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Von wegen Traumjob: Ralf Minge bekam bei Dynamo und dem DFB die unangenehmen Seiten zu spüren. Jetzt redet er darüber.
Er steht für Dynamo Dresden. Weil er sich selbst dann für den Verein einsetzte, als er woanders unter Vertrag stand. Im Moment ist Ralf Minge arbeitslos, sieht sich beruflich in einer Findungsphase. Zum ersten Mal spricht der 51-Jährige über seine schwierige Zeit.
Herr Minge, was ist für Sie ein Traumjob?
Wenn man auf Arbeit geht, aber das Gefühl hat, dass man keinen Job macht, sondern ein Feuer in sich spürt.
Hatten Sie den nicht schon dreimal: als Nachwuchschef bei Bayer Leverkusen, Sportdirektor von Dynamo und Trainer der U19-Auswahl beim DFB?
Mit Sicherheit, aber ich kann das mit unterschiedlicher Ausprägung für meinen gesamten beruflichen Werdegang sagen. Wenn ich irgendwo in einer Sackgasse gelandet war und das Feuer nicht mehr so gelodert hat, war ich immer ehrlich und konsequent genug, die Tür zuzuschließen. In solchen Momenten darf man nicht nur die Verluste sehen, sondern muss die Chance wahrnehmen. Die hat sich für mich immer ergeben.
Als Sie Leverkusen verlassen hatten, wurde es turbulent …
Probleme gehören zum Leben. Die bringt auch ein Traumjob mit sich.
Bei Dynamo arbeiteten Sie sogar längere Zeit unentgeltlich, anfangs auch als Geschäftsführer Sport. Glaubten Sie, nun endlich beruflich Ihre Bestimmung gefunden zu haben?
Jeder weiß, wie verbunden ich diesem Verein bin und wie groß meine Identifikation ist. Dementsprechend hoch ist auch die Emotionalität, wodurch man Probleme noch stärker empfindet.
Wie bewerten Sie die Zeit als Sportdirektor aus heutiger Sicht?
Jede Erfahrung ist wertvoll. Auch wenn sie schmerzhaft ist, nimmt man etwas fürs Leben mit. Es war eine hoch komplizierte Zeit, in der ich gezwungen war, mich immer mehr vom sportlichen Bereich zu verabschieden. Dafür sind zum Schluss vielleicht noch fünf Prozent meiner Tätigkeit geblieben. Das war sehr bedauerlich.
Stattdessen mussten Sie nach der Entlassung von Bernd Maas im Oktober 2008 als Hauptgeschäftsführer übernehmen…
Ja, aber mit den schwierigen Themen wie den Stadion- und Vermarktungsverträgen hatte ich mich schon vorher beschäftigt. Es gab ein Treffen mit dem DFB, es ist ein Gutachten von einem Experten für Sportimmobilien erstellt worden, mit Reiner Calmund hatte ich jemanden an der Seite, der viele Jahrzehnte Management gelebt hat. Es gab damals sehr viele Fragezeichen, die existenziell für den Verein waren.
Sie haben letztlich den Stadion-Kompromiss nicht mitgetragen, glaubten nicht an das Versprechen der Stadt, die Verträge neu zu verhandeln. Fühlen Sie sich bestätigt?
Das hatte nichts mit mangelndem Vertrauen in das Versprechen der Stadt zu tun. Aber Verträge mit einer solchen Tragweite sollten nur endverhandelt unterschrieben werden und nicht unter Druck.
Welchen Ausweg hätte es gegeben?
Mein Vorschlag war, für ein weiteres Jahr eine Ausnahmeregelung zu finden, um die Verträge sauber ausarbeiten zu können. Dafür hatten wir meiner Meinung nach eine blitzsaubere Argumentation, denn das neue Stadion war zu Saisonbeginn 2009/10 nicht fertig. In diesem Zusammenhang hätte man auch die anderen Themen wie Kinowelt-Verträge oder strukturelle Veränderungen im Verein angehen sollen.
Dynamo bekommt einen um mehr als eine Million Euro erhöhten städtischen Zuschuss …
Ja, aber das sind bisher nur temporäre Lösungen. Dynamo bleibt trotzdem ein Sanierungsfall. Es macht die Entschuldung deutlich schwieriger, wenn die Stadionmiete nicht geklärt ist. Jetzt in der zweiten Liga kann man die aktuelle Situation natürlich leichter meistern, denn alleine durch TV- und Pokal-Einnahmen kamen mindestens fünf Millionen Euro mehr in die Kasse.
