Leere Betten im Albergo Italiano
Italiens Tourismusbranche leidet - Amerikaner und Japaner bleiben fern -
Italiener müssen sparen von Barbara Wörmann
Rom - Palmiro Ucchielli ist außer sich. Nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Besuch in Pesaro abgesagt hat, sucht Ucchielli nach einem Schuldigen, der ihm den Imageverlust für seine Provinz bezahlt - am besten Silvio Berlusconi persönlich. "Der Premierminister hätte diese Spezies von Staatssekretär für Tourismus ja abberufen können", schäumt der Provinzpräsident. Es sei undenkbar, dass ein Mann mit politischer Verantwortung sich so im Ton vergreife gegenüber einer befreundeten Nation und deren Regierungschef.
Damit dürfte Ucchielli einem Großteil der Italiener aus dem Herzen sprechen, denn der Tourismus ist die wichtigste Einnahmequelle des sonnenverwöhnten Landes. Mit 72 Mrd. Euro tragen Reisende sieben Prozent zum italienischen Bruttoinlandsprodukt bei. Zwei Millionen Menschen finden offiziell Arbeit im Geschäft mit der Gastfreundlichkeit, hinzu kommen zahlreiche Beschäftigte ohne Vertrag, die zur Saison an den Stränden, in der Gastronomie und in den Unterkünften ihren Lebensunterhalt verdienen.
"Wir bedauern es sehr, dass der Kanzler seinen Urlaub abgesagt hat und hoffen, dass er die Reise im kommenden Jahr nachholen kann", sagt auch Bernabò Bocca, Präsident des Tourismusverbandes Federalberghi-Confturismo. Dass Staatssekretär Stefano Stefani mit seinen abfälligen Äußerungen über die lärmenden Deutschen offensichtlich ein Eigentor geschossen hat, will Bocca jedoch nicht kommentieren.
Dabei sind die "Tedeschi" nach Angaben des Verbandes mit vierzig Prozent der Hotelbuchungen mit Abstand die besten ausländischen Kunden der 31 220 italienischen Hoteliers - weit vor den Österreichern, Schweizern, Franzosen, Briten, US-Amerikanern und Japanern, die jeweils zehn Prozent der Betten belegen. Und auch gegenüber den einheimischen Reisenden, die etwas über die Hälfte der Hotelgäste ausmachen, hat der Gast aus dem Norden Vorteile für die Gastgeber, auf jeden Fall materielle. Denn ein Deutscher gibt während eines Strandurlaubes an der Adria 114 Euro am Tag aus, während ein Italiener mit 70 Euro auskommt.
"Wir glauben nicht, dass bereits gebuchte Reisen wegen der Vorkommnisse storniert werden", spielt Federalberghi-Präsident die Folgen des Affronts gegen den deutschen Besucher Nr. 1 herunter. Bisher hätten die Verbandsmitglieder zumindest nichts gemeldet.
Ein Boykott der Deutschen träfe die Italiener hart. Schon jetzt haben sie Mühe, ihre knapp 1,7 Mio. Betten zu belegen. In den ersten sechs Monaten diesen Jahres wurden drei Millionen Übernachtungen weniger gebucht als im Vorjahr, was einem Umsatzeinbruch von einer Mrd. Euro entspricht. Ende Juni warnte Bocca vor einem "annus horribilis" für die Branche, ein "Horrorjahr". Auf Grund der Wirtschaftkrise, SARS und dem teuren Euro waren von Januar bis Ende Juni rund 5 Prozent weniger Ausländer nach Italien gekommen. Die Italiener selbst hätten zwar das schöne Wetter genutzt, um an den Strand zu fahren, jedoch bliebe kaum einer über Nacht im Hotel, sagte Bocca.
Auch für die in zwei Wochen beginnende Hochsaison sind die Aussichten düster. In den Kunst- und Kulturstädten wie Florenz, Venedig und Verona rechnet man mit bis zu 40 Prozent weniger Amerikanern und Japanern und fünf Prozent weniger Deutschen. Und selbst auf die eigenen Landsleute ist kein Verlass mehr: Erstmals hatte mehr als die Hälfte der Italiener im Mai noch keinen Sommerurlaub gebucht. Fünf Millionen (fünf Prozent mehr als im vergangenen Jahr) waren noch unentschlossen, ob sie überhaupt verreisen würden.
Artikel erschienen am 11. Jul 2003
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