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Um diese Seite auszudrucken, benutzen Sie bitte die entsprechenden Funktionen Ihres Browsers (z.B. Datei > Drucken). HANDELSBLATT, Montag, 08. Mai 2006, 06:00 Uhr
„Ich sehe viele, viele Pleiten“
Handelsblatt: Herr O’ Leary, wie viele Air-Berlin-Aktien haben Sie in der Vorwoche gezeichnet?
Michael O’Leary: Sind Sie verrückt? Die Nummer ist doch der größte Straßenraub seit Jahren. Da investieren tatsächlich Menschen in eine Fluglinie, die im Vorjahr 116 Millionen Euro Verlust gemacht hat. Was soll ich mit dieser Aktie?
Investieren! Air Berlin folgt doch weitgehend Ihrem erfolgreichen Geschäftsmodell einer schlank aufgestellten Billigfluglinie.
Das ist doch Quatsch. Air Berlin ist zu 80 Prozent eine Chartergesellschaft mit viel zu hohen Kosten und viel zu hohen Preisen. Allein die aktuellen Kerosinzuschläge von Air Berlin sind halb so hoch wie unser durchschnittlicher Ticketpreis. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen Ryanair und Air Berlin ist die, dass beide Firmenchefs eine große Klappe haben.
Müssen Sie das jetzt sagen, weil Air Berlin mit den Erlösen aus dem geplanten Börsengang allmählich ein unangenehmer Gegner für Ryanair wird?
Air Berlin könnte dreieinhalb Milliarden Euro kassieren, und an der Situation würde sich nichts ändern. Wir haben die niedrigsten Kosten, die niedrigsten Preise und die höchste Gewinnmarge aller Airlines weltweit. Air Berlin indes macht seit Jahren Verluste, wie die meisten anderen Fluglinien auch. LTU, DBA, HLX, Hapagfly – es ist doch verrückt. Sorry, aber im deutschen Flugverkehr werden immer neue Millionen in dummes Zeug investiert.
Ihr „Blutbad“, das Sie der europäischen Flugbranche vor Jahren prophezeit haben, ist bisher aber ausgeblieben. Abgesehen von kleineren Firmenpleiten halten sich die meisten Airlines noch immer in der Luft.
Das Blutbad können Sie tagtäglich am Himmel über Deutschland sehen. Überall wird das Geld mit beiden Händen zum Fenster hinausgeworfen. Das ist absurd.
Der deutsche Flugmarkt ist besonders hart umkämpft. Ist das der Grund, weshalb Ryanair in anderen Auslandsmärkten wie Italien oder Spanien präsenter ist als hier?
Dafür, dass uns der frühere Lufthansa-Chef Jürgen Weber vor sieben Jahren ein kurzes Gastspiel prophezeit hat, schlagen wir uns prächtig. Ryanair fliegt hier inzwischen sechs Millionen Passagiere pro Jahr und wird diese Zahl bis 2012 auf zwölf Millionen Fluggäste verdoppeln. Nein, wir gehen diesem kranken Wettbewerb in Deutschland bestimmt nicht aus dem Weg.
Ursprünglich wollte Ryanair schon 2003 innerdeutsche Flüge anbieten. Daraus ist bis heute nichts geworden.
Das macht erst Sinn, wenn wir in Deutschland eine zweite Flughafenbasis haben. Ich gehe davon aus, dass wir die bis Ende des Jahres bekannt geben werden.
Die beliebtesten Europastrecken sind von Billigfliegern inzwischen doppelt und dreifach besetzt. Dennoch haben Sie über die nächsten Jahre weitere 135 Boeing-Flugzeuge fest bestellt. Wo sollen die alle fliegen?
Es ist nicht schwer zu wachsen, wenn unser durchschnittlicher Ticketpreis so viel niedriger liegt als der von Lufthansa oder Air Berlin. Weshalb sind Aldi oder Lidl in einem gesättigten Markt so erfolgreich? Weil sie die niedrigsten Kosten haben und über Wachstum die Preise weiter senken.
Sind Flüge nach Nordafrika nicht Warnsignale, dass sich der Markt in Europa der Sättigungsgrenze nähert? Oder bekommt Ryanair Geld dafür, dass künftig Ziele wie Fes in Marokko angeflogen werden?
Sagen wir es so: Es gab ein Angebot, das wir nicht ablehnen konnten. Marokko will mit uns gemeinsam den Tourismus weiterentwickeln. Es ist ein Konzept, das beiden Seiten Erfolg verspricht.
Auch bekanntere Ferienziele wie Teneriffa sollen Interesse signalisiert haben. Expandiert Ryanair bald auf die Kanaren und bedrängt damit weitere Chartergesellschaften?
Wir verhandeln mit etwa 80 Flughäfen in Europa und fliegen dort hin, wo wir ein gutes Angebot bekommen. Ob Teneriffa darunter ist, sage ich Ihnen nicht. Wir veröffentlichen neue Flugziele dann, wenn beide Seiten unterschrieben haben.
