EU warnt Irak in gemeinsamer Erklärung vor Ablauf der Zeit
Die Europäische Union hat den Irak dringend zur Abrüstung seiner Massenvernichtungswaffen aufgerufen und das Regime in Bagdad erstmals vor einem Ablauf der Zeit gewarnt. Der britische Premierminister Tony Blair beharrt darauf, dass Irak Kontakte zum Terrornetz al-Kaida unterhält.
Colin Powell Wenn der Irak seine letzte Gelegenheit zur friedlichen Entwaffnung nicht ergreife, trage er die Verantwortung für alle Konsequenzen, heißt es in der am Mittwoch in Brüssel vorgelegten Stellungnahme. Während die EU bislang vor allem auf deutsches und französisches Drängen hin jede Fristsetzung für eine friedliche Konfliktlösung vermieden hatte, heißt es in der am Mittwoch veröffentlichten Erklärung: "Die Zeit läuft ab." Damit greift die EU eine bislang vorwiegend von den USA und von Großbritannien gebrauchte Formulierung auf.
Weiter heißt es in dem Text: "Der Irak muss seine Massenvernichtungswaffen vollständig abrüsten. Wir möchten dies auf friedliche Weise erreichen. Das ist nur möglich, wenn der Irak vollständig, bedingungslos und unverzüglich alle einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats erfüllt." Erneut wird die Regierung in Bagdad aufgefordert, den Uno-Inspektoren jede Information zu allen noch offenen Fragen zu geben. Die Erklärung erfolgte im Namen aller 15 EU-Mitglieder und der 13 Beitritts-Kandidaten.
EU-Sondergipfel geplant
Ein Sprecher des belgischen Außenministeriums sagte, die EU-Staaten seien sich einig über ein Sondertreffen zum Irak-Konflikt auf hoher Ebene. Dazu würden auch die EU-Beitrittskandidaten sowie die Nachbarländer des Iraks eingeladen. Es werde vermutlich ein Treffen der Außenminister sein, sagte der Sprecher nach Angaben der Nachrichtenagentur Belga.
Dafür solle jedoch die Vorlage des nächsten Berichts von Uno-Chefinspekteur Hans Blix am 14. Februar im Sicherheitsrat abgewartet werden. Eine solche Konferenz der EU mit anderen Staaten hatte die griechische Regierung angeregt. Eine Bestätigung für ihr Zustandekommen gab es von dieser Seite jedoch bislang nicht.
Blair glaubt weiter an Verbindung zu al-Kaida
Der britische Premierminister Blair beharrt darauf, dass Irak Kontakte zur al-Kaida unterhält. Allerdings sei nicht bekannt, welchen Umfang die Verbindungen hätten, sagte Blair am Mittwoch im Londoner Unterhaus. Ähnlich äußerte sich Außenminister Jack Straw. Der Rundfunksender BBC hatte zuvor berichtet, der britische Geheimdienst bezweifle, dass der irakische Staatschef Saddam Hussein zurzeit direkten Kontakt zur al-Kaida von Osama Bin Laden habe.
Der Sender berief sich auf ein ihm bekanntes streng geheimes Dokument des Verteidigungsministeriums. Dieses sei vor drei Wochen erstellt und Blair vorgelegt worden. Es enthalte die klare Aussage, es bestünden gegenwärtig keine Verbindungen zwischen Irak und al-Kaida. Es habe allerdings solche Kontakte in der Vergangenheit gegeben, heißt es laut BBC in dem Dokument weiter. Diese seien jedoch an gegenseitigem Misstrauen und unterschiedlichen Ideologien gescheitert. Das britische Verteidigungsministerium lehnte eine Stellungnahme zu dem Bericht ab.
Bruchstückhafte Hinweise
Den USA liegen nach Angaben aus Regierungskreisen nur bruchstückhafte Hinweise vor, dass die irakische Führung Verbindungen zu al-Kaida unterhält. US-Außenminister Colin Powell will am Mittwoch auch Details über Reisen von Al-Kaida-Mitgliedern in den Irak bekannt geben. Dabei wolle er aber nicht unterstellen, dass es eine formelle Allianz zwischen Bagdad und al-Kaida gegeben habe, sagten US-Regierungsbeamte dem Nachrichtensender CNN am Dienstag. Powell werde jedoch Beweise zu Kontakten zwischen al-Kaida und dem Irak vorlegen.
Die Informationen seien fragmentarisch und könnten unterschiedlich ausgelegt werden, verlautete am Dienstag aus US-Regierungskreisen. Aus diesem Grund würden die Hinweise auch nur einen geringen Teil der Rede von Powell ausmachen. US-Präsident George W. Bush hatte gesagt, es gebe Belege für eine Verbindung zwischen Irak und al-Kaida, die von den USA für die Anschläge vom 11. September 2001 verantwortlich gemacht werden.
