anschlägen haben die USA ein weltweites Geheim-System für Terror-Vernehmungen aufgebaut. Abgesegnet vom Präsidenten werden dort rüdeste Methoden angewandt. Nach dem Schock über die Folter-Bilder aus dem Irak beginnen US-Politiker, die rechtsfreien Räume der CIA zu durchleuchten - und stoßen auf neue Grausamkeiten.
Gefangene in Guantanamo Bay: Luxusvariante der weltweiten Lager
Berlin - In den Anhörungen vor dem Senat in Washington zur Folteraffäre sind manchmal die kleinen Kommentare die interessantesten. Fast beiläufig wollte am Montag ein Senator von einem hohen Army-General wissen, ob der Einsatz von Hunden eigentlich den geltenden Militär-Regeln für Verhöre entspreche. Der General zuckte kurz mit den Schultern. Auch er kannte die schockierenden Bilder aus Abu Ghureib, die zeigen, wie Schäferhunde auf einen nackten irakischen Gefangenen losgelassenen werden. Trotzdem gab er wahrheitsgemäß zu Protokoll, Hunde seien nach den Regeln für die Verhöre zulässig - allerdings müssten sie angeleint und durch einen Maulkorb gebändigt sein.
Noch sind solche Fragen Randaspekte der Sitzungen. Schon jetzt aber befürchten demokratische Senatoren, die Folterbilder könnten vielleicht nur den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung belegen, in der die USA seit dem 11. September das Recht nach Gutdünken verbogen haben. Hat sich die Bush-Regierung die perfiden Methoden ihrer Feinde wie Saddam Hussein für den Krieg gegen Bin Laden und Co. nutzbar gemacht? Die Ausführungen mehrerer Getreuer von US-Präsident George W. Bush im Ausschuss, die Methoden in den Gefängnissen Saddams seien viel brutaler gewesen als die auf den Bildern zu sehenden Erniedrigungen von Inhaftierten durch die US-Soldaten, räumen diesen ungeheuren Verdacht nicht aus. Sie klingen eher wie Vorwärtsverteidigung.
Präsident Bush und Verteidigungsminister Rumsfeld: Extra-Maßnahmen werden vom Chef abgezeichnet
Je mehr bei den Anhörungen vor dem Senat an Folter-Details bekannt wird, desto deutlicher ist ein ebenso perfides wie brutales System hinter den Erniedrigungen von Gefangenen zu erkennen. Am Mittwoch verwahrte sich Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gegen Vorwürfe, die von ihm autorisierten Methoden wie Schlaf- und Essensentzug oder das Zwingen von Gefangenen in "schmerzhafte Positionen" seien illegal oder verstießen gegen die Genfer Konventionen. Alles sei von Juristen seiner und anderer Behörden überprüft worden, verteidigte er sich. Der oberste US-Soldat, General Richard Myers sprang Rumsfeld zur Seite und beteuerte, dass die Vorschriften des Militärs eine "menschliche Behandlung" der Gefangenen garantieren würden.
Regeln lassen viele Freiräume
Aus den Puzzleteilen der bekannt gewordenen Fakten ergibt sich langsam aber ein anderes Bild. Die Versicherungen der US-Regierung, die Exzesse in Abu Ghureib seien lediglich die Taten einzelner perverser Soldaten, mögen vielleicht auf die Folterfotos zutreffen. Doch auch wenn es für die Misshandlungen im Irak keine schriftlichen Anweisungen gab und das Stapeln von Gefangenen oder sexuelle Erniedrigungen nicht in den Militär-Regeln auftauchen, erscheinen sie mehr und mehr als ein überzogener Ausdruck eines brutalen Verhörsystems im globalen Kampf der USA gegen den Terror. Seit dem 11. September haben die Vereinigten Staaten durch den weltweiten Aufbau von Internierungslagern für Terror-Verdächtige rechtsfreie Räume geschaffen, die solche Taten erst ermöglichen. Mehr als 9000 Menschen sitzen in diesen Lagern fest, schätzen Menschenrechtsorganisationen.
Top-Qaida-Mann Chalid Scheich Mohammed: Mit CIA-Jet verschwunden
Auch in der US-Presse wird das Problem dieses undurchschaubaren Lagersystems immer intensiver hinterfragt. Das Nachrichtenmagazin "Newsweek" schreibt sogar von einem System der weltweit "ausgebreiteten Gulags" der USA. Von diesen Lagern gibt es außerhalb der USA gut ein halbes Dutzend. Das bekannteste, Guantanamo auf Kuba, erscheint unter ihnen immer mehr wie ein "Ferienlager" ("Süddeutsche Zeitung"). Immer wieder wird das Lager vom Roten Kreuz kontrolliert, außerdem haben die USA die "big shots" der Qaida dort gar nicht erst hingebracht. Trotzdem werden auf Kuba viele der Gefangenen, die meist in den ersten Kriegstagen irgendwo in Afghanistan festgesetzt wurden, vermutlich noch Jahre bleiben.
