URSACHEN DER RALLYE UND FORTSETZUNGSCHANCEN Von Heibel-Ticker • 11. März 2009 um 10:10 Uhr
Wo ist die Kapitulation, die einer Bodenbildung zumeist vorhergeht? Wo ist die Panik? Und was ist der Anlass für die gestrige Rallye? Nirgendwo ein Krieg, keine Katastrophe, keine politische Sensation, nicht einmal besonders hilfreiche Worte von Obama, Merkel oder in China von Wen Jiabao. Nichts! Nur eine Meldung der Citigroup, dass die ersten beiden Monate im Jahr 2009 außerordentlich gut gelaufen seien.
Aber das hatte Josef Ackermann vor einigen Wochen über die Deutsche Bank ebenfalls gesagt, es folgte ein Kursfeuerwerk bei der Deutschen Bank, aber nicht an der breiten Börse.
Außerdem tickerte die Meldung der Citigroup gestern Vormittag über die Nachrichtenkanäle, die Rallye wurde jedoch erst gegen 14 Uhr losgetreten. Sind die Europäer so dumm und haben sie die Bedeutung der Citigroup-Meldung nicht verstanden, oder gab es noch etwas anderes?
Nun, es gab noch einiges anderes. Die Meldung der Citigroup ist nur einer der Auslöser der Rallye. Die anderen Auslöser sind aber noch viel wichtiger. Ich werde mich heute kurz fassen, denn ich habe die Hintergründe zu den teilweise komplizierten Regulierungen und deren Bedeutung in den vergangenen Monaten immer wieder erläutert. Und nun, wo ich durch eine Riesenrallye Recht zu bekommen scheine, kennt noch immer kaum jemand diese Zusammenhänge. In den Medien wird verkrampft nach Gründen in der Wirtschaft gesucht. Doch das ist falsch.
Die Wirtschaft hat mit dieser Krise nichts zu tun. Der Wirtschaft ging es in dieser Krise die längste Zeit erstaunlich gut, erst sehr spät haben die Probleme des Finanzsektors irgendwann auf die Wirtschaft übergegriffen. Der Finanzsektor, insbesondere der Immobilienbereich, ist unser Problemkind. Und hier hat sich einiges getan:
HINTERM RÜCKEN BERNANKES IST MARK-TO-MARKET EGAL
Ben Bernanke hat in einer Rede gestern einen Sinneswandel vollzogen. Die strenge Bilanzierungsvorschrift „mark-to- market”, also zum Marktwert zu bewerten, könne seiner Ansicht nach aufgeweicht werden. Die strikte Anwendung dieser Regel habe seiner Einschätzung nach einen negativen Einfluss auf das Funktionieren der Finanzmärkte. Endlich! Er hat es begriffen!
Wenn Ihr Nachbar seinen Porsche Boxter ohne Sonderausstattung unter Zeitdruck für 20.000 Euro an den Porschehändler verscherbeln muss, dann heißt das nicht, dass Ihr 911er mit allen Extras auch nur noch 20.000 Euro wert ist. Doch genau das verlangt die mark-to-market Regel: Sofern es keinen besseren Vergleichswert gibt, müssen Sie den zuletzt in Ihrer Nachbarschaft erzielten Verkaufswert für ein Haus auch für Ihr Haus ansetzen. Und für die Banken bedeutet das, dass Immobilienderivate im eigenen Bestand, die derzeit auf dem freien Markt nicht nachgefragt werden, praktisch Null US-Dollar wert sind, obwohl regelmäßige Zins- und Tilgungseinnahmen daraus erzielt werden.
Mark-to-market ist eine sinnvolle Bilanzierungsregel. Davon brauchen Sie mich nicht zu überzeugen. Doch derzeit hat diese Regel einen Entwertungsstrudel gestartet, der von alleine nicht mehr zu stoppen ist.
Bernanke hat mit seiner Aussage endlich eingesehen, dass dieser Strudel erst dann aufhört sich zu drehen, wenn es keinen Bankensektor mehr gibt. Er hat nun sehr geschickt reagiert: Weder möchte er diese sinnvolle Regel für immer abschaffen, noch möchte er sie weiterhin auf Quartalsbasis strikt durchsetzen. Seinen Äußerungen zufolge kann der Bankensektor damit rechnen, für eine gewisse Zeit mit Nachsicht behandelt zu werden, wenn mark-to-market nicht mehr angewendet wird. Bernanke dreht sich also um und sagt, ich möchte gar nicht wissen, was ihr in den nächsten Monaten hinter meinem Rücken macht.
UPTICK RULE WIRD WIEDER DISKUTIERT
John Nester, Sprecher der US-Börsenaufsicht SEC, hat heute bekannt gegeben, dass die Uptick Rule Ende dieser Woche zur Diskussion stehen werde und gegebenenfalls schon im April wieder eingesetzt werden könnte. Mary Shapiro, die neue SEC- Chefin, sagte in ihrer Antrittsrede bereits, dass die Uptick Rule zu den Dingen gehöre, die sie als erstes untersuchen wolle.
