VERFASSUNGSGERICHTSURTEILStratthaus plädiert für "Schuldenbremse" in den LändernÜber die erfolglose Berlin-Klage freut sich Baden-Württembergs Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Er sieht eine nur noch eingeschränkte Verpflichtung gegenüber hochverschuldeten Ländern - und auch an den Finanzausgleich will der Minister ran. SPIEGEL ONLINE: Herr Stratthaus, wie glücklich sind Sie jetzt, nach der Niederlage Berlins vor dem Bundesverfassungsgericht? Stratthaus: Glücklich ist übertrieben, wir stimmen kein Triumphgeheul an. Aber ich bin zufrieden, denn eine andere Entscheidung hätte vielleicht Berlin geholfen, aber zu einer Erosion unseres gesamten Finanzierungssystems geführt. Wenn Berlin Recht bekommen hätte, wären demnächst eine ganze Reihe weiterer Länder auf der Matte gestanden. Unser föderales System wäre ins Wanken geraten. SPIEGEL ONLINE: Aber Berlin ist Hauptstadt, muss der Bund da nicht helfen? DPAFinanzminister Stratthaus: "Föderales System wäre ins Wanken geraten" Stratthaus: Wo Berlin Hauptstadtfunktionen erfüllt, soll es durchaus eine besondere Behandlung erfahren. Ich meine auch, dass Berlin noch aufholen muss, bis es gleichwertig neben London oder Paris stehen kann. Aber dennoch gibt es Punkte, die mit der Hauptstadtfunktion nichts zu tun haben: Dass Berlin zum Beispiel ungeheuer viele landeseigene Wohnungen hat, die andere Bundesländer und Städte längst schon verkauft haben. Wir erheben Studiengebühren, Berlin nicht. Berlin hat einen wesentlich geringeren Hebesatz bei den Kommunalsteuern als wir. Und so weiter. Berlin kann sich also durchaus selbst helfen. Und für die Hauptstadtbelastungen hat der Bund Berlin Sonderzuweisungen eingeräumt, etwa bei Aufwendungen für die Sicherheit.SPIEGEL ONLINE: Für den Fall, dass Berlin gewonnen hätte, hatten sie eine eigene Klage gegen den Länderfinanzausgleich angedroht. Nach Berlins Niederlage sind Sie also wieder vollauf zufrieden mit den Finanzbeziehungen der Länder? Stratthaus: Dem aktuellen Länderfinanzausgleich haben wir nur unter erheblichem Bauchgrimmen zugestimmt. Das Gesetz ist ja erst seit eineinhalb Jahren in Kraft. Und nach dieser kurzen Zeit kann man nicht dagegen klagen. Wir werden aber noch einmal ganz genau nachprüfen, ob das geltende Finanzausgleichsrecht tatsächlich jenen Maßstäben entspricht, die das Verfassungsgericht auch in seinem Berlin-Urteil wieder aufgestellt hat. Und wenn wir nach sehr sorgfältiger Prüfung zu einer anderen Meinung kommen, müssen wir über eine Klage nachdenken. SPIEGEL ONLINE: In der aktuellen Diskussion fordert Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) ein "Frühwarnsystem" sowie eine "Schuldenbremse". Welche Ideen haben Sie? Stratthaus: Ich würde die Betonung nicht auf das Frühwarnsystem legen, denn die Finanzminister haben sehr wohl eine Vorstellung über die Finanzlage ihrer Länder. Wichtiger scheint mir, frühzeitig gegen eine drohende Schieflage vorgehen zu können. Mein Vorschlag: Ein verfassungswidriger Haushalt sollte durch einen zügigen einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht gestoppt werden können. SPIEGEL ONLINE: Was heißt das konkret? Stratthaus: Da gibt es zum Beispiel den Finanzplanungsrat aus Bund, Ländern und Kommunen. Der tagt zwei Mal im Jahr und veranschlagt die Ausgaben und Einnahmen für die nächste Zeit. Diesen Rat müsste man stärken, dann hätte man ein Frühwarnsystem. Der nächste Schritt: Gegen übermäßige Schuldenmacher könnte ich mir eine "Schuldenbremse" in dem Sinne vorstellen, dass alle Länder in ihren Haushaltsordnungen oder Verfassungen ab einem bestimmten Zeitpunkt ein Verschuldungsverbot verankern. Wir in Baden-Württemberg werden das tun. Wenn ein Land dagegen verstößt, kann die Opposition klagen.SPIEGEL ONLINE: Einen Eingriff von Bundesseite favorisieren Sie nicht? Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) hat einen "Sparkommissar" ins Gespräch gebracht. Stratthaus: Das wäre staatsrechtlich nicht unproblematisch, wenn ein Land von außen vorgeschrieben bekommt, wie es seine Finanzpolitik zu machen hat. Ein "Sparkommissar" ist wirklich die ultissima ratio. Wobei ich mir Sanktionen wegen verantwortungsloser Finanzpolitik durchaus vorstellen kann. SPIEGEL ONLINE: Aber was bleibt dann darüber hinaus, um gegen Schuldenmacher vorzugehen? Stratthaus: Aus dem heutigen Urteil lese ich eindeutig heraus: Die Latte wurde höher gelegt, wann die Länder füreinander einzustehen haben. Und das wird Auswirkungen auf das Rating haben. Das Kredit-Rating der schwachen Länder wird sinken - sie bekämen dann irgendwann am Kapitalmarkt eben kein Geld mehr. Heute hat ja ein total verschuldetes Land wie Berlin noch immer ein hohes Rating, weil die Kreditgeber sagen: Naja, am Ende werden es der Bund und die anderen Länder schon bezahlen. SPIEGEL ONLINE: Die Sache mit dem Rating erinnert sehr an das so genannte Geheimtreffen der reichen Länder am Tegernsee im Mai. Damals haben Hamburg, NRW, Bayern und Baden-Württemberg den Schuldenstaaten mit Kompetenzentzug und einer möglichen Herabstufung im Rating gedroht, die Sonderabgaben für deren Bürger oder Kürzungen der Sozialleistungen zur Folge haben könnte. Stratthaus: Richtig. Bei diesem Treffen ist all das besprochen worden - und ich stehe natürlich weiterhin dahinter. Aber als Realist sage ich, der "Sparkommissar" wird nicht so schnell kommen. SPIEGEL ONLINE: Damals am Tegernsee wurde auch über eine Länderneugliederung nachgedacht. Stratthaus: Ich hab' nichts gegen eine Neugliederung. Aber es sollte keiner glauben, dass dadurch automatisch alle Finanzprobleme gelöst wären. Schauen Sie sich doch mal die Problemländer an: Die liegen alle nebeneinander. Wenn Berlin zu Brandenburg kommt, dann sind zwei Problemkinder zusammen. Oder wenn das Saarland zu Rheinland-Pfalz kommt. SPIEGEL ONLINE: Unser Vorschlag: Nehmen Sie doch Berlin als Baden-Württemberger Exklave auf, vielleicht aus alter Verbundenheit mit der ehemaligen Hohenzollern-Residenz. Stratthaus:(lacht) Ich glaube, dass unser Ministerpräsident darauf verzichten würde. Wenn ich die politischen Mehrheitsverhältnisse dort sehe, sind wir nicht unbedingt an einer Aufnahme Berlins interessiert. Wir würden höchstens Bayern nehmen. Das Interview führte Sebastian Fischer http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,443540,00.html
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