http://suche.bundestag.de/...to&searchType=simple&x=9&y=8 Detlef Parr (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, herzlichen Dank für Ihr leidenschaftliches Plädoyer für die Freiheit und die Schönheit des Sports. Damit sprechen Sie uns Liberalen aus dem Herzen. Hier haben wir viele Gemeinsamkeiten. Der Auslöser für die heutige Grundsatzdebatte war allerdings ein anderer. Monatelang bestimmten Schlagzeilen über Medikamentenmissbrauch, Gewalt und Rassismus, Betrug, Leistungsmanipulationen, Verdächtigungen, Boykottdrohungen und Maulkörbe für Athleten das öffentliche Bild des Sports, zum Teil sogar aus diesem Hohen Hause befördert. Durch diese Dominanz der Katastrophenmeldungen entstand der Eindruck, der Sport bewege sich am Abgrund, ein Zerrbild, das aber ein Gutes hat: Wir denken über die gesellschaftliche Bedeutungdes Sports neu nach und stellen seine Strukturen auf den Prüfstand. Wir erkennen, dass der Sport Teil eines gesamtgesellschaftlichen Netzes, gleichsam ein Spiegel des Zustands unserer Gesellschaft ist. Missstände sind vor dem Hintergrund von 27 Millionen Menschen in 90 000 Vereinen plus unzähliger nicht organisierter Sporttreibender nicht die Regel, wie manche Berichterstattung glauben machen will. Sie sind vielmehr das unbeabsichtigte Ergebnis des Zusammenwirkens unterschiedlicher Interessen aus Leistungssport, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Massenmedien und Publikum. Daraus ergibt sich folgende, etwas plakativ dargestellte Handlungskette: Das Publikum will Rekorde, Spannung, Unterhaltung, Brot und Spiele. Die Medien greifen dieses Bedürfnis auf und berichten vorzugsweise über die Erfolgreichen. Diese wecken das Interesse der Wirtschaft, die über Sponsoring den Sport als attraktives Werbemedium unterstützt. Die Wissenschaft entwickelt – teilweise am Rande des Erlaubten – innovative Methoden, um die Athleten zu Höchstleistungen zu animieren. Die Politik subventioniert den Spitzensport – wenn wir ehrlich sind – auch, um Begleitaufmerksamkeit herzustellen und Profil zu gewinnen. Wir müssen zugeben: All diese Akteure – auch wir – haben ihren Anteil an der Entstehung der Probleme, an denen ein Teil des Sports heute leidet. Deshalb müssen wir den Sport neu denken, müssen wir auch Verantwortung neu und anders einfordern und uns von den strukturellen Zwängen so weit wie möglich lösen. Wir dürfen nicht bei jedem Kritikpunkt gleich „Skandal“ rufen. Ein bisschen mehr Gelassenheit und Sachlichkeit tun auch dem Sport gut. (Beifall bei der FDP) Willi Weyer, der unvergessene Präsident des ehemaligen Deutschen Sportbundes, hat vor vielen Jahren in seiner burschikosen Art gesagt: „Sport ohne Leistung ist Kappes!“ Recht hat er. Aber darf Leistung angesichts der Entwicklung der Ergebnisse etwa in der Leichtathletik oder beim Schwimmen immer nur absolut gesehen werden, mit dem manischen Blick auf die Anzeigentafel und der Gier nach neuen, absoluten Höchstleistungen? So können und dürfen wir nicht länger das olympischeMotto „schneller, höher, stärker“ auslegen. Wir müssen vielmehr Zuschauern, Medien, der Wirtschaft, der Wissenschaft und auch uns selbst als verantwortlichen Sportpolitikern klarmachen: Die wachsende Nachfrage nach immer hochkarätigeren Leistungen hat in vielen Disziplinen längst ihre Grenzen an den körperlichen und psychischen Möglichkeiten des Einzelnen erreicht. Wir alle dürfen keine Beiträge mehr leisten, die dazu führen, dass Körper und Psyche unserer Athletinnen und Athleten überfordert werden und zu hohe Erwartungen entstehen. Die Bedeutung des Wettkampfes muss über dem Rekordgedanken stehen. Anreize wie Rekordprämien oder der Einsatz von sogenannten Hasen als Tempomacher müssen der Vergangenheit angehören. Das gilt auch für die Einblendungen von Rekordzeiten im Fernsehen oder ihrer Veröffentlichung in Programmheften. Wir müssen einen neuen Anfang wagen. Wir müssen uns auf Werte des Sports zurückbesinnen, die verschüttet wurden. (Dagmar Freitag [SPD]: Das ist vernünftig!) Nun zur Sportförderung. Wir als Bundestag sind der größte Geldgeber des Spitzensports. Im engen Schulterschluss mit dem DOSB und den Fachverbänden werden die Mittel leistungsorientiert eingesetzt. Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll geben unseren Hochleistungssportlern den erforderlichen Rückhalt. Darüber dürfen wir aber die zweite wesentliche Säule nicht vergessen, die Herr Minister Schäuble auch angesprochen hat, nämlich die Sponsoren aus der Wirtschaft. Die herausragende Bedeutung der Stiftung Deutsche Sporthilfe ist uns erneut am vergangenen Wochenende bei der Verleihung der Goldenen Sportpyramide vor Augen geführt worden. Das Sponsoring muss weiter wachsen. Nicht nur für den Spitzensport, sondern auch für die kleinen Vereine ist in Zeiten knapper Kassen die Beteiligung der privaten Wirtschaft unabdingbar geworden. Die FDP beobachtet allerdings mit Sorge, dass die Bundesregierung mit ihrem fatalen Hang zum Aufbau einer Verbotsrepublik (Dagmar Freitag [SPD]: Ach du lieber Gott! Das hat aber lange gedauert!) Deutschland die Rahmenbedingungen für eine gute Sportförderung durch die Wirtschaft deutlich verschlechtern will. Staatliche Überreglementierung, neue Werbeverbote in den Medien oder im Internet, Verkaufsverbote und Konsumverbote prägen die aktuelle Situation, zum Beispiel die Diskussion über Tabak- und Alkoholprävention oder Ernährungsfragen. Bei allem Verständnis für einen fürsorgenden Staat: Er darf die Menschen in ihrem privaten Bereich nicht übermäßig bevormunden. Aufklärung und Information im Zusam17488 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 (A) (C) (B) (D) Detlef Parr menwirken mit der Industrie, auch Selbstverpflichtungen im Bereich des Kinder- und Jugendschutzes führen zu besseren Ergebnissen und sichern zugleich die Möglichkeiten des Sponsorings auch als soziale Leistung. Auch darauf hat der Sportminister hingewiesen. (Beifall bei der FDP) An die Substanz der Sportförderung geht der neue Glücksspielstaatsvertrag. Viele Millionen Euro aus den Erlösen flossen bisher über die Länder in die Vereine und Verbände. Die Antworten auf erste Anfragen meiner Landtagskollegen nach Inkrafttreten des Vertrages sind alarmierend. In Schleswig-Holstein gingen die Einnahmen aus der Oddset-Sportwette in den ersten vier Monaten bei der Kombiwette um 40 Prozent und bei der Topwette um 50 Prozent zurück, in Sachsen um 52 Prozent. Zusammengerechnet sind das 4,5 Millionen Euro. Im Lottobereich verzeichnen wir in beiden Ländern insgesamt 12,5 Millionen Euro Mindereinnahmen, unter anderem wegen der Restriktionen für gewerbliche Spielvermittler. Das geschieht in einem Glücksspielbereich, in dem das Suchtverhalten am unproblematischsten ist, wie die Drogenbeauftragte der Bundesregierung gestern noch im Gesundheitsausschuss bestätigt hat. Wir sind auf dem falschen Weg. Bereits im Februar 2006 hatte eine Kommission „Sportwetten der Bundesländer“ erstaunliche Erkenntnisse, die die FDP in zwei Anträgen hier in das Haus eingebracht hat. Sie weist bei einer möglichen Neuordnung des Rechts der Sportwetten auf die Erschließung von bislang dem Sport nicht zugänglicher Wertschöpfung hin. Sie zieht eine Konzessionierung gewerblicher Anbieter in Erwägung und fordert – ich zitiere – „bei der Zulassung gleiche Bedingungen für alle Bewerber, auch für die bisherigen staatlichen Sportwettanbieter, die sich gegebenenfalls zusammenschließen könnten, um ein konkurrenzfähiges Angebot abgeben zu können.“ Ich fordere die Regierungen in Bund und Ländern auf: Schluss mit dieser Vogel-Strauß- Politik! Nehmen Sie die Realitäten wahr! Ordnen Sie europarechtskonform die Sportwetten neu, wie es Großbritannien, Österreich und Spanien vorgemacht haben und Frankreich es künftig tun wird. (Beifall bei der FDP) Dann könnten wir auch anderen wichtigen Bereichen des Sports, die bisher eher stiefmütterlich behandelt wurden, wie dem Deutschen Behindertensportverband oder Special Olympics, der Vereinigung, die für die geistig Behinderten und ihre Sportmöglichkeiten eintritt, neue Quellen eröffnen und für eine gesichertere Zukunft sorgen. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])
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