Viel schlimmer scheint es in den abgeschirmten Lagern zuzugehen. So werden auf der US-Basis im afghanischen Bagram noch mehrere hundert mutmaßliche al-Qaida-Kämpfer ohne jeden Rechtsstatus in Stahl-Containern festgehalten. Um den Willen der Verdächtigen zu brechen, werden die Temperaturen der Container von sehr hoch schlagartig auf arktische Kälte umgestellt. Im Fall des Kuweiters Omar al-Faruk soll diese "Behandlung" recht schnell zu umfangreichen Aussagen geführt haben, berichtete das "Time"-Magazin. Ebenso würden Medikamente für Schwerkranke einfach verweigert, wenn sie nicht kooperieren, berichten ehemalige Gefangene.
In ihren Aussagen ist auch von Dauerbeschallung in den Zellen die Rede. Einige Gefangene wurden wie die Iraker in Abu Ghureib nackt ausgezogen, berichtete erst am Wochenende ein ehemaliger Häftling der "New York Times". Mindestens zwei Häftlinge starben schon in Bagram. Die internen Untersuchungen des Militärs konnten bisher noch keine Schuldigen benennen, obwohl die Vorgänge schon mehr als ein Jahr her sind.
Schwarze Löcher in Sachen Menschenrechte
Folter in Abu Ghureib: Die Realität der "schmerzhaften Positionen"
Daneben existieren in Afghanistan noch mehrere streng geheime Verhörzentren der CIA in Kandahar, Khost und in Gardez. Das Verhörzentrum in der Hauptstadt Kabul nennen US-Soldaten in Afghanistan hinter vorgehaltener Hand gern "Hundekäfig", da die Zellen dort eigentlich für Tiere gebaut sind. Kontrolliert werden die geheimen Terror-Lager nicht. Selbst das Rote Kreuz erhält nur manchmal Zugang zur Airbase in Bagram, wohlgemerkt erst, wenn die wichtigen Gefangenen fort gebracht wurden, wie Soldaten berichten. Die anderen Stützpunkte - meist Basen der Special Forces - sind hermetisch abgeriegelt und de facto schwarze Löcher in Sachen Menschenrechte. In der südlichen Provinzhauptstadt Kandahar internieren die US-Truppen ihre Verdächtigen rund um die ehemalige Villa von Taliban-Führer Mullah Omar, die am Stadtrand liegt.
Afghanistan ist aber nur ein Standort des weltweiten Lager-Systems. Auf der Insel Diego Garcia im Indischen Ozean sitzen ebenfalls mutmaßliche al-Qaida-Terroristen ein. Vielleicht sind hier sogar die Top-Leute Ramsi Binalshibh und Chalid Scheich Mohammed zu finden, die nach ihrer Festnahmen in Pakistan in einem unmarkierten Lear-Jet der CIA verschwanden. Weder die Zahl der Gefangenen auf der kleinen Insel noch ihre Identität sind bekannt. Daneben unterhalten die USA noch ein Lager in Thailand, wie durch die Vernehmung des Top-Terroristen Hambali bekannt wurde. Auch in Pakistan soll es an der Grenze zu Afghanistan ein Camp geben, das mehr oder weniger von der CIA geleitet wird. Auch raunen deutsche Geheimdienstler immer wieder von zwei Flugzeugträgern, die angeblich als mobile Verhör-Zentren umgebaut worden sein sollen.
CIA-Chef George Tenet: Wassertonnen für Verdächtige
Den klandestinen Orten ist eins gemeinsam. Da sie sich nicht auf US-Boden befinden, ist quasi alles erlaubt. Wie weit die USA dabei die Grenze schon überschritten haben, zeigen die offiziellen Aussagen zu den Vernehmungen im Irak. Auch wenn die Verantwortlichen so manche Folter durch Euphemismen wie "Schlafmanagement" oder "Ernährungswechsel" tarnen, wurde der brutale Umfang der Überzeugungsmaßnahmen sehr deutlich.
Laut Aussagen des militärischen Geheimdienstchefs sind folgende Maßnahmen durch Regeln des Militärs gerechtfertigt: Gefangene dürfen bis zu 30 Tagen isoliert werden, die Wächter dürfen ihnen die Kleidung abnehmen und sie ständig mit lichtundurchlässigen Kapuzen orientierungsunfähig machen. Zusätzlich erlauben die Regeln, die Gefangenen bis zu vier Tagen am Stück wach zu halten und ihnen die Nahrung zu verweigern. Abstrakt werden auch das Erzeugen von "Stresssituationen" und der Zwang der Gefangenen zu "anstrengenden Körperhaltungen" als zulässig erklärt. Für hartnäckige Aussageverweigerer könne der Verteidigungsminister persönlich noch brachialere Maßnahmen abzeichnen, sagte ein Armee-Oberer bei den Ausschusssitzungen in Washington.
