10.04.2010 Handel nach der Pleite
Warum Aktionäre Wertpapiere insolventer Unternehmen kaufen
VON JAN RÖSSMANN
Höhe ist relativ | MONTAGE: KATHRIN BRINKMANN
Bielefeld. Der Aktienhandel ist ein eigentümliches Geschäft: Von den 22 börsennotierten Unternehmen Ostwestfalens ist eine Handvoll zahlungsunfähig. Und obwohl der Großteil dieser Aktien nur noch wenige Cent wert sind - wird mit den oft spottbilligen Wertpapieren munter weiter gehandelt.
Der Platzhirsch unter den ostwestfälischen Aktiengesellschaften ist der Geldautomaten- und Computerkassenhersteller Wincor Nixdorf. Ein Wertpapier des Unternehmens aus Paderborn kostet derzeit mehr als 50 Euro. Wer etwas Günstiges auf dem Börsenparkett sucht, muss woanders zugreifen: Für wenige Cent sind zum Beispiel die Papiere des Bielefelder Softwareunternehmens Ceyoniq zu haben, des Mindener Hausbauers Kampa, des Lübbecker Kleiderherstellers Hucke oder des Gütersloher Software-Unternehmens Lycos Europe zu haben. Doch im Gegensatz zu Wincor Nixdorf stecken die Aktiengesellschaften mit diesen Namen in Schwierigkeiten; einige sind seit langem insolvent, andere schlicht zerschlagen.
Warum greifen trotzdem Käufer zu? So stieg der Wert der Hucke-Aktie vor wenigen Tagen noch um mehr als 70 Prozent auf 4 Cent, obwohl die Marke bereits vor eineinhalb Jahren vom Markt verschwunden ist. "Solche Käufe sind ein hochspekulatives Glücksspiel", sagt Fondsbetreuer Matthias Steinhauer. "Da gibt es kaum Erträge." Doch weil solche Aktien günstig sind, ist es möglich, mehrere hunderttausend zu kaufen. Die Aktionäre hoffen, dass es dem Unternehmen irgendwann besser geht - oder dass Käufer den Mantel oder den Namen des Pleite-Unternehmens weiternutzen.
Ceyoniq-Aktie dümpelt im Centbereich So wie bei Ceyoniq. Die damals noch junge Aktiengesellschaft aus Bielefeld brach im Frühjahr 2002 spektakulär zusammen. Heute produziert ein Nachfolger gleichen Namens wieder erfolgreich Software als Kapitalgesellschaft - doch die Aktie der alten AG dümpelt weiterhin im Centbereich dahin. "Der Neue Markt war auch in OWL eine Brutstätte für insolvente Aktiengesellschaften", sagt Steinhauer mit Seitenblick auf Lycos über insolvente Börsengänger. Auch Firmen aus anderen Branchen schafften die Markenrettung nach einer Insolvenz - wie etwa der ehemals in Minden ansässige Hausbauer Kampa, der im Oktober 2007 zahlungsunfähig wurde. Heute können Kunden wieder Holzgebäude unter dem Namen Kampa kaufen. Die gleichnamige GmbH gründete sich neu in Baden-Württemberg mittels lizenzierter Markenrechte der insolventen Kampa AG aus Minden.
Doch auch Kampa ist immer noch börsennotiert. "Einige Unternehmen möchten so ihren Aktionären die Möglichkeit bieten, die Aktie wenigstens für kleines Geld noch zu verkaufen", sagt Hans-Dieter Kupilas von der Sparkasse Bielefeld. Zumal es besonders rufschädigend für die Marke sei, die Börse zu verlassen. Das könnte auch neue Träger des Namens schaden.
Insolvenzverwalter sieht gute Chancen für Paragon Der insolvente Delbrücker Autozulieferer Paragon ist aus anderen Gründen noch börsennotiert. "Der Insolvenzverwalter sieht derzeit gute Perspektive für das Unternehmen", sagt Paragon-Sprecher Matthias Hack. Nicht zuletzt deshalb wird das Wertpapier auch in der Insolvenz wohl noch für zwei Euro pro Stück gehandelt.
Gänzlich vom Börsenkurszettel kommen Unternehmen erst, wenn der Verwalter das Insolvenzverfahren für beendet erklärt - also meist, nachdem die Ansprüche der Gläubiger im Rahmen der Möglichkeiten befriedigt sind, sagt Fondsbetreuer Matthias Steinhauer: "Das kann ewig dauern."
Die Chemie stimmt nicht mehr Die Aktien des ehemals gigantischen Frankfurter Chemie-Unternehmens IGFarben sind noch immer börsennotiert, obwohl die operativen Geschäfte des Mutterkonzerns seit Jahrzehnten ruhen. Wegen der tiefen Verstrickung der IG Farben in die nationalsozialistische Rüstungspolitik begannen die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg damit, das Unternehmen zu zerschlagen. Seit 1955 befand sich die IG Farben in Abwicklung (IG Farbenindustrie AG i. A.). Ihre einzige Aufgabe war es, alte Ansprüche zu verwalten und die rechtliche Verantwortung zu übernehmen. Die aus der IG Farben hervorgegangenen Unternehmen wie Agfa, BASF, Hüls, Bayer, Hoechst konnten die Verantwortung für während der NS-Zeit begangene Verbrechen ablehnen und auf die IG Farben i. A. verweisen. Frühere Zwangsarbeiter und einige Aktionäre forderten immer wieder, das Unternehmen endgültig aufzulösen und sein Kapital für Entschädigungen zu verwenden. Doch im November 2003 meldeten die Liquidatoren der IG Farben Insolvenz an - wegen finanzieller Schwierigkeiten. Dennoch sind die Aktien der IG Farben i.A. auch im Jahr 2010 börsennotiert. (röß)
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