Die geheime Geburt von Projekt "Gamma"

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8215 Postings, 8391 Tage SahneDie geheime Geburt von Projekt "Gamma"

Hochzeit der Ungleichen
  Die geheime Geburt von Projekt „Gamma“  

 Vor fünf Jahren wurde die Fusion von Daimler-Benz und Chrysler verkündet – doch nicht alle Blütenträume reiften. Von Dagmar Deckstein
 
                              

   
   (SZ vom 06.05.2003) — Wohl noch nie in der Wirtschaftsgeschichte wurde ein derart spektakulärer Firmenzusammenschluss so überschwänglich gelobt: Politiker, Gewerkschafter, Börsianer auf beiden Seiten des Atlantiks überschlugen sich geradezu mit wohlgefälligen Kommentaren zu dieser „Eheschließung im Himmel“, die Daimler-Benz-Chef Jürgen Schrempp und Chrysler-Boss Robert Eaton am 7. Mai 1998 in London verkündeten.

„Eine reife unternehmerische Leistung“, befand der damalige SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder, und der amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl konnte an diesem „klugen Schritt“ auch „nur Positives“ finden. Walter Riester, seinerzeit noch IG-Metall-Vize und Aufsichtsrat im Daimler-Benz-Konzern, begrüßte den Mega-Deal ebenso uneingeschränkt wie der Vorsitzende des Konzern-Kontrollgremiums, Hilmar Kopper von der Deutschen Bank.

Lieblose Annäherung

So viel Euphorie war selten. Aber im Himmel eingegangene Heiratsversprechen unter Gleichen – wie es seinerzeit hieß – können sich nach dem ersten Liebesrausch in banalen irdischen Alltagsproblemen verstricken.

Auch wenn Ende des fünften Ehejahres der mittlerweile Alleinherrscher über den DaimlerChrysler-Konzern, Jürgen Schrempp, unverdrossen Treueschwüre ablegt: „Die Fusion ist schon längst erfolgreich umgesetzt“, sagte er kürzlich wieder in einem Interview.

Die Anleger mögen sich solchen Bekenntnissen allerdings nicht anschließen. Der Kurs der DaimlerChrysler-Aktie ist in den vergangenen fünf Jahren von 100 auf 30 Euro gesunken. Bei näherem Hinsehen hatte sich die Braut Chrysler nämlich keineswegs als so attraktiv erwiesen, wie es bei der Verkündung des Hochzeitstermins schien.

Im Nachhinein betrachtet erfolgte schon die erste werbende Annäherung an die Braut etwas schnöde und lieblos. Es war der 12. Januar 1998, als Jürgen Schrempp („Für mich zählt vor allem eines: Profit, Profit, Profit“) am Rande der Detroit Motor Show den Chrysler-Konzernchef Eaton besuchte und ihm während eines gerade mal viertelstündigen Gesprächs unterbreitete, er habe da so eine Idee.

Die beiden Konzerne, an deren Spitze sie beide stünden, passten doch eigentlich ganz prima zusammen. Ob man nicht einmal in Ruhe darüber reden wolle? Später gestand Schrempp, er habe dabei die leise Befürchtung gehegt, Eaton könne ihn vielleicht für verrückt erklären. Immerhin zählte Chrysler zu den profitabelsten Automobilherstellern der Welt und schien nicht gerade auf die Unterstützung von Daimler-Benz gewartet zu haben.

Aber Eaton antwortete nur: „Wir haben auch ein paar Studien über mögliche Kooperationen gemacht.“ Er werde sich in den nächsten zwei Wochen bei Schrempp melden.

Scharfe Flurkontrolle

Das war der Beginn der bis dahin weltgrößten Fusion der Industriegeschichte – zwischen Deutschlands größtem Industriekonzern und Amerikas drittgrößtem Autobauer. Eaton rief Schrempp dann wie verabredet an, und die beiden Konzernlenker trafen sich bis Ende April rund ein dutzend Mal zu verschwiegenen Tête a Têtes. Anfangs in Lausanne, später in London und New York.

Dabei führten sich Schrempp und Eaton aus nachvollziehbaren Gründen auf wie verheiratete Ehemänner, die sich heimlich mit der Geliebten treffen: Sie wechselten ständig die Hotels, die auch gerne mal nicht zur Spitzen-Sternekategorie zählen durften, weil das die Gefahr reduzierte, von einschlägigen Kennern der Geschäftswelt erkannt zu werden.

Robert Eaton ließ dabei besondere Vorsicht walten: Wenn er das Besprechungszimmer verlassen wollte, sondierte er den Flur so lange, bis dieser leer war und er niemandem begegnen konnte.

Der höchsten Geheimhaltungsstufe unterlag das Projekt „Gamma“ auch innerhalb des Daimler-Benz-Konzerns, wenn die wenigen eingeweihten Manager über das Fusionsvorhaben sprachen. Die Unternehmensnamen wurden bei diesen Gelegenheiten nicht erwähnt; Daimler-Benz erhielt den Codenamen „Denver“ und Chrysler hieß in der internen Kommunikation nur „Cleveland“.