Verschleppung in Folter-Länder
Für besonders wichtige Gefangene haben sich die Strategen der CIA noch eine weitere Variante ausgedacht. Mehrere der Top-Qaida-Leute wurden kurzerhand in Drittstaaten geflogen, die von Menschenrechtsorganisationen als Folterländer geächtet sind. Dort verfolgen die CIA-Agenten die Verhöre nur als Beobachter - faktisch aber stellen sie die Fragen und lassen die Polizisten nach den lokalen Sitten vorgehen. Die Methoden sind ebenso zynisch wie erfolgreich: Der deutsche Terror-Anwerber Haydar Zammar, der bei einer Reise in sein Geburtsland Marokko auf unerfindlichen Wegen in Syrien landete, packte im Faris-Filastin-Knast nahe Damaskus nach mehreren Sitzungen mit den syrischen Geheimdienstleuten aus. So lieferte er den US-Ermittlern wichtige Hinweise über die Planung des 11. Septembers. Monate nach den Amerikanern durften schließlich auch deutsche Ermittler zu Zammar in die Zelle.
Verhafteter Zammar: Vernehmung in Syrien
Die Fotos der Misshandlungen im Irak lassen nun so manchen CIA-Agenten nervös werden. Obwohl die Machenschaften des Dienstes laut einem Bericht der "New York Times" vom US-Präsidenten persönlich abgesegnet wurden, könnten die Untersuchungen zum Irak unangenehme Details öffentlich werden lassen. Zum Beispiel dürften sich die Ausschussmitglieder laut dem "NYT"-Bericht für ein internes CIA-Ermittlungsverfahren interessieren, in dem gegen einen Agenten wegen des Einsatzes seiner Waffe im Verhör recherchiert wird. Oder für eine Technik, bei der die Verdächtigen in eine Wassertonne gesteckt werden und ihnen damit gedroht wird, sie zu ertränken. Laut dem Zeitungsbericht soll diese Methode bei dem Bin Laden-Vertrauten Chalid Scheich Mohammed zu einem umfangreichen Geständnis geführt haben.
Mittlerweile werden in der sonst verschworenen Geheimdienstgemeinde Amerikas deutliche Risse sichtbar. So distanzierten sich Agenten vom FBI gegenüber der "New York Times" deutlich von ihren Kollegen bei der CIA. Beim FBI soll es laut dem Bericht gar eine interne Anweisung geben, bei den Befragungen der CIA-Kollegen lieber den Raum zu verlassen, um kein Risiko einzugehen. Selbst der US-Präsident habe den CIA-Oberen klar gemacht, dass er nicht allzu genau über die Praktiken der eigenen Agenten und die Aufenthaltsorte der Top-Gefangenen informiert werden möchte. Schon jetzt aber fürchtet der Auslandsgeheimdienst, bei einem Präsidentenwechsel könnte Bushs Nachfolger auf die Idee kommen, sich die heiklen Vorgänge einmal genauer anzusehen.
Die Macht der Bilder
Luftwaffenstützpunkt Diego Garcia: Verhöre ohne Kontrolle
So schockierend die Fakten über die folterähnlichen Methoden sind, so lange wissen Politiker über sie Bescheid. Die Senatoren wurden regelmäßig in vertraulichen Ausschüssen unterrichtet. Ganz offiziell skizzierte der Anti-Terror-Beauftragte im Außenministerium die neue Linie. "Nach dem 11. September haben wir die Samthandschuhe ausgezogen", berichtete Cofer Black den Politikern. Rumsfeld äußerte sich lange ähnlich: Die Gefangenenlager seien "kein Country-Club". Bush scherzte, die USA gingen mit ihren Gefangenen wenigstens besser um als Bin Laden mit seinen Gefangenen.
Solche Witze sind den Regierungsmitgliedern angesichts der Bilder von Abu Ghureib gründlich vergangen. Die Fotos füllten abstrakte Begriffe wie "Stresssituationen" plötzlich mit grausamem Inhalt. Nun können sich auch die Politiker vorstellen, was man sich unter dem Prinzip "stress and duress" vorstellen muss und was es in Wirklichkeit bedeutet, die Gefangenen nackt in ihren Zellen zu halten. Auch die Opposition, die lange schwieg, scheint aufzuwachen.
So manchem Politiker in den USA wird klar, dass man sich jahrelang mit dem Wunsch nach einem aktiven Anti-Terror-Kampf offenbar in radikalste Methoden verstiegen hat. Die USA sitzen plötzlich auf der internationalen Anklagebank. Vor allem den Demokraten schwant, dass sie sich dieses Spiel zu lange angeschaut haben, ohne die richtigen Fragen gestellt zu haben. "Jeder von uns weiß, dass geheimdienstliche Erkenntnisse für unsere Sicherheit mehr als wichtig sind", gab der demokratische Senator Evan Byah bei der Ausschusssitzung am vergangenen Montag zu bedenken, "doch wir müssen uns auch fragen, ob wir in den letzten Jahren die Grenzen unser eigenen Maßstäbe aus den Augen verloren haben."
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