Der Glanz des integrierten Reisekonzerns blättert ab
Der Touristik- und Schifffahrtskonzern TUI ist auf dem Reissbrett entstanden. Das dabei verfolgte Konzept des integrierten Anbieters, der von der Buchung über den Flug bis zur Unterbringung alles in seiner Hand hat, hat jedoch an Attraktivität eingebüsst. cei. Frankfurt, 28. August
TUI habe geschafft, wofür Volkswirtschaften sonst Jahrzehnte brauchten, schreibt Europas grösster Touristikkonzern stolz auf seiner Website. Damit ist der resolute Umbau vom Industrie- und Bergbauunternehmen Preussische Bergwerks- und Hütten AG (Preussag) zum Dienstleistungskonzern TUI gemeint. 1988, als der heutige Firmenchef Michael Frenzel zur damaligen Preussag stiess, war das Unternehmen noch in 50 Branchen aktiv, etwa in der Exploration und Förderung von Erdöl oder in der Produktion von Feuerlöschern und Schiffen. Der verzettelten Preussag weint denn auch niemand eine Träne nach. Heutzutage setzt TUI auf den Tourismus und die Containerschifffahrt. Doch das Reisegeschäft ist ertragsschwach, und die bisher stets profitable Containersparte schrieb im Halbjahr rote Zahlen. Genug Gesprächsstoff also für den Aufsichtsrat, der in dieser Woche seine jährliche Strategiesitzung abhält.
Der gezimmerte Konzern Die Wende von der Preussag zur TUI wurde 1997 eingeleitet, als der Industriekonzern die traditionsreiche Hamburger Reederei Hapag-Lloyd kaufte. Zu ihr gehörten auch ein Anteil an der Touristik Union International (TUI) und eine Fluggesellschaft. Frenzel löste das Tourismusgeschäft heraus und fügte Reisebeteiligungen hinzu, die der Preussag-Grossaktionär Westdeutsche Landesbank über die Jahre zusammengekauft hatte. Frenzel wollte damit dem mittelständisch geprägten Reisesektor industrielle Strukturen verpassen. Der neu geschaffene Konzern sollte jede Stufe der Wertschöpfung abdecken: von der Buchung über den Flug bis zur Unterbringung in eigenen Hotels. Weitere Grossakquisitionen folgten: zunächst eine Mehrheitsbeteiligung an der englischen Thomas Cook. Doch nachdem man für fast 3 Mrd. Euro die noch grössere Thomson Travel übernehmen konnte, wurde Cook wieder abgestossen. Nachdem TUI auch noch die französische Nouvelle Frontière unter ihre Kontrolle gebracht hatte, avancierte das Unternehmen in Deutschland, Grossbritannien und Frankreich zum Marktführer für Pauschalreisen. Heute gehören zu TUI 3300 Reisebüros, 165 000 eigene Hotelbetten und 100 Flugzeuge. TUI setzte im vergangenen Jahr 20 Mrd. Euro um und erzielte einen Gewinn von 0,5 Mrd. Euro.
Zunächst erhielt Frenzel viel Lob. Die Gewinne kletterten, die Metamorphose schien zu gelingen. Doch die Freude währte nur kurz. Die Terroranschläge im September 2001 und der Krieg im Irak dämpften die allgemeine Reiselust. Darunter litten die integrierten Anbieter besonders, da sie plötzlich auf teuren Überkapazitäten sitzen blieben. Zusätzlich wird heute die Planung dadurch erschwert, dass die Mehrheit der Leute erst einige Wochen vor Reisebeginn ein Arrangement bucht. Die hierfür erforderliche Flexibilität scheinen integrierte Touristikfirmen nicht immer aufbringen zu können. Ein Vergleich mit der Autoindustrie drängt sich auf. Dort haben die Produzenten in den letzten Jahren bewusst die Wertschöpfungskette aufgebrochen und setzen auf Arbeitsteilung mit spezialisierten Zulieferern. Im Tourismus folgt zumindest die Kundschaft einer ähnlichen Logik. So schnürt sich besonders eine junge Klientel ihr Ferienpaket aus Flug, Hotel und Mietauto im Internet selbst. Die Pauschalreise als «Sorglospaket» hat hingegen an Anziehungskraft verloren.
Endloser Sanierungsbedarf Fragezeichen sind auch hinter die ungestüme internationale Expansion von TUI zu setzen. Zum einen ist die Touristik wie der Lebensmittelhandel ein Geschäft, das verschiedene regionale Geschmäcker kennt. Konzepte sind deshalb nur bedingt übertragbar. Dies beschränkt auch die Kostenersparnisse, die eine Firma realisieren kann, die gleichzeitig in verschiedenen Ländern präsent ist. Zum anderen erwiesen sich die Akquisitionen oft als Hypothek, da die Gesellschaften Sanierungsbedarf aufwiesen. Zwar hat Thomson in Grossbritannien wieder Tritt gefasst. Aber im vergangenen Jahr kriselte es in Frankreich, weshalb man nun dort die Strukturen unter die Lupe nimmt und der zuständige Vorstand unter Druck geraten ist. Erstaunen löste zudem die Nachricht aus, dass selbst am deutschen Heimmarkt die verschiedenen Veranstalter bisher weitgehend unabhängig voneinander operierten. Jetzt sollen Planung, Produktion und Vermarktung der Marken TUI, Airtours (Luxussegment) und 1-2-Fly (Billigsparte) zusammengelegt werden. Im Zug dieses Umbaus werden 400 leitende Positionen wegfallen.
Von der bevorstehenden Sitzung des Aufsichtsrates ist trotzdem kein grundlegender Strategiewechsel zu erwarten. Einen «quick fix» für die Touristik gibt es nicht, solange man das Modell des integrierten Anbieters nicht über Bord werfen will. Vielmehr gilt es ständig an den Kosten zu feilen. Dass in England mittlerweile 50% der Kunden online buchen, zeigt, wie man Vertriebskosten sparen kann. In Deutschland ordern erst 12% der TUI-Gäste ihre Reise über das Internet. In der Containerschifffahrt gilt es zunächst, die milliardenschwere Akquisition der kanadischen CP Ships zu verdauen. Beobachter rechnen damit, dass es noch am ehesten bei den Fluggesellschaften konkrete Beschlüsse geben wird. Spekuliert wird über eine Zusammenlegung der Charterfluggesellschaft Hapag Fly mit dem Billigflieger HLX. Solche punktuellen Massnahmen ändern freilich am Konstruktionsmangel des Konzerns nichts. Die Entstehungsgeschichte von TUI reflektiert letztlich den gefährlichen Glauben, man könne aus dem Nichts einen Konzern europäischen Zuschnitts aus dem Boden stampfen, indem man einen vermeintlichen Wachstumsmarkt identifiziert und anschliessend in diesem Gebiet Dutzende von Gesellschaften übernimmt. Der Vertrag des 59-jährigen Frenzel dauert noch bis 2008. Ob dannzumal das Verfalldatum des Kunstgebildes TUI erreicht sein wird? 29. August 2006, Neue Zürcher Zeitung
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