Von der Schöpfung, vom Sinn des Seins und der Legitimation andere (Andersdenkende) in jeder Form zu unterwerfen.
Josteins Welt Nach einem Artikel über die Angriffe auf den Libanon wird dem norwegischen Bestsellerautor Jostein Gaarder Antisemitismus vorgeworfen Gabriele Haefs
Wenn Jostein Gaarder, als Autor weltbekannt durch seinen philosophischen Bestseller "Sofies Welt", sich zu einem politischen Thema meldet, ist ihm Aufmerksamkeit gewiss. Zumal die meisten Artikel die Überschrift "Josteins Welt" tragen. Dass er kürzlich in der norwegischen Tageszeitung Aftenposten den Stil des alttestamentarischen Propheten Amos parodierte, ist für ihn sicher ganz natürlich. Doch wie des Amos' Worte vor drei Jahrtausenden stoßen auch Gaarders auf taube Ohren oder werden missverstanden. Dass er dieses literarische Stilmittel und kein anderes gewählt hat, sei sein gutes Recht als Autor, sagt er in Interviews. Dass seine Wortwahl - gelinde gesagt - Aufsehen erregt, ist nicht verwunderlich, ist doch die Kenntnis der Kleinen Propheten im Alten Testament weder in Norwegen noch hierzulande allgemein verbreitet. Antisemitische Hetze habe er betrieben, wird ihm von der einen Seite vorgeworfen; kluge, klare und humane Worte habe er gefunden, lautet das Lob von der anderen, dazwischen gibt es sämtliche Schattierungen von Ansichten in der Debatte, die seit Tagen in allen norwegischen Medien tobt.
Was Gaarder wirklich geäußert hat, geht zumeist unter, auch bei jenen, denen sein Artikel zugänglich ist. Hier ein Auszug, der Gaarders Aussagen zusammenfasst, wenn er sie auch in bildhafter (eben, biblischer) Sprache vielfach wiederholt und variiert: "Es gibt Grenzen für unsere Geduld und unsere Toleranz. Wir glauben nicht an göttliche Verheißungen als Begründung für Okkupation und Apartheid. Wir haben das Mittelalter hinter uns gelegt. Wir lachen betreten über die, die noch immer glauben, der Gott der Flora, der Fauna und der Galaxien habe sich ein bestimmtes Volk zu seinen Lieblingen erwählt und ihm lustige Steintafeln, brennende Büsche und die license to kill geschenkt. - Wir nennen Kindermörder Kindermörder und werden niemals akzeptieren, dass sie ein göttliches oder historisches Mandat haben, das ihre Schandtaten rechtfertigen könnte. Wir sagen nur: Schande über alle Apartheid, Schande über ethnische Säuberungen, Schande über alle Terroranschläge gegen die Zivilbevölkerung, ob die nun von Hamas, Hisbollah oder dem Staat Israel begangen werden!"
Dass der Ausdruck "lustige Steintafeln" nicht sonderlich diplomatisch gewählt war, hat Gaarder seither zugegeben, wenn er auch weiterhin darauf besteht, als Autor seine literarischen Ausdrucksformen selbst wählen zu dürfen. Er betont auch, er habe niemanden persönlich verletzen wollen, was aber alles nichts zu helfen scheint. Auch sein Bekenntnis zum Existenzrecht des Staates Israel in den Grenzen von 1948 geht unter in der Empörung darüber, dass er die Grenzziehung von 1967 eben nicht gutheißt. Die Wahl des Propheten Amos als literarisches Vorbild wirkt in sich prophetisch, denn auch jener bekam Ärger mit den eigenen Leuten und seufzte schließlich, "der Prophet gilt nichts in seinem Vaterland".
Die Kritik an Gaarder nimmt in Norwegen indes zusehends groteskere Züge an. Blanker Antisemitismus wird ihm vorgeworfen, zugleich fehlendes Verständnis für die Ziele von Hamas und Hisbollah. Dass Gaarder Christ ist und in einem anderen Absatz Jesus Christus zitiert, bringt ihm den Vorwurf ein, das Christentum allen anderen Religionen für überlegen zu halten. Von anderer Seite heißt es, er sei ja, als ein den griechischen Idealen verpflichteter Philosoph, gar kein echter Christ, und wenn sich seine griechischen Ideale durchgesetzt hätten statt der jüdisch-christlichen, dann dürfte man in Europa heutzutage nicht einmal Seife kochen. Unter den Tisch fällt, was er eigentlich geschrieben hat und welche Erkenntnisse wir (in Europa) möglicherweise daraus ziehen können.
Vom Ausland aus gesehen wirkt die Debatte absurd und sehr norwegisch: In Norwegen sind schon Freundschaften an der Frage zerbrochen, ob das Land nun in die EU eintreten sollte oder nicht. Damit soll nicht behauptet werden, die deutsche Streitkultur sei besser, doch Norwegen ist kleiner; bei den meisten Debatten treten immer dieselben Akteure gegeneinander an, um sich ohne Rücksichten auf die Argumente der Gegenseite jegliche Ehre abzusprechen. Dass nun der in politischen Fragen eher zurückhaltende Jostein Gaarder sich geäußert hat, lässt sie fröhlich die Messer wetzen. In Norwegen herrscht zudem die Vorstellung, die norwegische Presse sei viel fairer als die Boulevardpresse in anderen Ländern. Geschützt von dieser schönen Illusion hacken sie aufeinander los.
Dass Jostein Gaarder nun erklärt hat, sich nicht mehr äußern zu wollen, da ja doch keine Diskussion möglich sei, ist verständlich. Die heutigen Zeitungen zeigen, dass der Schlagabtausch auch ohne ihn wütend weitergeht. Wenn sich nun auch die deutsche Presse einschaltet, ist zu hoffen, dass wenigstens die hiesigen Debattanten erst einmal Gaarder und Amos lesen, ehe sie zur Feder greifen.
Gabriele Haefs hat Jostein Gaarders Bücher und die vieler weiter skandinavischer Autoren übersetzt.
Berliner Zeitung, 10.08.2006
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