“Repräsentativitätsheuristik“ haben die Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman diese mentale Abkürzung getauft: Wir klassifizieren Dinge, Menschen und Vorgänge nach ihrer Repräsentativität - wer einem Banker ähnlich ist, ist auch einer. Grundsätzlich ist diese Denkstrategie klug und zeitsparend, kann aber zu Fehlentscheidungen führen, vor allem, wenn wir uns mit dem Zufall beschäftigen. Das Problem des Menschen mit dem Zufall ist nämlich, dass er ihn sich als ungeordnet, als chaotisch und wirr vorstellt. Also ist alles, was nicht ungeordnet, wirr und chaotisch ist, nicht repräsentativ für diese Vorstellung und kann deswegen kein Zufall sein. Wir glauben nicht, dass ein Zufall Muster erzeugt, weswegen Muster immer eine Bedeutung für uns haben, auch wenn sie zufällig entstehen.
Glauben ans Prinzip der Serie
Das führt beispielsweise dazu, dass Menschen an Chartanalyse glauben: Wer Muster in Kursverläufen sieht, gibt diesen eine Bedeutung, weil Muster eben nicht zufällig entstehen können. Die Repräsentativitätsheuristik kann also dazu führen, dass wir zufällige Kurskonstellationen mit Bedeutung adeln, das macht Chartanalyse in den Augen ihrer Kritiker zu Narrengold. Doch nicht nur das, die Repräsentativitätsheuristik führt dazu, dass wir erwarten, dass sich unsere Vorstellung vom Zufall überall widerspiegelt. Deswegen glauben Menschen an die heiße Hand.
Hinter der Idee der heißen Hand steht die Vorstellung, dass Serien nicht zufällig sein können, auch wenn sie nur von kurzer Dauer sind: Wenn ein Analyst vier Jahre in Folge richtigliegt, eine Aktie oder ein Index mehrere Monate hintereinander steigt, glauben wir, dass der Analyst oder die Aktie heiß sind, dass dieser Lauf so weitergeht - und investieren. Statistisch gesehen ist das mutig, denn so ein Erfolg muss nicht ein Hinweis auf einen Trend oder besondere Fähigkeiten des Analysten sein, sondern kann zufällig zustande gekommen sein. Aber das würde nicht unserer repräsentativen Vorstellung vom Zufall entsprechen.
Kursentwicklungen verleihen wir nachträglich einen Sinn
Im schlimmsten Fall investieren wir dann auf der Basis längst vergangener und unbedeutender Erfolge, die auf einer viel zu kleinen Stichprobe beruhen. Die Repräsentativitätsheuristik führt also dazu, dass der Analyst, der einmal spektakulär richtig liegt, zum Guru wird, ein Analyst, der mehrmals in Folge richtig liegt, eine heiße Hand hat, der Fonds, der drei Jahre hintereinander den Markt schlägt, der beste ist. Wir investieren, weil wir zufälligen Ereignissen nachträglich einen Sinn verleihen.
Während man bei der heißen Hand also erwartet, dass alles so weitergeht wie bisher, geht man beim sogenannten Spielerirrtum vom Gegenteil aus, nämlich davon, dass ein Trend enden muss. Sieht man im Casino, dass sagen wir vier- oder fünfmal hintereinander auf Rot fällt, so erwartet man, dass jetzt Schwarz „an der Reihe“ ist, weil viermal hintereinander Rot nicht unserer repräsentativen Vorstellung vom Zufall entspricht. Wer dem Spielerirrtum unterliegt, begeht also den gleichen Fehler wie die heiße Hand mit anderem Vorzeichen: Er glaubt nicht, dass ein Trend Bestand hat, weil es unserer Vorstellung von Zufall entspricht, dass ein solcher Trend zu Ende gehen muss.
Narren des Zufalls
So widersprüchlich diese beiden Ideen sind, so prima passen sie in der Realität zusammen. Nach einer Untersuchung erwarten private Investoren, dass amerikanische Aktien steigen werden, wenn sie im Vorjahr gestiegen sind. Anders ist das hingegen bei den Erwartungen professioneller Investoren: Sie unterliegen dem Spielerirrtum, glauben also daran, dass nach einem guten Jahr ein schlechtes Jahr folgen muss. Der echte Zusammenhang wäre übrigens: gar keiner. Die Renditen des Vorjahres haben wenig Erklärungskraft für das aktuelle Jahr. Sowohl die Profis als auch die Privatinvestoren unterliegen der Repräsentativitätsheuristik und messen den Ergebnissen des Vorjahres eine zu große Bedeutung bei.
Die Repräsentativitätsheuristik führt also dazu, dass wir zufälligen Ereignissen eine ungerechtfertigte Bedeutung zumessen. Wir fällen Investitionsentscheidungen, weil wir zufälligen Ereignissen nachträglich einen Sinn verleihen, was nicht gerade die beste Entscheidungsgrundlage ist. Der Zufall ist so wild und unberechenbar, dass er auch Muster erzeugt - und wenn wir nicht lernen, dass so etwas möglich ist, machen wir uns zu Narren des Zufalls. Dass Repräsentativität keine gute Investmentgrundlage ist, haben auch die Käufer der Biodata-Aktie erfahren müssen: Knappe zwei Jahre später meldete das Unternehmen Insolvenz an.
Der Autor lehrt Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim.
http://www.faz.net/aktuell/finanzen/...und-unberechenbar-11688368.htm
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