Mit rund 66 Millionen EinwohnerInnen, davon ca. Zweidrittel unter 30 Jahren, spielt der Iran eine bedeutende Rolle als Regionalmacht. Die Opfer während der Revolution 1979, der nachfolgende Krieg mit Irak, dem rund eine Million Menschen allein auf iranischer Seite zum Opfer fielen, drei Erdbeben (1990, 2003, 2005) größten Ausmaßes sowie anhaltende US-Wirtschaftssanktionen haben in der iranischen Gesellschaft tiefe Depressionsspuren hinterlassen. Nach Angaben der iranischen Handelskammer leben rund 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, nach Aussagen ausländischer Diplomaten sogar über 60 Prozent. Derzeit beherbergt das Land rund 2,5 Millionen Flüchtlinge allein aus Afghanistan. In keinem Land der Erde bringen sich mehr Frauen um als im Iran, in keinem Land weltweit gibt es mehr Drogenabhängige. Das politische Leben ist von Apathie und Enttäuschung gekennzeichnet. Im Vorfeld der Parlamentswahlen vom Februar 2004 verweigerte der konservative Wächterrat 80 Parlamentsmitgliedern die Aufstellung zu den Wahlen, weil sie die Trennung von Staat und Religion befürworteten. Das gesamte politische System krankt daran, dass jeder säkular-staatlichen Institution eine klerikale übergeordnet ist. Weil der von Konservativen dominierte Wächterrat jedes Gesetz des Parlamentes bestätigen muss, kann das Volk Reformer wählen so viel es will: Die Macht bleibt bei den Mullahs. "In der iranischen Demokratie wird keine Herrschaft akzeptiert außer jener, die von Gott auf den Führer übertragen wird. Die Macht des Revolutionsführers ist eine Gabe Gottes", (1) erklärte unzweideutig der derzeitige Nachfolger Chomeinis, Revolutionsführer Ali Khamenei, Anfang 2004. Dem als gemäßigter Reformer geltenden Präsidenten Mohammed Chatami, seit 1997 Regierungschef, sind die Hände weitgehend gebunden. Selbst seine Fernsehansprachen werden nur zensiert gesendet. Die Macht der konservativen Mullahs stützt sich auch auf die Wirtschaft. Nach der Revolution 1979 übertrug Chomeini das Vermögen des Schahs an religiöse Stiftungen zur Verwaltung. Inoffizielle Schätzungen gehen davon aus, dass sich rund 80 Prozent der iranischen Wirtschaft in den Händen der konservativen Kleriker befinden. Um ihre Herrschaft abzusichern, werden kritische Zeitungen verboten, demokratische Aufbrüche von Schlägertrupps im Keim erstickt, Menschenrechte mit Füßen getreten. Frauen, deren Hosen nur bis zu den Knöcheln reichen, laufen Gefahr, verurteilt und ausgepeitscht zu werden. Dennoch bewegt sich gerade in der Frauenfrage einiges in Iran. Ein Drittel aller Arbeitskräfte sind Frauen, ein Drittel aller Promotionen werden von Frauen geschrieben, 63% der Studierenden sind weiblich. 300 Verlagshäuser werden von Frauen geführt und von den rund 4000 iranischen Nichtregierungsorganisationen beschäftigen sich etwa 150 mit Frauenfragen. Die "Reporter ohne Grenzen" bezeichnen Iran als größtes Journalistengefängnis der Welt. Pro Jahr verlassen wegen der genannten Zustände rund 200 000 IranerInnen das Land. Als im November 2003 der UN-Bevollmächtigte Ambegy Ligabo Iran besuchte, stellten iranische Zeitungen offen die Frage, warum er nicht politische Gefangene treffen und mit iranischen Journalisten über Menschenrechtsfragen diskutieren wollte. Dass solche Fragen überhaupt offen in Medien gestellt werden können, zeigt, dass es durchaus Anknüpfungspunkte für Regierungen wie auch Nichtregierungsorganisationen gibt, die Hoffnungsträger für mehr Demokratie im Iran zu unterstützen, von denen viele im Bereich des Journalismus und der Menschenrechtsarbeit tätig sind. Im Mai 2002 hielt Jürgen Habermas in Teheran einen Vortrag, der vollständig in der konservativen Zeitung "Resalat" abgedruckt wurde - was viele iranische wie auch ausländische Beobachter des Vorgangs angenehm überraschte. Der offene Diskurs über grundlegende politische Fragen des iranischen Systems ist im Gange, wenn er auch immer wieder schwer behindert wird. Nach dem US-Krieg im Irak 2003 gab es im iranischen Parlament Äußerungen, nicht die Atombombe, sondern einzig mehr Demokratie könne die territoriale Integrität Irans und das System der Republik retten. Die iranische Gesellschaft befindet sich - trotz aller Resignation - derzeit in einem sehr langsamen und schwierigen Transformationsprozess. Die Wirklichkeit der Gesellschaft ist wesentlich komplexer, als sie gewöhnlich mit den im Westen häufig benutzten Klischee-Gegensatzpaaren "Kleriker - Reformer" oder "Mullahs - Volk" beschrieben wird (2). Quelle: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz www.dfg-vk-mainz.de/180/ -----------
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