Bullen und Bären ringen um die Wall Street US-Aktienmarkt bleibt trotz der jüngsten Rallye unpopulär - Spekulation auf Aufholrallye des Dow Jones - Risikofaktoren Dollar-Kurs und Geldpolitik von Daniel Eckert
Berlin - Nicht nur die US-Administration, auch der amerikanische Aktienmarkt hat in der Alten Welt ein Imageproblem. Die Titel des Dow Jones seien zu teuer, die wirtschaftlichen Perspektiven der Vereinigten Staaten fraglich, und der Gewinnzyklus der Firmen liege in den letzten Zügen. So oder so ähnlich äußern sich hiesige Investoren, werden sie auf Dividendenpapiere der Supermacht angesprochen. Kurz, die Wall Street ist out.
Auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten selbst mangelt es nicht an Stimmen, die nach dem Anstieg des Dow Jones auf ein Sechsjahreshoch und nach fast vier Jahren Bullenmarkt ein neues Tal der Tränen bei Microsoft & Co. erwarten. Galionsfigur dieses Pessimismus ist Abhijit Chakrabortti, einflußreicher Stratege bei JP Morgan. Bis Jahresende sieht der Super-Bär den US-Aktienmarkt zehn Prozent niedriger als jetzt.
"Die Stimmung gegenüber der Wall Street ist bemerkenswert negativ", konstatiert Roger Nightingale, Stratege bei Millennium. Diese Feststellung wird auch dadurch bestätigt, daß viele international anlegende Aktienfonds ihren Amerika-Anteil deutlich unter die Benchmark zurückgefahren haben. So weist der vier Mrd. Euro schwere UniGlobal derzeit nur einen Amerika-Anteil von rund 35 Prozent aus, verglichen mit 53 Prozent im Vergleichsindex MSCI World.
Doch während sich der Konsens klar gegen die Wall Street stellt, wagen einzelne Investoren eine antizyklische Strategie: "Der US-Aktienmarkt ist so etwas wie ein Geheimtip für den Rest des Jahres", sagt Andreas Hürkamp, Stratege bei der Landesbank Rheinland-Pfalz. Er ist davon überzeugt, daß amerikanische Blue Chips Nachholpotential haben und in der zweiten Jahreshälfte besser abschneiden als deutsche Papiere: "Während der Dax seit Anfang 2004 mehr als 50 Prozent zugelegt hat, waren es beim Dow Jones gerade einmal elf Prozent. Gleichzeitig sind die Gewinne dort viermal so schnell gewachsen." Auch andere Investoren streichen heraus, daß sich amerikanische Aktien in den vergangenen Jahren deutlich verbilligt haben. "General Electric, Microsoft und Pfizer sind so niedrig bewertet wie noch nie in den vergangenen 20 Jahren", erklärt Rupert Della Porta, Fondsmanager bei F&C Asset Management. Tatsächlich zeigt ein Blick auf die großen Namen der Wall Street, daß diese sich weder in puncto Bewertung noch in puncto Dividendenrendite verstecken müssen. Auf Basis der 2007er Gewinne ist Intel günstiger als Siemens.
Was fehlt, ist ein Anstoß. Dieser aber könne durch das Signal einer Zinspause durch die Fed generiert werden, so zumindest die Auffassung der USA-Bullen. "Sobald sich in der Finanzwelt die Überzeugung durchgesetzt hat, daß die Zinsen nicht weiter steigen, kann die Wall Street richtig aufdrehen", meint Nightingale. Bis Ende des Jahres sei dann vielleicht ein Plus von 20 bis 25 Prozent drin. Unterstützung liefern Charttechniker. Sie verweisen darauf, daß der Dow Jones Transportation Branchenindex, der dem Dow Jones in der Regel um ein halbes Jahr vorausläuft, im November aus seiner Handelsspanne ausgebrochen ist und seither gut ein Drittel an Wert gewonnen hat.
Klar ist jedoch, daß Anleger mit einem Engagement in US-Titeln auf Risiko spielen. "Ob sich die Gewinne ein weiteres Jahr steigern lassen, steht in den Sternen", warnt Markus Reinwand von Helaba Trust. Die Erträge hätten bereits elf Quartale in Folge und damit überdurchschnittlich lange zweistellig zugelegt. Und auch eine Bewertungsausweitung hält er in Zeiten zurückgehenden Wirtschaftswachstums für unwahrscheinlich. Ein zusätzliches Risiko für europäische Anleger ist der Dollar. Sollte dieser seine Talfahrt beschleunigen und - wie von manchen Analysten prognostiziert - noch einmal zehn Prozent gegenüber dem Euro verlieren, würde dies einen Großteil möglicher Kursgewinne wegradieren.
Diesem Streß können Anleger allerdings aus dem Weg gehen, indem sie auf währungsgesicherte Produkte zurückgreifen, zum Beispiel ein Quanto-Zertifikat auf den Dow Jones (WKN: ABN19N) oder den Chiphersteller Intel (WKN: 170373). Diese Papiere geben die Wertentwicklung der Referenzwerte in Euro wieder. Langfristig problematisch sind darüber hinaus die steigenden Zinsen. Denn selbst wenn die US-Notenbank sich jetzt zu einer Pause entschließt, bedeutet das nicht, daß die geldpolitische Wende bereits geschafft ist. Sollte sich die Inflation beschleunigen und dies die Fed dazu zwingen, weiter an der Zinsschraube zu drehen, könnte dies Renten- und Aktienanlegern in den USA ein böses Erwachen bescheren. Pessimist Chakrabortti rechnet mit genau diesem Szenario und bevorzugt deshalb als Top-Investment Bargeld.
Artikel erschienen am Do, 11. Mai 2006 © WELT.de 1995 - 2006
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