Der immer weiter steigende Ölpreis muss Sie besonders treffen, weil Ryanair derzeit keine Treibstoffsicherung hat. Warum eigentlich nicht?
Weil es im Moment keinen Sinn macht. Das aktuelle Preisniveau ist für Hedging-Aktivitäten viel zu hoch.
Also galoppieren Ihnen die Kerosinkosten davon. Ist so etwas zu kompensieren?
Teilweise über ein höheres Passagierwachstum, weil immer mehr Gäste wegen der Kerosinzuschläge vieler Hochpreis-Carrier zu uns flüchten. Wenn du eine Billigfluggesellschaft sein willst, solltest du die Finger von Kerosinzuschlägen lassen. Aber fast alle machen es – außer Ryanair.
Teilweise Kosten kompensieren heißt nicht ganz ...
Wir sind darauf vorbereitet, dass wir bei anhaltend hohen Ölpreisen in den nächsten Jahren einen Rückgang unserer Gewinnmargen in Kauf nehmen müssen. So könnten wir im laufenden Geschäftsjahr leicht unter die 20-Prozent-Marke rutschen. Aber selbst wenn der Ölpreis auf 100 Dollar steigen würde, blieben wir in der Gewinnzone – vermutlich als einzige Airline weltweit.
Ryanair bietet derzeit Hin- und Rückflüge ab Deutschland für 33 Euro inklusive Steuern und Gebühren an. Sind wir uns einig, dass man mit Tickets auf diesem Niveau bei diesem Ölpreis kein Geld mehr verdienen kann?
Gut, wir machen nicht viel Geld mit diesen Ticketpreisen. Aber immer mehr Kunden kaufen Sandwiches an Bord, sie buchen Hotels über unsere Internetseite oder bestellen sich einen Mietwagen. Diese Nebeneinnahmen spielen eine entscheidende Rolle, und wir werden sie weiter steigern. Obwohl wir 25 Prozent unserer Sitze bereits mehr oder minder verschenken, sind wir profitabler als alle anderen. In fünf Jahren wollen wir unser komplettes Sortiment an Flugsitzen zum Nulltarif anbieten. Das Geld müssen wir uns dann von anderen Partnern in der Wertschöpfungskette holen. Vielen Airports stehen die Gewinne nicht zu, die sie derzeit machen.
Gewinne? Ihre deutsche Basis Hahn im Hunsrück machte 2005 noch 16 Millionen Euro Verlust, obwohl die Passagierzahlen seit Jahren steigen. Kritiker halten Ihnen vor, dass Ryanair vorwiegend von Subventionen aus Gebieten mit schwacher Infrastruktur lebt.
Unsere Kritiker sind in der Regel große Monopolisten, die sich vor Wettbewerb fürchten: entweder Staatslinien oder Flughäfen, die den einfacheren Weg vorziehen und Kunden mit hohen Flugpreisen und hohen Gebühren abzocken. Absprachen, wie wir sie mit Flughäfen treffen, stehen allen Mitbewerbern offen. Es wäre besser, wenn sie diese Möglichkeiten nutzen würden, anstatt über unfairen Wettbewerb zu jammern.
Mit Blick auf neue Wachstumsregionen schauen auf dem Kontinent derzeit alle nach Osteuropa. Wird dort der nächste Expansionsschwerpunkt sein?
Nein. Es gibt in Osteuropa Wachstum, aber auf einem noch sehr bescheidenen Niveau – zumindest was den Luftverkehr angeht. Viel interessanter ist es für uns, neue Basen im Westen Europas zu errichten. Wir konzentrieren uns stark auf Italien, Spanien, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Da wird erstens mehr Geld für Flugreisen ausgegeben. Außerdem sind die Ziele im Süden und Westen viel attraktiver für den touristischen Verkehr.
Es gibt derzeit mehr als 50 Billigflieger in Europa und viele klassische Fluglinien, die stark unter Preis- und Kostendruck geraten. Wie wird sich der Luftverkehr in zehn Jahren Ihrer Meinung nach konsolidiert haben?
Es gibt ganz oben die Hochpreis-Carrier wie Lufthansa und im unteren Segment Ryanair. Dazwischen sehe ich ein schwarzes Loch – und viele, viele Pleiten.
Gibt es für Sie ein Leben nach Ryanair?
Aber sicher. Ich bin 45 – und Ryanair werde ich bestimmt nicht noch 20 Jahre machen.
Als Airline-Berater kann man Sie sich schlecht vorstellen.
Natürlich nicht. Das machen nur Leute, die es im Unternehmen nicht geschafft haben.
Aldi würde besser zu Ihnen passen.
Nein, die sind auf ihrem Gebiet schon viel zu erfolgreich. Ich werde mir eine andere Branche suchen.
Das Gespräch führte Matthias Eberle.
MfG kiiwii
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