Thema: Spekalutionssüchtige : neues Krankeitsbild

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neuester Beitrag: 01.12.02 23:24
eröffnet am: 01.12.02 21:28 von: Norbert Anzahl Beiträge: 4
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01.12.02 21:28

300 Postings, 8773 Tage Norbert Thema: Spekalutionssüchtige : neues Krankeitsbild

Reif für die Insel
Ihnen kann auch eine Jahresend-Rallye an den Börsen nicht helfen: Spekulationssüchtige. Das neue Krankheitsbild beschäftigt nun auch Therapeuten
von Roland Mischke

Sie „scharren mit den Füßen“, sobald der Dax nach oben zuckt. Sagt die TV-Sprecherin: „Bei einem Sprung über die 3300er-Marke könnte sich Dynamik einstellen“, geraten sie in eine Phase starker Unruhe. Und wenn sie über ein börsennotiertes Unternehmen hören: „Nach dieser Transaktion dürften noch über elf Milliarden Euro mit Netto-Cash vorhanden sein“, spüren sie ihr Herz heftig klopfen und Schweiß ausbrechen. Das kann bis hin zu einer Beeinträchtigung der Herz-Kreislauf-Frequenz gehen.


„Typische Spekulationssüchtige“, sagt Joachim Otto (53), Leiter der Evangelischen Suchtberatung des Diakonischen Werks in Frankfurt. „Die reale Welt kann er sofort hinter sich lassen, wenn er wie fremdgesteuert in eine andere Welt eintritt. Einige meiner Klienten können sehr plastisch schildern, was beim Spekulieren mit ihnen geschieht: Sie fühlen sich beim Schmieden ihrer Strategien wie Feldherrn vor der großen Schlacht, haben Macht und erlangen individuelle Freiheit in einem unerhörten Maß. Das ist der Kick!“


Der erste deutsche Therapeut, der sich der Spekulationssüchtigen annimmt, ist geradezu prädestiniert dafür: Otto ist gelernter Bankkaufmann und hatte Anfang der siebziger Jahre selbst an der Börse gearbeitet. „Damals war das noch eine geruhsame Sache.“ Gemächlich Aktien kaufen, essen gehen, in der Bank die Kurse an die Tafel stecken. Nachmittags den Schriftverkehr erledigen, Beratungsgespräche führen. „Das war eine Angelegenheit unter Gentlemen, höflich, gediegen, stilvoll.“


Der Börsenboom hat alles verändert. „Wenn es um viel Geld geht, zieht das Menschen mit Suchtpotenzial an wie Motten das Licht.“ Je höher die Summe, desto größer die Anerkennung durch Kollegen, Freunde, Partner. „Wer mit Millionenbeträgen handeln konnte, ist besonders gefährdet.“ Jede Million hat ihre Magie. Jetzt, wo das Geschäft mühsam geworden ist und „der lustvoll-euphorische Reiz auf schnellen Gewinn wegfällt, zeigt sich das nackte Suchtverhalten. Der Rausch ist das Ziel“, aber der Weg dahin ist sehr, sehr lang geworden. Das löst erhebliche Frustrationen aus, „wie bei Medikamentenabhängigen, die man gewaltsam auf Entzug gesetzt hat und die nach einiger Zeit alles tun, um an Tabletten zu kommen“.


So wie einige seiner Klienten, die Joachim Otto vor allem seit diesem Jahr in seinem Büro am grünen Glastisch mit den Ledersesseln vor einer holzgetäfelten Wand zu Gesprächsserien von fünf bis acht Sitzungen empfängt. Broker, Anlageberater, Analysten, Abteilungsleiter und Zweigstellenleiter bei Banken. Auch vermögende Privatleute, die als Glücksritter, gepuffert mit aberwitzig hohen Krediten ihrer Banken, ins Aktiengeschäft eingestiegen sind, „weil sie das Gefühl gehabt hätten, sie verpassten sonst die Chance ihres Lebens“. Nun sind sie hoch verschuldet, „kaum unter 300 000 Euro, mitunter auch mit zwei, drei Millionen“.