Der Verein steckte damals wie so oft in einer finanziellen Notlage, war im Frühjahr 2008 auf ein Millionen-Darlehen der Stadt angewiesen. Nun erhielten Sie wie die Ex-Geschäftsführer Bernd Maas und Markus Hendel einen Mahnbescheid über 270.000 Euro, weil den Spielern trotzdem eine Aufstiegsprämie für das Erreichen der 3. Liga gezahlt worden war. Fühlen Sie sich mitschuldig an der wirtschaftlichen Misere?
Davonstehlen kann sich sowieso niemand, und ich will das schon mal gar nicht. Als ich am 1. Juli 2007 angefangen hatte, war der finanzielle Rahmen durch bestehende Verträge abgesteckt. Wir haben lediglich die individuell unterschiedlichen Vereinbarungen zu einer Prämie für das Erreichen der 3.Liga angepasst.
Warum?
Es ging uns um eine Gleichbehandlung innerhalb der Mannschaft, weil wir andernfalls unser Ziel gefährdet sahen. Die Qualifikation für die 3. Liga war für den Verein existenziell, denn für die Regionalliga hätte Dynamo definitiv keine Lizenz erhalten. Unabhängig davon: Was der Absturz in die Viertklassigkeit bedeutet, sieht man jetzt am Beispiel Magdeburg oder anderen. Der Aufstieg ist extrem schwierig, weil es nur einen Platz gibt. Selbst RB Leipzig, die wirtschaftlich gesehen mit Kanonen auf Spatzen schießen, hat keinen Freibrief.
Die Aufarbeitungskommission kritisiert, dass noch Vereinbarungen geschlossen wurden, als der Geschäftsführung die finanzielle Lage längst klar sein musste. Stimmt das?
Das müsste ich im Detail noch einmal einsehen, aber es können nur absolute Ausnahmen gewesen sein. Wir hatten zu Saisonbeginn beschlossen, die Prämienregelung anzupassen, als es noch nicht absehbar war. Dynamo hat danach im ersten Drittliga-Jahr übrigens wieder einen erheblichen Verlust eingefahren, obwohl wir im sportlichen Bereich trotz stark gekürztem Etat eine Punktlandung hinbekommen hatten. Wir haben als Geschäftsführung versucht, der finanziellen Schieflage gegenzusteuern, aber es kamen immer mehr Leichen zum Vorschein. Zum Beispiel die nicht geplanten Betriebskosten für das Stadion während der Umbauphase, falsche Kalkulation der Ticketerlöse und so weiter.
Trotzdem: Wieso gab es überhaupt eine Aufstiegsprämie? Dynamo ist doch drittklassig geblieben.
Es war kein Aufstieg im klassischen Sinn, stimmt. Aber bei meinem Amtsantritt zum 1. Juli 2007 existierten bereits Verträge, in denen eindeutig eine Prämie vereinbart war „bei Aufstieg in die 3. Liga“. Für die gab es keinen Handlungsspielraum. Wir haben diese Sprachregelung dann übernommen, um Arbeitsrechtsstreite zu vermeiden. Das war nicht nur notwendig, sondern auch rechtmäßig. Fakt ist doch auch: Es ist eine höherwertige Liga entstanden. Sie ist sportlich elitärer geworden und wirtschaftlich besser ausgestattet zum Beispiel durch das Fernsehgeld. Deshalb ist es Haarspalterei, wenn man sich an dieser Formulierung reibt.
Wie gehen Sie nun mit dem Mahnbescheid um?
Ich habe dem Aufsichtsrat gesagt, wenn es Konsequenzen zu tragen gibt, bin ich dazu bereit. Aber das ist nicht der Fall. Aus verschiedenen Gründen besteht kein Rechtsanspruch, worüber sich beide beteiligten Anwälte mittlerweile einig sind. Der Aufsichtsrat hatte mir bestätigt, dass der Mahnbescheid beantragt worden ist, ohne dass man sich inhaltlich mit dem Thema überhaupt beschäftigt hatte. An der Stelle geht es fließend in den moralischen Bereich über. Die Art und Weise ist für mich absolut nicht tolerierbar. Ich hatte erwartet, dass sie das zurückziehen und sich bei mir entschuldigen. Seitdem sind sieben Wochen vergangen. Deshalb werde ich juristische Schritte prüfen.