Über sämtliche Details war außer Schrempp nur noch ein weiterer Vorstand eingeweiht, Eckhard Cordes, zuständig für Beteiligungen und Konzernplanung.

Als eine der heikelsten Fragen, die es in diesen Fusionsplanungswochen gemeinsam zu klären galt, erwies sich die nach der Rechtsform des neuen Konzerns. Schrempp gelang tatsächlich das kleine Kunststück, Eaton davon zu überzeugen, dass auch das Konglomerat eine deutsche Aktiengesellschaft sein sollte, inklusive der für Amerikaner gewöhnungsbedürftigen deutschen Mitbestimmung.

Sprachlos in Stuttgart

Schließlich war es so weit: Eine Woche vorher erhielten die 20 Daimler-Benz-Aufsichtsräte per Fax die Einladung zu einer Sondersitzung am 6. Mai um 17 Uhr in der Stuttgarter Konzernzentrale.

Wegen der „hohen Börsenrelevanz“ werde auf schriftliche Unterlagen verzichtet. Nach Schrempps Vortrag über den geplanten Mega-Deal waren die Aufseher erst einmal sprachlos. Sie schwiegen eine Stunde lang und staunten vor sich hin, wie sich einer erinnert.

Von da an ging es dann Schlag auf Schlag. Im Juli genehmigten die EU-Kommission und die US-Kartellbehörden die Fusion, und im September 1998 stimmten auch die Chrysler-Aktionäre der Verschmelzung zur „Welt AG“ zu. Im übrigen auch der amerikanische Milliardär Kirk Kerkorian, 85, der damals rund 14 Prozent der Chrysler-Anteile hielt.

Kerkorian muckte erst zwei Jahre später auf. Am 17. November nimmt erst einmal nach sechsmonatiger Vorbereitung der Autoriese Daimler-Chrysler offiziell seine Arbeit auf – mit dem Vorstandsduo Eaton/Schrempp an der Spitze.

Abgang der Amerikaner

Die weitere Entwicklung folgte jenem Lauf, wie ihn ein Chrysler-Arbeiter schon im Mai 1998 vorausahnte: „Ich mach mir nichts vor, einer muss das Sagen haben, und das wird der Deutsche sein.“ So kam es: Vom 1. April 2000 an ist Jürgen Schrempp Alleinchef bei DaimlerChrysler, vorher hatte Robert Eaton mehr oder weniger freiwillig das Handtuch geworfen.

Im November desselben Jahres muss auch Chrysler-Chef James Holden gehen, als die Probleme des amerikanischen Autobauers allzu offensichtlich werden. Nicht nur die veraltete Modellpalette, auch die viel zu hohen Produktionskosten verderben die Konzernbilanz.

Mit Dieter Zetsche und Wolfgang Bernhardt rückt erstmals ein deutsches Führungsduo an die Spitze eines US-Autokonzerns. Deren Mitbringsel bestand in der Botschaft, 26 000 Arbeitsplätze abbauen und sechs Fabriken schließen zu wollen. Immerhin: den beiden „bösen Deutschen“ gelang es schon 2002, Chrysler wieder in die schwarzen Zahlen zu manövrieren, wofür sie inzwischen in den USA gefeiert werden.

Heute, fünf Jahre und 23 Millionen verkaufte DaimlerChrysler-Fahrzeuge später, drückt den Konzern vor allem noch das schleppende Lkw-Geschäft mit Mitsubishi und Freightliner und die um 53 Prozent geschrumpfte Marktkapitalisierung, die bei 33,2 Milliarden Euro liegt. Und einer meint, noch ein Hühnchen mit Jürgen Schrempp rupfen zu müssen.

„Das war Diplomatie“

Kirk Kerkorian, der Geschäftsmann und Investor mit dem Spitznamen „Terminator“ verklagte Ende 2000 DaimlerChrysler auf acht Milliarden Dollar Schadensersatz, weil es nun offensichtlich keine Fusion unter Gleichen gewesen sei.

Schrempp hat sich das selbst eingebrockt, weil er im Oktober 2000 gegenüber der Financial Times den Mund etwas voll genommen und die Parole „Merger of Equals“ im Nachhinein so kommentiert hatte: „Das war Diplomatie. Wir mussten einen Umweg machen, und das war aus psychologischen Gründen notwendig. Wenn wir gesagt hätten, Chrysler wird eine Abteilung, hätte auf deren Seite jeder gesagt: Wir kommen so auf keinen Fall ins Geschäft.“

Das Bezirksgericht in Wilmington/Delaware hat die Entscheidung über Kerkorians Klage gerade erneut auf Ende 2003 vertagt. Ob die Megafusion von vor fünf Jahren hält, was Jürgen Schrempp unverdrossen verspricht, dass nämlich DaimlerChrysler dereinst auf Platz eins unter den Automobilherstellern weltweit aufrücken werde, darüber wird erst die Geschichte entscheiden.
 

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