Und zwei einflussreiche Senatoren aus dem Weißen Haus, Barney Frank und Christopher Dodd, haben sich in einer ersten Reaktion zum SEC-Statement bereits positiv zu diesem Vorhaben ausgesprochen. Auch hier kann ich nur kommentieren: Endlich! Da bewegen sich also Dinge!
KEINE PANIK NÖTIG
Wenn Sie sich die Kursentwicklung vom Montag dieser Woche anschauen, dann werden Sie sehen, wie die Aktienkurse kontinuierlich abwärts glitten. Keine besonderen Meldungen, keine besonderen Ereignisse, keine Panik und auch keine besonders aufgeregte Berichterstattung in den Medien. Im Gegenteil, man hat sich an Börsentage gewöhnt, an denen sich jeder Kauf umgehend als Fehler herausstellt. Also kaufte man eben nicht mehr.
Und verkauft wurde nur noch von Profis. Privatanleger haben längst ihre wichtigen Beträge gerettet. Wer jetzt noch Aktien hält, der hält sie wie Warren Buffet mit einem Zeithorizont von über fünf Jahren. Verkauft wird von Profis: Leerverkäufer, die in den vergangenen Monaten immer mächtiger wurden. Leerverkäufer, die allein schon die Märkte immer wieder in die Knie zwingen können, auch wenn es keinen negativen Anlass dazu gibt.
PERMA-BÄREN HABEN ÜBERZOGEN
Diese Leerverkäufer müssen derzeit keine Uptick Rule berücksichtigen, sie können so schnell Shorten, dass die Kurse gar keine Chance für eine Rallye haben. Und wenn es keinen Grund für weiter fallende Kurse mehr gibt, dann tritt Nouriel Roubini im Fernsehen auf: Am Montag verkündete der Perma-Bär (= ewiger Pessimist), dass der Dow Jones noch auf 5.000 Punkte sinken werde. Ich habe eine grobe Kalkulation der 30 Dow- Komponenten vorgenommen und bin zu dem Schluss gekommen, dass dann die Citigroup, JP Morgen und die Bank of America nicht mehr existieren dürften. Es gebe dann im Dow Jones keine Bank mehr. Das wäre gleichbedeutend mit dem Ende des privaten Finanzsektors der USA. Glauben Sie, Obama ist darauf vorbereitet, den US-Finanzsektor zu verstaatlichen? Ich glaube das nicht.
Wie es immer mit Perma-Bären ist: In Baisse-Zeiten werden sie schnell zu den Helden der Shortseller. Sie wachsen in diese Rolle hinein, sonnen sich im Rampenlicht und verpassen den Absprung. Oder glauben Sie, CNBC ruft bei Roubini an und fragt, ob er nicht einmal etwas ganz anderes behaupten wolle? Nein, Roubini kommt immer genau dann ins Fernsehen, wenn Gründe für die Kursverluste gesucht werden und verlässlich wie ein Uhrwerk verkündet Roubini sodann auch das Ende der Finanzwelt und prognostiziert einen Dow Jones von 5.000 Punkten.
Meredith Whitney, die Königin der Bären, hat ebenfalls am Montag einen ausführlichen Bericht über die ausstehenden Kreditkartenschulden der Amerikaner geschrieben. Ich habe schon vor einigen Monaten die Kreditkartenangst als überzogen entlarvt und das ganze vorgerechnet. Nun am Boden des Crashs malt Whitney aus, wie der Konsum zurückgehen werde, wenn die Kreditkartenlimite gestrichen würden – ein Vorgang der ihrer Ansicht nach bereits begonnen habe. Whitney ist 37 Jahre alt und sehr hübsch. Ich denke, das ist der Hauptgrund, warum sie ins Fernsehen geladen wird. Die Folge: Bank of America, die Citigroup und Capital One brachen am Montag nochmals ein.
Ich kann nur sagen: Wenn selbst den Perma-Bären keine neuen Argumente mehr einfallen, dann ist es Zeit für eine Gegenreaktion! Roubini und Whitney: Vielen Dank für das eindeutige Signal. Es war für Vikram Pandit ein Leichtes, diese Panikmache mit seiner Meldung über das überraschend gute erste Quartal 2009 ins Lächerliche zu ziehen.
Normalerweise erleben wir so etwas wie eine Panik, wenn sich am Ende eines Bärenmarktes ein Boden bildet. Doch diesmal fand die Panik schon im vergangenen Oktober statt. Wer zu panischen Reaktionen neigt, der ist bereits im vergangenen Oktober ausgeflippt.
Seither zieht es die Börse immer weiter in den Abgrund, obwohl viele Unternehmen bereits unter ihren Barreserven bewertet sind. Mit dem niedrigsten KGV des S&P 500 seit ich an der Börse aktiv bin! Das durchschnittliche KGV im S&P beträgt derzeit 14,29! Alles unter 17 wird als unterbewertet angesehen. Doch mark-to-market sorgte für immer neue Hiobsbotschaften und die fehlende Uptick Rule gab den Bären ein leichtes Spiel mit den angeschlagenen Unternehmen kurzen Prozess zu machen.