Fühlen Sie sich von Ihrem Verein in den Hintern getreten?
Nein, denn das war nicht der Verein, sondern der Aufsichtsrat. Und ich bin weit davon entfernt, das gleichzusetzen. Dazu habe ich viel zu viele schöne Zeiten hier erlebt.
Nach Ihrem Rücktritt bei Dynamo im April 2009 bekamen Sie als Trainer der U19-Auswahl einen Traumjob beim DFB. Aber nur für kurze Zeit …
Das ist wohl wahr.
Warum?
Ich wurde aufgefordert, meine Co-Trainer (Jens Melzig und Arne Jansen /d. A.) durch andere zu ersetzen. Aber das ist nicht meine Art, mit Menschen umzugehen, an deren Qualität und Loyalität nichts auszusetzen ist. Mir wurde – auch in Gesprächen mit engen Bezugspersonen – sehr schnell klar: Du kannst als Arschloch bleiben oder als Ehrenmann gehen. Es war immer meine Philosophie: Nur wer kriecht, kann nicht fallen. Ich bin nicht gekrochen.
Ihr früherer Dynamo-Mitspieler Matthias Sammer, der sich zu Recht massiv darüber beschwert hatte, wie einige im Verein mit Ihnen umgesprungen waren, hatte Sie geholt. Hat der DFB-Sportdirektor Ihnen Rückendeckung gegeben?
Nein, das kam von ihm.
Hat er Gründe genannt, die Co-Trainer zu wechseln?
Ja, es sind welche genannt worden. Aber dazu möchte ich mich nicht äußern. Es ging jedenfalls nicht um ihre fachliche Kompetenz.
Wie tief sitzt die Enttäuschung?
Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich auch jetzt noch nicht ganz darüber weg bin. Ich hätte lieber drei Niederlagen hintereinander kassiert oder eine Quali verpasst. Dann hätte ich sagen können: Das ist halt Leistungssport und du hast die Quittung dafür bekommen. Aber wir hatten 2010 von zehn Spielen nur eins verloren, waren ein intaktes Team, die Jungs wollten unbedingt zur Europameisterschaft und ihren U17-Titel verteidigen. Das wäre nicht einfach geworden, aber ich bin überzeugt: Die EM hätten wir erreicht und dort eine sehr gute Rolle gespielt. Definitiv. (Unter Nachfolger Christian Ziege verpasste die U19 die Endrunde in Rumänien./d. A.)
Trotzdem haben Sie nicht nachgegeben?
Hier und da muss man sich im Leben anpassen. Aber ich lasse mich nicht verbiegen. Ich habe meine Linie beibehalten. Deshalb kann ich damit umgehen und leben.
Obwohl Sie beim DFB beste Arbeitsbedingungen hatten?
Das steht außer Frage. Es hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Man darf aber nicht verkennen, was die Vereine in den Leistungszentren für die Nachwuchsförderung tun. Dort wird der absolute Hauptteil der Ausbildung geleistet. Beim DFB kann man die gut ausgebildeten Spieler zusammenführen und auf einem sehr hohen Niveau mit ihnen arbeiten. Aber die kontinuierliche Entwicklung der Spieler passiert in den Vereinen. Sonst hätten wir nicht diese Fülle an klasse Talenten.
Wie geht es für Sie beruflich weiter?
Es gab Angebote, aber man trifft Entscheidungen nicht mehr so leicht wie vor 20 Jahren. Ich bin älter geworden, habe einige Erfahrungen mehr, einen Anspruch aufgebaut. Hinzu kommt die familiäre Komponente. Es ist Lebensqualität, zu Hause zu wohnen, auch seinen Freundeskreis in der Nähe zu haben. Und Dresden ist eine schöne Stadt. Das hat für mich eine andere Wertigkeit bekommen.
Sie haben Sportpsychologie studiert, bieten Kurse an. Könnte darin Ihre berufliche Zukunft liegen?
Es ist ein reizvolles Thema, wo sowohl im Sport als auch in der Gesellschaft ziemlich große Reserven liegen: der Schlüssel zum Menschen. Deshalb habe ich auch die Zertifizierung zum Business-Coach gemacht. Das wird in jedem Fall parallel weiterlaufen.
Was muss zusammenkommen für den neuen Traumjob?
Das Feuer muss angehen, es muss klick machen. Ich muss abends den nächsten Tag kaum noch erwarten können.
Das Gespräch führte Sven Geisler. ----------- "Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart."
Curt Goetz
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