Eine im 20. Jahrhundert als Ausgangsschrift für den Schulunterricht in Deutschland eingeführte Variante der deutschen Kurrentschrift ist die Sütterlinschrift, die zum Schreiben mit der Gleichzugfeder mit einer gleichmäßigen Strichstärke entwickelt wurde.
Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, vor allem nach ihrer Abschaffung in den Schulen im Jahr 1941 durch den Normalschrifterlass der Nationalsozialisten, wurde die deutsche Kurrentschrift (einschließlich ihrer Sütterlinschrift-Variante) immer weniger verwendet. Historiker und Wissenschaftler anderer Disziplinen sowie genealogisch Interessierte müssen sie kennen, um in deutscher Kurrentschrift verfasste Dokumente lesen zu können. https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kurrentschrift
"Meine älteren Geschwister lernten noch beide Schriften, die lateinische, die eine meiner Schwestern einmal irrtümlich die römisch-katholische nannte, und die gotische, die man dann vielleicht die heidnische hätte nennen können. Sie wuchsen also zweischriftig auf. Als ich fünfzehn Jahre später Deutsch und Geschichte studierte und mich ganz besonders zur älteren Abteilung und ihren alten Schriften und Handschriften hingezogen fühlte, erlebte ich jenen fehlenden Unterricht in gotischer Schrift als ausgesprochenen Mangel: Scriptura currens deficit. Ich habe die Kurrentschrift natürlich nachgelernt, doch alles, was man zu spät beginnt, lernt man nicht mehr richtig und gründlich. Und so liegen meine Kenntnisse eher im Passiven als im Aktiven. Und da ich im wesentlichen in Kurrent nicht viel mehr als meinen Namen zusammenbringe, muß ich mich, was das angeht, als partiellen Analphabeten bezeichnen. [...] Mein Vater hat zwar nur eine einklassige Volksschule* besucht, beherrschte aber beide Schriften. Und er war stolz auf diese Kenntnis! Um sein Wissen unter Beweis zu stellen, unterschrieb er eines meiner Zeugnisse, ein Formular, das beide Semesternoten auf einer Seite anführte, eine Spalte Erstes Halbjahr und eine Spalte Zweites Halbjahr - einmal kurrent und einmal lateinisch, beide Male übrigens den Vornamen nach dem Nachnamen oder Familiennamen, wie es auch der Brauch war. Meine Lehrerin sollte sehen, welch gebildeten Vater ich habe, einen, der nicht nur als Müller, Bäcker und Bauer seinen Mann stellte, sondern, wenn auch kein Schriftgelehrter, so doch ein Schriftkundiger war, dem man weder lateinisch noch deutsch ein X für ein U vormachen konnte ... 'Na, was hat sie denn gesagt, die Fräulein?' fragte mich der Vater. - 'Die Fräulein hat gesagt, die Unterschrift sollte immer gleich ausschauen', sagte ich. - 'Langweilige Person!' sagte mein Vater.
Erst viel später merkte ich, daß an den Schriften ernstere und weiterreichende Gesinnungen, ja Weltanschauungen festgemacht, sozusagen festgeschrieben waren und daß namentlich die Sütterlin-Schrift ein besonderes Ansehen genoß, in einem bestimmten Ruf stand oder, je nachdem, auch verrufen war. Sie war eben die deutsche Schrift, wenn sie auch, 1935 an den deutschen Schulen als die deutsche Schreibschrift eingeführt, bereits 1941 durch die sogenannte deutsche Normalschrift, eine lateinische Schrift (!) , ersetzt wurde." [Alois Brandstetter - Schönschreiben. S. 6 ff.]
*Ich ja auch, und der einzige Lehrer war mein Alter - hab also die Grundlagen bei ihm gelernt ... und etwas mehr: Wer kommt schon als Siebenjähriger in den Genuss, die Odyssee in der Übersetzung von Voß zu hören, aus der mein Vater den älteren Semestern regelmäßig Passagen vortrug.
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