Die meisten kommen nicht freiwillig, der Leidensdruck in den Familien ist enorm, so dass Partnerinnen und Kinder massiv Druck machen. Manche haben hinter dem Rücken ihrer Frau das gemeinsam erwirtschaftete Vermögen geplündert, das Haus mit Hypotheken belastet, die Zukunftsvorsorge für die Kinder verzockt. „Nach so viel Vertrauensverlust, Verzweiflung und Verbitterung bei den Angehörigen lassen sie sich schon mal in die Therapie schicken – aber nur, nachdem die Frau einen Termin gemacht hat.“ Nur sein jüngster Klient (26) meldete sich von selbst, als er eines Tages seine rot geränderten Augen im Spiegel sah und erkannte, dass in den Weiten des elektronischen Netzes nichts mehr zu holen war, er sich aber trotzdem zwanghaft Nacht für Nacht darin verlor.

In den USA gibt es bereits wissenschaftliche Untersuchungen über die Spekulationssucht. Dort gelten zehn Prozent der Anlageberater und zwei Prozent der Privatanleger als abhängig. Das Problem ist vorwiegend männlich. Hier zu Lande erlangt das Phänomen erst jetzt Aufmerksamkeit. Die Klientel unterscheidet sich völlig von der sonstigen Kundschaft der Suchtberatungsstellen, den Alkohol-, Drogen- oder Glücksspielsüchtigen. „Sie kommen aus einem gehobenen Milieu, leben auf großem Fuß und können sich sehr gut ausdrücken.“ Nur durch beherztes Fragen wird das Suchtverhalten herausgearbeitet. „Gefragt wären jetzt souveräne Verlierer. Aber diese Menschen wollen sich immer noch dadurch retten, dass sie weiter zukaufen und hektisch verkaufen, dass sie Misserfolge nicht eingestehen können, sondern behaupten, schlechten Informationen aufgesessen zu sein oder von einer Bank getäuscht worden zu sein.“


Joachim Otto glaubt, dass Spekulationssucht vor allem partnerschaftlich gelöst wird. „Der Einzelne hat zu viele Möglichkeiten, sich zu betäuben.“ Sein Pendant sorgt für Nüchternheit. Otto verweist nach seiner Beratung an Psychotherapeuten und Suchtkliniken – „Stationäre Behandlung ist für manche die einzige wirkliche Hilfe“ –, aber auch an Schuldenberater und Insolvenzexperten. „Wer aus der Sucht raus will, kann durch intensives Erleben im Privaten kompensieren.“ Unter seinen Klienten gibt er bisher nur wenigen „eine Chance von 60 zu 40 Prozent, dass sie es schaffen, mit ihrer Sucht dauerhaft fertig zu werden. Die Versuchung, es wieder und wieder zu probieren, ist riesig“. Eine Empfehlung von Börsenprofis, wegen der Unsicherheitsszenarien nur die auf dem Markt befindlichen Einlageprodukte wie Sparbriefe oder Geldmarktfonds zu berücksichtigen, ruft bei Zockern allenfalls ein Gähnen hervor. „Was sie suchen, ist die wahnsinnig schnelle Umschlaggeschwindigkeit, das Risiko, den ständigen Erregungszustand.“ Oft würden das die vernachlässigten Ehefrauen erstaunlich lange mittragen. Sie leiden bei der Spekulationssucht mit, „bis es nicht mehr geht, weil alles Geld weg ist“.