Hussein bestreitet Verbindungen zu al-Kaida
Der irakische Präsident Saddam Hussein hat in einem Interview mit dem britschen Privatsender Channel 4 jegliche Beziehungen zu al-Kaida bestritten. In dem am Dienstagabend ausgestrahlten Gespräch sagte Saddam Hussein: "Wenn wir Beziehungen zu al-Kaida hätten, und wenn wir an diese Beziehungen glauben würden, hätten wir keinen Grund uns deswegen zu schämen und das nicht zuzugeben."
Auch der stellvertretende irakische Ministerpräsident Tarik Asis wies in der französischen Tageszeitung "Le Figaro" angebliche Verbindungen des Irak zu al-Kaida entschieden zurück. "Unser Regime ist laizistisch und hat Islamismus und Fundamentalismus immer mit Nachdruck bekämpft".
Geheimdienstinformationen über die Produktion von Massenvernichtungswaffen
In der von Deutschland geleiteten Sitzung des Sicherheitsrates in New York will die USA am Mittwoch nach Angaben von US-Regierungskreisen auch mit Geheimdienstinformationen ihre Argumentation untermauern, dass Irak die Waffeninspektoren an der Nase herumführt und nicht ernsthaft zur Abrüstung bereit ist. Powell selbst hat von Material gesprochen, das "einfach, nüchtern und überzeugend" sein werde. Dabei will er vor allem Satellitenfotos, Abhörprotokolle und anderes den Irak belastende Material präsentieren. Powell wird nach Informationen aus US-Regierungskreisen vermutlich unter anderem Aufnahmen vorlegen, auf denen mobile Labore für biologische Waffen zu sehen sind. Die Sitzung wird auch an den Märkten weltweit mit Spannung erwartet.
Irak hat auch diese Vorwürfe zurückgewiesen und seine Zusammenarbeit mit den Inspektoren als gut bezeichnet. Saddam warf den USA und Großbritannien vor, einen Vorwand für einen Krieg zu suchen, um die Kontrolle über das Öl im Nahen Osten zu erlangen. Irak verfügt über die zweitgrößten Öl-Vorkommen der Welt.
Straw will Waffeninspektoren nicht mehr Zeit geben
Der britische Außenminister Straw hat Forderungen nach mehr Zeit für die Waffeninspektionen als sinnlos zurückgewiesen. Straw warf Irak in einem Beitrag für die Tageszeitung "Times" schwerwiegende Verstöße gegen die Abrüstungsauflagen vor. Solange der irakische Präsident Saddam Hussein nicht mit den Uno-Inspektoren kooperiere, dürfe der Forderung nach mehr Zeit für die Erfüllung der Abrüstungsresolution nicht stattgegeben werden.
Auch der Chef der Uno-Waffeninspektoren, Hans Blix, ermahnte Irak mit Nachdruck zur Zusammenarbeit. "Es ist fünf vor Zwölf", sagte Blix. In einem Interview mit der arabischen Zeitung "Al-Hayat" hat Blix sich allerdings negativ über bisherige US-Hinweise zur Waffenproduktion Bagdads geäußert. "Ich habe keine Beweise gesehen, die zeigen, dass Material von den Anlagen weggebracht wurde," sagte er. Auch die amerikanische Behauptung, die Iraker produzierten Biowaffen in mobilen Labors, sei bislang nicht bewiesen.
Für die Inspektoren sei es nun wichtig, dass die Iraker die Flüge der U2-Aufklärungsflugzeuge und die vertrauliche Befragung irakischer Wissenschaftler im Inland oder im Ausland ermöglichten. "Was aber noch wichtiger für uns ist, ist dass sie alle Gefechtsköpfe deklarieren", sagte Blix weiter. Am Wochenende soll er zu Gesprächen nach Bagdad reisen.
Fischer optimistisch
Bundesaußenminister Joschka Fischer hat sich vor der Uno-Sitzung zuversichtlich gezeigt, dass die Abrüstungsresolution 1441 ohne Gewalt umgesetzt werden kann. Dem ZDF "Morgenmagazin" sagte Fischer am Mittwochmorgen, dazu bräuchten die Waffeninspektoren der Vereinten Nationen Zeit. Fischer wies auf die Risiken einer Militäraktion hin, "nicht nur die humanitären Folgen für unschuldige Menschen, sondern auch die Frage der regionalen Destabilisierung." Er gehe davon aus, dass all Beteiligten diese Risiken sehr sorgfältig abwägen würden.
Fischer kam am Mittwoch mit Blix und seinem französischen Amtskollegen Dominique de Villepin am Uno-Hauptsitz zusammen. Anschließend wollte er mit dem amerikanischen Außenminister Colin Powell und Uno-Generalsekretär Kofi Annan unter vier Augen sprechen. Die USA und Großbritannien haben angekündigt, notfalls ohne eine weitere Uno-Resolution Irak im Alleingang und mit Gewalt entwaffnen zu wollen. Die Bundesregierung hat bekräftigt, sie werde sich nicht an einen Irak-Krieg beteiligen.
© 2003 Financial Times Deutschland , © Illustration: AP
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