POSITIVE SIGNALE VON BANKEN, ENERGIE UND TECH
Eine Rallye allein im Bankensektor kann nicht nachhaltig sein. Wenn der Markt abhebt, wünscht man sich eine Beteiligung möglichst vieler Branchen. Und tatsächlich war dies gestern der Fall:
Finanzaktien +14,86%, damit ist der Finanzsektor gestern am besten gelaufen. Wenn selbst die Citigroup noch ein gutes Quartalsergebnis erzielt, was glauben Sie, was Goldman Sachs, Morgan Stanley und die Deutsche Bank erwirtschaften werden? Vor der „Gefahr” einer positiven Überraschung werden die Bären nun ihre Shortpositionen eindecken.
Der Ölpreis ist deutlich über 45 USD/Fass gestiegen. Damit ist der Flirt mit den 30ern zunächst vorüber. Der Ölkonzern Chevron hat bekannt gegeben, die verbrauchten Ölvorräte um 148% ersetzt zu haben: Die Ölvorräte von Chevron steigen also. Gleichzeitig wird von der OPEC eine Reduzierung der täglichen Fördermenge oder zumindest die strikte Durchsetzung der aktuellen Förderlimits erwartet. Energieaktien sind gestern um 5,07% angestiegen.
Texas Instruments vermeldete rückläufige Lagerbestände und eine anziehende Nachfrage im 3G-Bereich. Der Zulieferer des Mobilfunkmarktes gab damit positive Signale für die gesamte Branche von Research in Motion, Nokia und Apple über Analog Devices bis hin zu Qualcomm aus. Techaktien legten um 5,75% zu.
Damit sind viele für eine nachhaltige Rallye wichtigen Branchen angesprungen.
AUSBLICK
Gestern haben wir also gesehen, was passiert, wenn die Argumente der Bären als lächerlich entlarvt werden. Die Bauteile, um die Finanzmärkte wieder zum Funktionieren zu bringen, sind vorhanden. Es fehlt nun noch ein US-Finanzminister Tim Geithner der sagt, dass die Senatoren Dodd und Frank, dass die SEC-Chefin Spagiro und dass Bernanke Recht haben mit Ihrer Kritik und dass deren Verbesserungsvorschläge sinnvoll sind und unterstützt werden. Mehr muss Geithner nicht machen, und eine Gegenreaktion von über 25% wäre drin. Die Banken könnten sich bei einer solchen Meldung verdoppeln. Ja, ich lehne mich hier ganz schön weit aus dem Fenster: Vergangene Woche sagte ich, dass das Jahrestief von 2009 im März erfolgen werde. Und jetzt spreche ich schon von einer sensationellen Rallye. Und das, obwohl gerade einmal ein Tag mit steigenden Kursen zu sehen war.
Als gesichert sehe ich meine Prognose denn auch noch nicht an: Noch kann Geithner die Entwicklung stoppen, noch kann auch die Uptick Rule innerhalb der SEC gegen Widerstände laufen und abgelehnt werden und noch ist eine großzügige Anwendung von mark-to-market nicht möglich – Bernanke braucht hier das Okay von Geithner.
Über Geithner thront Obama, der bislang kaum Verständnis für die Finanzmärkte gezeigt hat. Im Gegenteil, sein Ansatz von „nimm’s den Reichen und Stärke die Staatsmacht bei gleichzeitiger Rückführung der Neuverschuldung” ist während der schlimmsten Wirtschaftskrise der USA seit 70 Jahren der falsche Weg. Immerhin regt sich im Weißen Haus Widerstand gegen diese falsch terminierte idealistische Marschrichtung Obamas.
Das ist die Gefahr, mit der wir Leben müssen: Obama und / oder Geithner können die heute eingeschlagenen richtigen und wichtigen Schritte mit einem Federstrich, einer Randbemerkung in einer Rede, zunichte machen. Es wäre nicht das erste Mal.
Sie kennen mich als unverbesserlichen Optimisten und so ist auch diese Ausgabe verfasst. Vielleicht paart sich auch die Vorfreude auf meinen Nachwuchs mit meinem Optimismus, ich weiß es nicht. Daher gebe ich Ihnen die Dinge an die Hand, die für die Entwicklungen verantwortlich sind und ich habe Ihnen hier auch die Risiken gezeigt, die noch immer bestehen. Wenn diese Risiken erst beseitigt sind, dann steht der Dow Jones 25% höher, dann haben sich die Banken verdoppelt. Doch bis es soweit ist bleibt die Entwicklung ungewiss. Große Chancen an der Börse kommen eben selten ohne großes Risiko. ----------- An der Börse sind 2 mal 2 niemals 4, sondern 5 minus 1. Man muß nur die Nerven haben, das minus 1 auszuhalten.
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