Luftfahrt Keine Entwarnung für europäische Fluggesellschaften Experten erwarten Konsolidierungswelle - Kleinere Anbieter werden Treibstoffkosten auf Dauer nicht kompensieren können. Von Patrizia Ribaudo
Frankfurt/Main - Nach dem Terroralarm in London hat sich der europäische Flugverkehr zwar weitgehend normalisiert. An den Folgen werden die Fluggesellschaften jedoch noch länger zu knapsen haben. Von einer Konsolidierungswelle könnten Experten zufolge vor allem die Billiganbieter erfasst werden. "Die Ereignisse am vergangenen Donnerstag haben deutlich gemacht, worin die Risiken für die Luftfahrtbranche liegen", sagt etwa Martina Noß, Analystin der NordLB. Sie rechnet in naher Zukunft mit einer weiteren Konsolidierungswelle in Europa. Betroffen seien vor allem die kleineren Gesellschaften. "Viele werden vom Markt verschwinden", prognostiziert die Analystin. Laut Noß sind dafür allerdings nicht nur die Terrorrisiken verantwortlich. Weit größere Schwierigkeiten bereiten den Gesellschaften die gestiegenen Treibstoffkosten. Angesichts eines steigenden Ölpreises hält es Noß deshalb für einen Fehler, sich nicht rechtzeitig über Termingeschäfte gegen steigende Kerosinpreise abzusichern. Auch Stefan Bauknecht, Fondsmanager bei der DWS hält die Frage, wie gut sich die Gesellschaften gegen steigende Ölpreise absichern, für entscheidend. Sollte sich das Thema Terror zusätzlich zum Dauerbrenner entwickeln, sieht er bereits für das dritte Quartal rot. "Ich fürchte, dass die guten Zahlen zum zweiten Quartal von Lufthansa, Ryanair und British Airways bereits das beste in diesem Jahr gewesen sein könnten", sagt Bauknecht. Da die Titel in diesem Jahr bislang gut gelaufen seien, sehe er bei den Fluggesellschaften bis auf die Deutsche Lufthansa generell kaum Kursfantasie mehr. "Die Prognosen der Fluglinien für das zweite Halbjahr waren sehr verhalten", resümiert Bauknecht. Die DWS hat ihre Einschätzung für den Sektor deshalb nach unten revidiert. British Airways und Ryanair hatten in den vergangenen Wochen bei der Vorlage der Quartalszahlen zwar die Erwartungen übertroffen und kräftige Gewinne verkündet, die Umsatzprognosen für das Gesamtjahr jedoch kaum anhoben. Als Gründe verwiesen sie auf den harten Preiswettbewerb in der Branche und die hohen Treibstoffkosten.
Als risikoreich stuft auch Per-Ola Hellgren von der Landesbank-Rheinland-Pfalz (LRP) ein Investment in Luftfahrtaktien ein. "Wer liquide bleiben will, sollte derzeit keine Papiere europäischer Fluglinien kaufen", rät der Analyst. Derzeit seien die Aktien von Fluggesellschaften zu volatil und die Gefahr damit zu groß, zu einem ungünstigen Moment verkaufen zu müssen. Auf lange Sicht böten die Titel jedoch viel Potenzial. Deshalb rät er Anleger zu einem langen Atem. "Man sollte sich in Geduld üben. Erfahrungsgemäß beeinträchtigt der Terror die Nachfrage nur kurzfristig", ist der Analyst überzeugt.
Angetan ist Hellgren vor allem von den Aktien der Deutschen Lufthansa. Gegen steigende Kerosinpreise sei die Fluggesellschaft im Vergleich noch am besten positioniert. Bis Ende 2006 rechnet Hellgren deshalb mit einem Kurs von 17 Euro pro Aktie. Derzeit notieren die Papiere bei rund 14 Euro. "Wenn die Erinnerungen an die Terrorangst verblassen, sehe ich den Weg für die Aktie nach oben frei." Ebenso enthusiastisch für Lufthansa-Papiere zeigt sich Nils Machemehl von M.M. Warburg. Die Deutsche Fluggesellschaft habe es nicht nur geschafft, sich über Termingeschäfte günstige Kerosinpreise zu sichern, sondern die Kosten auch weitgehend auf die Kunden abgewälzt. "Die Lufthansa hat die Ticketpreise für Langstrecken geradezu atemberaubend nach oben gezogen", sagt Machemehl.
Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen sieht Noß bei der Lufthansa kein Kurspotential mehr. Sie hält die Titel mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 15 schon für fair bewertet. "Die Lufthansa hat sich zwar operativ stark verbessert, allerdings ist die Aktie bereits gut gelaufen", wendet die Analystin ein. Für zusätzliche Kursfantasie könne etwa noch eine Trennung von Thomas Cook oder von der Catering-Sparte sorgen.
Trotz seiner optimistischen Einstellung für Lufthansa-Aktien sieht ihr Kollege Machemehl ebenfalls schwere Zeiten auf die Luftfahrtbranche zukommen. Sollte sich das Wirtschaftswachstum 2007 wie erwartet abschwächen, würden auch die bislang erfolgreichen Gesellschaften an ihre Grenzen stoßen. "Dann wird sich das ganze Ausmaß des hohen Ölpreises zeigen", vermutet Machemehl. Denn dann habe auch eine Lufthansa keine Möglichkeit mehr, die Kosten auf die Passagiere abzuwälzen.
Artikel erschienen am Di, 15. August 2006
© WELT.de 1995 - 2006
|