Bitte voll tanken! von Richard Cohen
Was die USA von Saudi-Arabien erwarten.
Das Vertrauen Amerikas auf saudisches Öl kann kaum übertrieben werden. Das Königreich hält etwa 25 Prozent der nachgewiesenen Ölreserven der Erde, etwa 12,5 Prozent der weltweiten Ölproduktion entfallen auf Saudi-Arabien, das der drittwichtigste Erdöllieferant der USA (nach Mexiko und Kanada) mit etwa 15 Prozent des Gesamtimports ist. Sollten sich diese Zahlen ändern, dann werden sie steigen. Im Jahr 1973, zur Zeit des Ölembargos, importierten die USA 28 Prozent ihres Bedarfs. Jetzt sind es 58 Prozent und im Jahr 2025 werden es 68 Prozent sein. Dann wird ein unangefochtener Lieferant Saudi-Arabien sein. Das Land hat genug Öl, um auch in den nächsten 70 bis 100 Jahren ein führender Produzent von Erdöl zu bleiben. Amerika hat verstanden: Noch ist Zeit, um einen benzinschluckenden Hummer anzuschaffen.
Doch während die saudischen Ölreserven mit ziemlicher Gewissheit geschätzt werden können, gibt es absolut keine Gewissheit darüber, ob Saudi-Arabien in 75 Jahren – oder auch nur in zehn Jahren – noch existieren wird. Das Land trägt schließlich den Namen einer königlichen Familie, die – im absoluten Sinn – das Land absolut regiert und in seiner Gesamtheit besitzt. Die Macht teilen sich ein Rudel einflussreicher Prinzen und der wahhabitische Klerus. Letzterer möchte, dass Saudi-Arabien ein strenger Gottesstaat bleibt, in dem das islamische Gesetz strengster Art das einzig gültige ist. Das macht das Land zu einem der seltsamsten Orte, an denen ich je gewesen bin. Ich bin sogar versucht zu sagen, dass dieses Land keinen Bestand haben kann, dass es aber trotzdem, seltsamerweise, weiterbesteht.
Der Hauptgrund dafür sind die Vereinigten Staaten. Im Jahr 1991 ist der verstorbene König Fahd auf die eindringliche Bitte der USA eingegangen, in seinem Land rund 500000 amerikanische Truppen zu stationieren. Auch wenn man es nicht meinen würde, hat er damit sich selbst (und seinem Königreich) einen Gefallen getan. Während irakische Truppen Kuwait besetzten, schien es nur eine Frage der Zeit, bis Saddam Hussein sich in Richtung Süden, nach Riad und, selbstverständlich, Mekka wenden würde. Das hätte Saddam, und nicht die Dynastie der Saud, zum Wächter der heiligen Stätten gemacht; vom mächtigsten Herrscher über die Ölreserven der Welt ganz zu schweigen. Das sind Aussichten, die einen immer noch erschaudern lassen, und jeder saudi-arabische Stratege weiß, dass es wieder passieren könnte. Vielleicht nicht von Seiten des Irak, sondern des Iran. Vielleicht nicht vom Iran, sondern… Wer weiß das schon? Saudi-Arabien hat nur 26 Millionen Einwohner. Der Iran hat 68 Millionen, und auch ein verdächtig aktives Nuklearprogramm sollte nicht unerwähnt bleiben. Saudi-Arabien fürchtet die Terroristen im eigenen Land, Bedrohungen aus dem Ausland und die Modernisierung per se. Das Land kann nicht so bleiben, wie es ist. Das steht fest. Es kann sich aber auch nicht zu schnell – oder, in den Augen der religiösen Führung, eigentlich gar nicht – verändern. Auch das steht fest.
Und solange die USA Saudi-Arabien für sein Öl (nicht für die charmanten demokratischen Vorzüge oder die exotischen Enthauptungen) anbeten und romantisieren, gewähren die Saudis die Sicherheit. Beide Länder haben ihre so genannte Politik, aber in Wahrheit sind sie voneinander abhängig. Die USA können nicht – und werden auch nicht – von ihrem Benzinverbrauch abrücken und die Saudis können sich nicht flugs modernisieren, weil, erstens, die königliche Familie Angst davor hat, zweitens, der Klerus es verbietet, und drittens, die Emotionen der Menschen etwas mysteriös sind. Beide Länder reagieren zu stark – die auf den freien Markt eingestellten Republikaner in den USA, der Klerus und die königliche Familie in Saudi-Arabien. Wer weiß schon, wie es um die saudische Bevölkerung steht? Schließlich handelt es sich hier um ein Land, in dem noch nie eine demokratische Wahl stattgefunden hat und in dem Frauen nicht einmal Auto fahren dürfen. Ominöserweise steht auf den Dächern des Königreichs eine Satellitenschüssel neben der anderen. Der König bestimmt, der Klerus trägt vor, aber was kommt vom Himmel? Wenn es eine Revolution gibt, dann wird sie heruntergeladen.
Bis es so weit ist, bleiben die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien unverändert.
Der Benzinpreis steigt weiter, wäscht die Fehler, die Faulheit, die Inkompetenz und die Korruption mit einem sonnigen Regenguss von reinigendem Geld weg. Eine Abrechnung wird kommen – aber jetzt noch nicht, vielen Dank. Bis dahin werden die Vereinigten Staaten ihre Politik gegenüber Saudi-Arabien beibehalten, die nur aus vier Worten besteht: „Einmal voll tanken, bitte.“
http://www.cicero.de/97.php?ress_id=1&item=774
Viele Grüße Der Bernd
|