Joachim Otto ist überzeugt davon, „dass wir bisher nur die Spitze des Eisbergs kennen, da kommt viel in den nächsten Monaten“. Seine Erkenntnis: „Wer unter den Geldverheißungen der letzten Jahre ins Börsengeschäft einstieg, kommt nicht mehr zur Ruhe. Aber nur dauerhafter Entzug bewirkt positive Veränderungen im Gehirn.“ Aus der Hirnforschung ist bekannt, dass Nerven sich durch Reize verketten und dadurch Sucht entsteht. Day-Trader, die jahrelang auf Bildschirme starrten, über die Zahlenkolonnen und Firmennamen huschten, nehmen die Börsen-Baisse als Strafe, die sie nicht verdient haben. „Sie hätschelten den Traum vom großen Geld, erzählten Freunden, sie wollten mit einigen Millionen aussteigen. Nun dürfen sie um ihrer selbst willen nicht zugeben, dass die Börse keine Traumfabrik ist“, so Suchtexperte Otto. Schluss mit dem Köpfen von Moët-Chandon-Flaschen bei exorbitanten Kursgewinnen, vorbei das übermütige Karriolen im Porsche durch die nächtlichen Straßen, aus auch mit „dem extremen Lustempfinden bei Erfolg, was das Suchtverhalten am meisten konsolidiert“, und mit der Selbstberauschung. Otto kennt den Fall eines noch jungen Zockers, „der mit Futures immense Summen umgesetzt hat, so dass er zeitweise das Geschehen an der Düsseldorfer Börse bestimmte. In seiner Katerstimmung blieb ihm nur ein letzter Trost, als er rückblickend sagte: ?Sie haben auf mich gehört!‘“

Gefährdet ist auch Harald M.* (39) aus Gießen. Auf Grund seiner stabilen Partnerschaft hätte er gute Möglichkeiten, aus der Sucht rauszukommen. „Er will aussteigen, kann sich aber nicht in stationäre Behandlung begeben, weil er sich das mit einer Million Euro Schulden nicht leisten kann“, so Joachim Otto. Es gibt keine gesetzliche Regelung, die den Suchtkranken vor dem Zugriff des Gesetzes bewahrt. Und ob ein Haftaufenthalt für Entzug sorgt, ist mehr als fragwürdig. Harald M. hat sich selbstständig gemacht als Private Financial Planer, was seinem Therapeuten gar nicht gefällt. „In dieser Position muss er sich ständig mit Anlagestrategien befassen. Da ist er akut in Gefahr, selbst wieder ins Spekulieren hineinzurutschen“, sagt Otto. „Eigentlich hat er keine Chance.“

Quelle:finanzen.de

 

01.12.02 22:27

4312 Postings, 9009 Tage Idefix1Guter Beitrag

Ich habe mich mit diesem Thema fast das ganz Jahr über beschäftigt. Und ich neige noch immer zu der Aussage "ist bei mir nicht annähernd so schlimm".

So argumentiert auch einer, der jeden Abend seine 2-3 Bierchen trinkt, nicht die Welt, aber halt JEDEN Abend.... das ist Schmalspur-Alkoholismus und jederzeit ausbaufähig...

Die Synapsen werden nur bei völliger Enthaltsamkeit frei. Da ich dazu nicht bereit bin, bin ich süchtig....

 

01.12.02 23:18

3862 Postings, 8488 Tage flexoEs gibt so unendlich viele Suchtbilder

eines der heftigsten ist z.B. Sektenhörigkeit oder die sog. Kirchenmitgliedschaft. Mann, was geht da für ein Vermögen drauf. Süchtige suchen ihr Heil immer wieder in Kirchengebäuden.

Und am Ende merken sie - ich bin wie immer der Arsch.


Helau.  

01.12.02 23:24

179550 Postings, 8250 Tage Grinch@Idefix: Da musst du unterscheiden... wer nur 2-3

Bierchen zwickt ist warscheinlich abhängig vom Hopfen... der Beruhigt... ab 4-5 Bier erreicht der Körper einen gewissen Level an Alkohol... das ist dann allerdings das sogenannte Spiegeltrinken... wirklicher Alkoholismus geht soweit das der Körper ohne den Alkohol und den Sauerstoffentzug unter dem der Körper leidet nicht mehr arbeitstüchtig ist... der Suchtkranke hyperventiliert praktisch ständig... daher die zitternden hände und schwindel gefühl!
 

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