Abgeordnete hinter Milchglas
Es war knapp, doch das Bundesverfassungsgericht entschied für Transparenz: Abgeordnete müssen künftig ihre Nebeneinkünfte offenlegen. Gleichwohl bleiben Schlupflöcher - Spenden unter 10.000 Euro zum Beispiel muss niemand angeben.
Das war knapp, ganz knapp. Mit einem Patt von vier zu vier Stimmen ist die Klage von neun Bundestagsabgeordneten gegen die Offenlegung ihrer Nebeneinkünfte vom Verfassungsgericht abgeschmettert worden. Die Unterlegenen können sich damit trösten, dass sie mit ihren Bedenken gegen den "gläsernen Abgeordneten" immerhin bei vier Richtern Gehör gefunden haben. Doch egal, man kann andererseits auch sagen: Knapp gewonnen ist für die Demokratie und ihre Transparenz auch ein schöner Sieg.
Denn es ist gut, dass die Wähler künftig etwas genauer wissen dürfen, ob und welche Einkünfte ihre Volksvertreter neben dem Bundestagsmandat noch kassieren. Es hat schließlich in der Vergangenheit zuweilen schlimmen Missbrauch durch Parlamentarier gegeben. Da ließen sich Abgeordnete fünfstellige Summen monatlich aufs Konto schieben, etwa von VW, für die sie keine erkennbare Arbeit leisteten. Der CDU-Politiker Laurenz Meyer stand auf der Lohnliste des Stromkonzerns RWE, der CDU-Sozialausschüssler Arentz zockte dort 60.000 Euro im Jahr ab.
Verteidigungsminister Rudolf Scharping ließ sich von einem zwielichtigen PR-Manager honorieren, der Grüne Cem Özdemir hielt hier ebenfalls die Hand auf. Parteiübergreifend wurde im Dunkel der Diskretion Missbrauch betrieben. Man kann dem Kind einen eindeutigen Namen geben: Da lief über arbeitslose Einkommen eine ganz besonders verwerfliche Form politischer Korruption.
Wird der Mandatsträger zum Lobbyisten?
Mindestens ebenso heikel ist daneben allerdings noch eine andere Form der Gefährdung der politischen Unabhängigkeit der Abgeordneten, die ja in Sonntagsreden gerne beanspruchen, nur ihrem Gewissen und sonst niemand verpflichtet zu sein. Werktags jedoch sind sie unerhört fleißig im Dienste großer Firmen, als Geschäftsführer einflussreicher Verbände, als juristische Berater von Unternehmen. Sie sind überaus aktiv in einer politisch-parlamentarischen Grauzone, in der kaum einmal klar erkennbar ist, ob der Mandatsträger im Bundestag aus eigener Überzeugung spricht und abstimmt. Oder ob er schlicht als Lobbyist tätig wird - ob er also schlankweg seinen politischen Einfluss für gutes Geld verhökert.
Niemand will schließlich Abgeordneten verbieten, einen zweiten Beruf auszuüben. Allerdings: Man kann sich bei einigen Politikern sehr, sehr wundern, dass sie neben ihren zahlreichen Aufsichtsratmandaten, Beirats- und Beraterposten überhaupt noch Zeit finden zur Ausübung ihres Mandats, das schließlich im Mittelpunkt ihrer politischen Arbeit stehen sollte. Aber sei's drum. Die Öffentlichkeit hat jedoch einen Anspruch darauf zu erfahren, welche anderen Einkünfte ein Abgeordneter neben den auch nicht unstattlichen Diäten (7009 Euro plus 4600 Euro Aufwandsentschädigung) er noch bezieht.
Kein gläserner Abgeordneter in Sicht
Die vor dem Verfassungsgericht angegriffene Regelung ist ja weit davon entfernt, besonders radikal zu sein. Einen wirklich "gläsernen" Abgeordneten schafft sie nicht, er bleibt hinter Milchglas, denn offen gelegt werden müssen die Nebeneinkünfte, die nicht selten die Haupteinkünfte sind, nicht im Detail, sondern nur in pauschalen Angaben, einem Drei-Stufen-Modell (1000 bis 3500 Euro, bis 7000 Euro, mehr als 7000 Euro). Diese Angaben ziehen keinen Mandatsträger bis aufs Hemd aus, wie die Gegner der Offenlegung behaupten. Und unverändert bleibt es dabei, dass "Spenden" an Abgeordnete unterhalb der Höhe von 10.000 Euro weiterhin nicht veröffentlicht werden müssen. Hier besteht weiterhin die Möglichkeit einer "Umwegfinanzierung," um sich politischen Einfluss zu sichern, ohne sich dazu bekennen zu müssen.
Die jetzt höchstrichterlich erlaubte Regelung ist unterm Strich immer noch ein arg halbherziger Kompromiss. Wem selbst das zu weit geht, muss sich den Verdacht gefallen lassen, er habe etwas zu verbergen. Sie raubt auch keinem Abgeordneten, wie oft behauptet, sein berufliches Standbein oder schreckt einen politisch Interessierten Zeitgenossen davon ab, sich um ein Mandat zu bewerben. Ebenso wenig sticht das Argument, vor allem Rechtsanwälte würden gezwungen Geschäftsverbindungen zum Nachteil ihrer Mandanten offen zu legen. Das ist weiterhin mitnichten der Fall.
Und wenn es tatsächlich so sein sollte, dass der eine oder andere Jurist wegen der bescheidenen Offenlegung seiner Einkünfte auf ein politisches Engagement verzichtet - es würde unsere Demokratie nicht gefährden. Mag ja sein, dass der Bundestag mal voller und mal leerer, aber immer voller Lehrer ist. Aber noch viel weniger leidet er an zu wenigen Juristen Mangel. http://www.stern.de/politik/panorama/...ordnete-Milchglas/592376.html
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