@käsch
Die Russen, die bei Gazprom wirklich was zu sagen haben, sind an so kurzfristigem Zeug wie dem Hochhalten von Aktienkursen garantiert nicht interessiert. Putin und Co denken in langfristiger und vor allem "realer" Macht. Insofern ist gerade die Gazprom-Aktie wohl eine der unterbewertesten der Welt. Die haben mehr Energiereserven als Exxon oder Petrochina, die deutlich höher bewertet sind. Und Gazprom hat auch keine Eile, diese Reserven vorschnell leerzuräumen, außer zum selbst diktierten Preis. Andere Konzerne müssen fürchten, dass sich die politischen Rahmenbedingungen verschlechtern (höhere Fördergebühren...) und sie vielleicht sogar aus einem Land rausgeekelt werden, Gazprom hingegen "besitzt" praktischerweise den Staat mit den größten Erdgasreserven. Die verlangten Preise werden auch für die GUS-Nachbarländer und innerhalb Russlands zur Zeit schrittweise angehoben, die Gewinnmargen also recht verläßlich erhöht (mit Unterstützung des Westens, der sich gegen Wettbewerbsverzerrungen duch niedrigere Energiepreise innerhalb Russlands ausspricht).
Trotz der zögernden und schlampigen Erschließung wird bei Gazprom für 2008 ein knapp einstelliges KGV erwartet. Ein ausgezeichneter Wert, den sonst nur Firmen mit höherem Risiko und geringerem Substanzwert (vgl. Energiereserven im vielfachen Aktienwert) aufweisen. Angesischts des zur Zeit über den Analystenschätzungen liegenden Ölpreises wird der tatsächliche Gewinn wohl deutlich höher ausfallen (Preisformel für den Westen mit durchschnittlich einem halben Jahr Zeitverzögerung an den Ölpreis gebunden). Außerplanmäßige Gewinne verspricht auch die Ukraine. Die Ukraine erhält ihr Gas primär aus einem günstigen Liefervertrag mit Kasachstan, wenn die aber nicht genug liefern können, dann steuert Gazprom eigenes Gas bei (zu massiv höheren Westpreisen). Genau das war in diesem Winter bisher über Plan der Fall, die Ukraine leidet unter den Mehrkosten, Gazprom treibt sie rücksichtslos ein.
Und auch an einigen anderen Fronten siehts für Gazprom mittelfristig sehr gut aus:
Die serbische Ölgesellschaft wurde eben frisch zu einem verhältnismäßig günstigen Kurs gekauft, da Serbien dringend einen starken Freund brauchte.
Die zweitgrößten Erdgasreserven gibts im Iran. Bei der potentiellen Konkurrenz hat sich Gazprom auch gerade erst bedeutende Förderrechte am größten neuentdeckten Öl- und Gasvorkommen gesichert. Abgesichert wird die strategische Partnerschaft (Gaskartell?)durch russische Rückendeckung für das iranische Atomprogramm (vgl. ev. Sanktionen im Sicherheitsrat...)
Weiter im Osten tut sich auch einiges. Auch nach China gibts mittelfristig große Möglichkeiten. Bisher sind die Verhandlungen über eine Megapipeline gescheitert, da Gazprom Westpreise verlangt, aber mittelfristig rechnet man mit einem Abschluss, der die strategische Position Russlands/Gazproms weiter verbessert: 2 Großkunden, die man notfalls gegeneinander ausspielen kann, verringern die (bisher wechselseitige) Abhängigkeit vom größten Kunden.
Dass nur Gazprom Geschäft mit dem Ausland machen kann, ist gesichert. Wofür hat man ein gesetzlich garantiertes Exportmonopol. Lästige Konkurrenten im eigenen Land haben keinen guten Stand. Chodorkowskis Schicksal und die Einverleibung seines Konzerns sind ebenso schon Geschichte wie das Hinausekeln BPs aus Sibirien. Exxon wehrt sich noch bezüglich seiner Anlagen auf Sachalin, aber es gibt immerhin schon Gerüchte, dass man sich mit Gazprom einigen wird und die Anlagen günstig an Gazprom abtreten wird. Günstig für Gazprom, das die geförderte Energie teurer an China weiterverkaufen kann, als Exxon in Russland, wäre der Deal in jedem Fall.
Auch in Europa gibts noch Neuigkeiten. Der bisherige Gazprom- und neue russische Staatschef Medwedew hat sechs Tage vor seiner Wahl noch Zeit gehabt, nach Ungarn zu reisen und Ungarn in die Southstream Pipeline vertraglich einzubinden. Der Mann hat offenbar gut und aus einer sehr guten Position heraus verhandelt, denn gerade die Ungarn sind aus ihrer historischen Erfahrung heraus sehr russlandkritisch. Trotzdem bekommt Gazprom scheinbar mühelos, was es will.
Wer glaubt, dass so ein Konzern es notwendig hat, Aktienkurse zu stützten, der träumt.
Ein erklärtes Ziel für den mittelfriestigen Aktienkurs gibts übrigens auch in der Putin-Medwedew Welt: eine Billion Dollar, und damit wohl knapp mehr als Petrochina, das bisher der "wertvollste" Konzern an der Börse ist. Ich hoffe, dass Gazprom dieses Ziel möglichst bald erreicht, ehe es in der realen Welt zu mächtig ist.
Denn mit einem Aktienwert von einer Billon ist das Macht- und Bedrohungspotential dieses Staatskonzerns oder Konzernstaats, der nach Belieben einsperrt, Umwelt verschmutzt und erpresst endlich in eine Zahl gegossen, die auch der an kurzfristigen Gewinnen orientierte Westen versteht. Gut fürs Aufwachen, so ein Schock! Die Weichen für unsere wachsende Energieabhängigkeit sind ja längst gestellt.