Iraks Aufständische verändern StrategieVier Jahre nach Beginn des Krieges im Irak zeigt die Guerilla, dass sie sich jedem Schwenk in der US-Militärstrategie anpasst. Auf die jüngste US-Truppenverstärkung reagiert sie mit dem Abschuss von Hubschraubern und Chemiewaffen gegen ZivilistenVON KARIM EL-GAWHARY Aufstand und Aufstandsbekämpfung sind in den vier Jahren Krieg im Irak eine Wechselwirkung eingegangen. Die US-Armee verbreitet immer wieder Optimismus, während die Guerilla aber in Wirklichkeit fast immer eine Nasenspitze voraus ist. "Es gibt ermutigende Anzeichen", erklärte am Wochenende der oberkommandierende US-Offizier im Irak, General David Petraeus, und meinte, dass die jüngst beschlossene Verstärkung der US-Truppen in Bagdad um 21.500 Mann Wirkung zeige. Zwei der fünf zusätzlichen Brigaden seien nun vor Ort und die Gewalt hätte bereits abgenommen, meinte er. Auch Iraks Staatsfernsehen feierte den neuen Bagdader "Sicherheitsplan" als Erfolg. Die Zahl der Autobomben und der jeden Morgen aufgefundenen Leichen habe abgenommen. In der berüchtigten Haifastraße im Zentrum Bagdads nahe der "Grünen Zone" wurden im Februar "nur" acht exekutierte Leichen gefunden, verglichen mit 53 im Vormonat. Es gebe eine Menge Verwirrung über die Strategie der Aufstandsbekämpfung im Irak, erklärt Colin Kahl, Politologe an der Universität Minnesota. Die "Phase der Leugnung" nennt er die erste Periode vom Fall des irakischen Diktators Saddam Hussein im April 2003 bis zum April 2004. In dieser Zeit stritt das US-Militär schlichtweg den Aufstand ab und sprach nur von Terroristen und Resten des alten Regimes. Im April 2004 wachten die Militärs dann auf, als in Falludscha ein bewaffneter sunnitischer Aufstand losging und gleichzeitig im Süden Sadrs schiitische Mahdi-Armee gegen die US-Soldaten vorging. Die Guerilla kämpfte damals frontal gegen das US-Militär, das damals erstmals auch gemeinsam mit hastig aufgebauten irakischen Einheiten operierte. In dieser konventionellen Kriegsführung konnte sich die US-Armee durchsetzen. Die Guerilla lernte schnell und ließ sich fortan nicht mehr auf eine direkte Konfrontation ein. In dieser dritten Phase zogen sich die Aufständischen bei jeder US-Offensive still und leise zurück, um sofort wieder aufzutauchen, sobald die US-amerikanischen Soldaten abgezogen waren. Mehrere groß angekündigte US-Offensiven verpufften. Die US-Militärs antworteten mit ihrer neuen "Nationalen Strategie für den Sieg im Irak". Fortan sollte die US-Armee die irakischen Bevölkerungszentren "säubern, halten und aufbauen". Doch die US-Truppen saßen aus Sicherheitsgründen meist in ihren Stützpunkten fest. Im Feld verließen sie sich auf irakisches Militär. Das war schlecht ausgebildet und ausgerüstet; die Mannstärke stand meist nur auf dem Papier, da viele Soldaten aus Angst nicht zum Dienst antraten. Die Guerilla verstärkte diesen Effekt, indem sie ihre Anschläge auf irakische Sicherheitskräfte konzentrierte. Da Iraks Militär und die Polizei sich hauptsächlich aus Schiiten und Kurden und die Guerilla aus Sunniten rekrutierte, nahm der Konflikt die Form eines konfessionellen und ethnischen Bürgerkrieges an. Im Januar 2007 kam dann der jüngste Schwenk der US-Strategie: Truppenverstärkung. Aber niemand sprach mehr von der Sicherung des gesamten Irak. Es ging nur noch um Bagdad. Zunächst mit Erfolg - doch selbst General Petraeus warnt vor "übergroßem Optimismus". Die Guerilla hat erneut ihre Taktik verändert. Weil viele Straßen im Irak vermint sind, wird immer mehr US-Militär per Hubschrauber transportiert. Und die Guerilla konzentriert sich auf deren Abschuss, mit schulterbaren Boden-Luft-Raketen. Inzwischen wurden acht Helikopter abgeschossen. Und für jeden, der mit den ausländischen Truppen kooperiert, hält die Guerilla neuerdings eine selbst gebastelte Chemiewaffe bereit. In der Anbar-Provinz explodierten allein in den letzten drei Tagen drei Chlorbomben, die in Lastwagen versteckt waren. Zwei Menschen starben, über 350 wurden mit Vergiftungssymptomen in Krankenhäuser eingeliefert. Zunächst habe er weißen Rauch gesehen, der sich blau gefärbt habe, erzählt ein Taxifahrer, der sich in der Nähe aufhielt. "Ich sah, wie die Leute hustend ankamen und Atemschwierigkeiten hatten." Chlor ist einfach zu beschaffen, da es überall zur Wasserdesinfektion angewandt wird. In hohen Konzentrationen kann es zum Tod führen. taz Nr. 8229 vom 19.3.2007
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