Die „SZ“ berichtet über ein rechtsextremistisches Flugblatt, das vor 35 in Hubert Aiwangers Schultasche gefunden wurde, und dass er der Autor sein soll. Dessen bezichtigte sich inzwischen Aiwangers Bruder.
Wie war es wirklich mit Aiwangers Flugblatt? Bis ins letzte Detail wird das niemals jemand erfahren. Entsprechend muss man die Berichte bewerten und als Journalist die Informationen behandeln. Hat die „SZ“ das getan? Ein Kommentar.
Es ist kein Fehler, dass die Sache mit Aiwangers Flugblatt bekannt geworden ist. So kann sich jeder eine eigene Meinung bilden. War es eine Jugendsünde oder nicht? Welche Bedeutung hat das widerliche Geschmiere heute? Oder ist es Hubert Aiwanger sogar als ehrenvoll anzurechnen, dass er sich vor seinen Bruder stellt, der sich bekannt hat, der Autor zu sein?
Ob und welcher Schaden den „Freien Wählern“ aus der Affäre erwächst, wird man sehen. Er könnte begrenzt bleiben, je nachdem, wie die persönlichen Antworten auf obige Fragen ausfallen.
Schlecht gelaufen auch für die „SZ“
Wer sich nach den ersten Anschuldigungen unmittelbar auf Aiwanger stürzte, sah nach der Selbstbezichtigung des Bruders jedenfalls nicht glücklich aus. Schlecht gelaufen ist die Sache auch für die „Süddeutsche Zeitung“. Ein Stück weit, weil sie den Vorgang überhaupt aufgriff. Nach so langer Zeit sieht dies kurz vor einer Wahl nicht nach Zufall aus. Hier hat sich eine Redaktion einspannen lassen von Aiwangers politischen Gegnern.
Das mag man hinnehmen, ist die Sache doch von erheblicher Relevanz. Das hohe Ross allerdings, der unbelegte und mutmaßlich falsche Kernvorwurf der Urheberschaft, der machtbesoffene Tonfall und die presserechtlichen Mängel sortieren sich ein in eine Art von Journalismus‘, die unser Haus zumindest ablehnt: Presserecht und persönliches Recht werden wissentlich gebrochen. Manche Journalisten fühlen sich moralisch dazu legitimiert. Andere bewerten im Stil der frühen „Bild“ den publizistischen Erfolg höher als die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten, so wie es zuletzt auch bei manchen Me-Too-Beiträgen war.
Im Trend geht das zu weit. Nach wie vor sind auch bei Aiwanger viele Deutungen möglich: Springt sein Bruder jetzt als Sündenbock ein? Oder hatte Aiwanger Junior die Exemplare nur in der Tasche, weil er sie einkassieren wollte? Nichts davon ist belegbar, aber alles lange her. Kein Grund zum Stolz
Im digitalen Raum wird ein „Recht auf Vergessen“ etabliert. Im juristischen Kontext verjähren Taten, werden Eintragungen und Strafen zumal von Minderjährigen nach definierten Fristen gelöscht. Hier nun hat ein missgünstiger Lehrer nach 35 Jahren abstoßende KZ-Fantasien eines Teenagers hervorgeholt. Das ist keine pädagogische Heldentat. Redakteure schreiben sie auf, berauscht von der erhofften Wirkung. Das ist keine publizistische Glanzleistung. Niemand hat Grund, auf diese Enthüllung stolz zu sein: der Lehrer nicht; die Journalisten nicht; Aiwanger und sein Bruder natürlich zuletzt. Sie sollten sich in Grund und Boden schämen. So wird es auch sein. Und das genügt dann vielleicht auch.
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