(IPPNW April 2002) Für die weltweit größte Häufung von Leukämieerkrankungen bei Kindern in der Umgebung der Geesthachter Atomanlagen süd-östlich von Hamburg rückt eine Erklärung in greifbare Nähe. In Bodenproben lassen sich plutoniumhaltige radioaktive Partikel nachweisen, Bestandteile von sogenanntem PAC-Brennstoff. Als mögliche Erklärung für den PAC-Brennstoff kommen illegale Forschungen zur Atomwaffentechnologie in Frage. Weltweit höchste Leukämierate Seit 1990 beunruhigt eine unheimliche Serie kindlicher Leukämien die Bevölkerung in der niedersächsischen Elbmarsch gegenüber von den Geesthachter Atomanlagen, dem Atomkraftwerk Krümmel und dem benachbarten nuklearen Forschungszentrum GKSS (Gesellschaft für Kernenergiegeverwertung in Schiffbau und Schifffahrt). Allein in der kleinen Gemeinde Tespe erkrankten innerhalb kurzer Zeit 6 Kinder. Nur etwa alle 60 Jahre wäre hier durchschnittlich ein kindlicher Leukämiefall zu erwarten. Gegen den entschiedenen Widerstand von Politik und Verwaltung bemühen sich einige Wissenschaftler in den Leukämiekommissionen der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein konsequent um die Aufklärung der Leukämieursachen. IPPNW und die örtliche Bürgerinitiative unterstützen und begleiten die Aufklärungsbemühungen. Ungewöhnlich hohe Radioaktivität Unabhängiges Labor für die Kernkraftwerksüberwachung ist die benachbarte Atomforschungseinrichtung GKSS, die für erhöhte Radioaktivität in der Region selbst als Emittent in Betracht kommt.
Den Jahresberichten läßt sich eine jahrelang anhaltende systematische Kontamination von Luft und Regenwasser mit Cäsium entnehmen beginnend 1984, also vor dem Reaktorunfall von Tschernobyl. Nirgendwo sonst in Norddeutschland sind anhaltend derartig erhöhte Cäsiumgehalte gemessen worden. Dosimeter auf dem Dach des Maschinenhauses des Atomkraftwerkes zeigen seit 1986 stark erhöhte Werte, die nicht mit der Reaktorleistung korrelieren. Plutoniumfunde führen zu Diffamierungskampagne gegen Professorin 1998 lässt die örtliche Bürgerinitiative abgelagerten Dachbodenstaub auf alphastrahlende Nuklide untersuchen. Erhöhte Konzentrationen von Americium- und Plutoniumisotopen werden gefunden. Mit der Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse setzt eine beispiellose Diffamierungskampagne gegen Frau Prof. Schmitz-Feuerhake (Universität Bremen) ein. Der Leiter des Bremer Labors Gerald Kirchner fällt Schmitz-Feuerhake in den Rücken und behauptet, die gemessenen Kontaminationen seien eindeutig auf Atomwaffenfallout zurückzuführen. Die Physikalisch Technische Bundesanstalt teilt kurz darauf mit, es handle sich um Plutoniumeinträge durch den Reaktorunfall von Tschernobyl. Kernbrennstoffpartikel in der Umwelt Die Bürgerinitiative läßt Rückstellproben des Dachstaubs in einem Krakauer Labor mit verbesserter Methodik nachmessen. Die Messung bestätigt im Vergleich zu Kontrollproben den Plutonium- und Amerciumeintrag im Raum Geesthacht. Durch einen Bericht in der Frankfurter Rundschau wird eine Wissenschaftlergruppe auf das Problem aufmerksam. Die Marburger und Giessener Wissenschaftler (Arbeitsgemeinschaft für Analytik und Messtechnik/ARGEPhAM) gelten als Befürworter der zivilen Atomenergienutzung, die sich als Gerichtsgutachter einen Namen gemacht haben. Die ARGEPhAM führt im Auftrag von IPPNW und Bürgerinitiative Untersuchungen durch mit dem Ergebnis, dass PAC-Kernbrennstoffpartikel für die Umweltkontamination ursächlich sind, die nicht auf Tschernobyl oder Bombenfallout zurückgeführt werden können. Diese „Sphere pac“ genannten Partikel waren in den 80er Jahren sowohl für den zivilen als auch für den militärischen Bereich von großem Interesse. Ein Zusammenhang mit dem Normalbetrieb eines Siedewasserreaktors sei auszuschließen.
Das Atomforschungszentrum GKSS überrascht mit der Mitteilung, dass pac-Partikel in der Fachwelt unbekannt seien. Einschlägige der IPPNW vorliegende Fachliteratur widerlegt die Behauptung. Das Kieler Energieministerium hält die Partikel für Wurmkot oder Baumharz. Einschlägige Materialanalysen und der Nachweis von Alpha- und Betaaktivität widerlegen auch diese Behauptung. Folgeuntersuchungen der ARGEPhAM belegen auch das Vorhandensein von angereichertem Uran in der Umgebung von den Atomanlagen, das weder aus Tschernobyl noch aus Waffenfallout stammt. Radonmärchen – Atomunfall mit PAC-Kernbrennstoff Am 12.9.1986 wird im Atomkraftwerk erhöhte Strahlung gemessen. Interne Ursachen können ausgeschlossen werden, so dass eine Ansaugung der Radioaktivität von außen vermutet wird. Mitarbeiter in Strahlenschutzanzügen führen außerhalb der Anlage Messungen durch und werden dabei beobachtet. Die Erklärung für die Öffentlichkeit: es handle sich um einen Eintrag natürlichen bodennahen Radons durch Inversionswetterlage von außen nach innen. Die Luftansaugung erfolgt jedoch in einer Höhe von mehr als 40 Metern. In Bodennähe aufkonzentriertes Radon ist dadurch bereits so verdünnt, dass ein nennenswerter Eintrag in Innenräume undenkbar ist. In der Woche des Radonzwischenfalls fällt eine Radioaktivitäts-Meßsonde auf dem Gelände der GKSS wegen eines Brandes für Wochen aus. Fazit Das Atomforschungszentrum GKSS wird von Bund, einzelnen Bundesländern und Industrie, z.B. HEW und Siemens getragen. Das Interesse an einer Aufklärung vorhandener Radioaktivitätseinträge und der weltweit einzigartigen Leukämiehäufung um die Geesthachter Atomanlagen ist seitens der Kieler Landesregierung nicht erkennbar. Eine mögliche Erklärung: Atomforschung in Geesthacht bewegt sich in jener Grauzone von militärischer und friedlicher Nutzung oder jenseits dieser Grauzone. Von Helga und Hayo Dieckmann
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