Vor der Zinsentscheidung: Das Dilemma des Ben Bernanke! von Ronald Gehrt
Es gibt Situationen, in denen man es niemandem Recht machen kann. Jeder von uns kennt solche Zwickmühlen, in welchen man sich eigentlich nur aussuchen kann, welche der unerfreulichen Alternativen den geringsten Schaden verursachen wird.
Der Chef der US-Notenbank, als Theoretiker früher nie um eine Lösung verlegen, steckt nun in einer solchen unerfreulichen Lage. Aber noch gewürzt um den Umstand, dass es nicht absehbar ist, wie groß der Schaden nach den jeweiligen ihm zur Verfügung stehenden Entscheidungen ausfallen würde. Man kann vermuten, man darf raten ... und man darf davon ausgehen, dass Mr. Bernanke aus dieser Situation nicht ohne zwei blaue Augen herauskommen wird.
Zwickmühle mit Zugzwang
Es stehen für heute drei Möglichkeiten zur Verfügung: Zinsen erhöhen (oder es zumindest andeuten), Zinsen senken (oder es zumindest andeuten) oder nichts tun und gar nichts ankündigen oder andeuten.
Eine typisch menschliche Entscheidung wäre natürlich, überhaupt nichts zu tun, sich quasi blind und taub zu stellen und zu hoffen, dass das alles irgendwie wieder von alleine ins Lot kommt. Hierzulande hat diese Vorgehensweise seit unserem vorvorherigen Kanzler die Bezeichnung „Aussitzen“. Doch genau das hat das Federal Open Market Committee (FOMC) um Ben Bernanke schon mehrere Monate getan. Und es sitzt sich ungemütlich zwischen zwei Stühlen.
Kann das so schwer sein? Sind diese Leute denn nicht ausgebildet, die Sache in den Griff zu bekommen? Leicht gesagt. Denn die Lage ist wirklich dergestalt, dass es zehn falsche und nur einen richtigen Weg geben könnte:
Die Hauptaufgabe der Notenbank ist eigentlich, für eine ausreichende Versorgung mit Liquidität zu sorgen, ohne dass die Stabilität des Geldwerts gefährdet wird. Dafür zu sorgen, dass die US-Wirtschaft schön wächst, gehört hingegen nicht zu ihren wirklichen Aufgaben. Doch man verlangt von ihr beides.
Die übliche Zinsschaukel funktioniert diesmal nicht
Nun ist das normalerweise machbar. Wenn die Wirtschaft stagniert, werden die Zinsen zeitgerecht gesenkt. Das bringt mehr und billigeres Geld in die Märkte, es wird wieder investiert, mehr konsumiert. Es geht wieder voran. Das führt irgendwann zu steigenden Löhnen und steigenden Preisen ... zu Inflation. Um dies wiederum einzudämmen, werden die Zinsen wieder angehoben, sprich der Geldnachschub verteuert, was das Ganze dämpft. Und bevor es zu weit nach unten geht, werden die Zinsen wieder gesenkt usw. So schaukelt man sich in der Regel ohne größere Schäden heil über die Jahrzehnte.
Doch im Augenblick haben wir eine eher unnatürliche Situation: Weil die US-Wirtschaft bereits über mehrere Jahre gewachsen ist, verfügen die Unternehmen über ein gutes Finanzpolster. Die Löhne steigen daher noch recht deutlich, während das Wachstum immer mehr verschwindet. Das ist letztlich auch so, weil der Arbeitsmarkt hinsichtlich qualifizierter Kräfte sehr dünn ist.
Und, weil man nicht sofort Mitarbeiter auf die Straße setzt, weil die Auftragslage langsam schlechter wird. Genauso, wie man nicht sofort einstellt, wenn sich eine kritische Lage verbessert sondern lieber die bestehende Belegschaft Überstunden schieben lässt. Der Arbeitsmarkt ist ein typischer „Spätzünder“, der als einer der letzten Sektoren auf Veränderungen der Lage reagiert.
Neben den steigenden Löhnen sind die Kredite durch das zuletzt so billige Geld so weit gestiegen, dass der Konsum lange immens gut lief und Preissteigerungen möglich waren. Das bedeutete, dass die Inflationsraten zu hoch waren. Doch jetzt, obgleich die Fed seit 2004 deutliche Zinserhöhungen vorgenommen hat, sind die Preissteigerungen immer noch hoch. Einmal, weil der Kostendruck auf die Unternehmen sie zwingt, immer noch die Preise zu erhöhen. Und zum anderen, weil die US-Bürger die Lage viel sorgloser angehen als man das hierzulande verstehen kann (wo man beim Anzeichen von Gefahr sofort mit Sparmaßnahmen reagiert) und weiterhin fröhlich auf Pump konsumieren, was die negative Sparquote der USA seit Jahren belegt.
Aber dennoch scheint nun das Wachstum der US-Wirtschaft dahin. Und zugleich existiert die Bedrohung durch den Immobilienmarkt, dessen Absturz Vermögensverluste und Zahlungsausfälle bei Krediten und Hypotheken erwarten lässt. Das heißt:
Eigentlich wären Zinssenkungen nötig, aber ...
Eigentlich würde die Fed gerne die Zinsen senken, um die US-Konjunktur wieder unter Dampf zu bekommen. Und, um ggf. die zukünftigen, zahllosen Opfer von Hypotheken mit variablem Zinssatz, welcher sich bei vielen nun nach 3-4 Jahren plötzlich verdoppeln würde, vor dem finanziellen k.o. zu schützen.
Es hängt hier alles in sich zusammen. Nichts ist völlig isolierbar. Wenn die Zinsen auf diesem Level bleiben, ist keine Bodenbildung am Immobilienmarkt möglich. Und die Auswirkungen eines weiteren Absturzes würde Konsum, Arbeitsmarkt und letztlich natürlich auch Anleihe- und Aktienmärkte betreffen. Wer das negiert und behauptet, der Immobilienmarkt wäre ein isoliertes Problem ohne Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft, behauptet schlicht Unsinn. Aber sinkende Zinsen bringen neuen Ärger:
... das bringt neue Probleme
Wenn Bernanke die Zinsen senkt ... und zwar deutlich, sonst bringt es nichts ... schwindet die Attraktivität der US-Märkte für die dort lebenswichtigen ausländischen Investoren. Die Zinsdifferenz zu Europa, wo man wegen des dort stabilen Wachstums die Zinsen gerade weiter anhebt, wäre dahin. Yen/Dollar-Carry-Trades wären so weniger interessant als Yen-Kredite gegen Euro aufzunehmen, um dieses Geld in Europa anzulegen. Würden die US-Aktien- und Anleihemärkte auch nur ein wenig ins Abseits geraten, wäre dies im Zuge der ohnehin fragilen Finanzlage fatal.
Und was man bitte auch nicht vergessen darf: Zinsveränderungen haben eine deutlich zeitverzögerte Wirkung. Niemand wird sofort massiv Investieren, wenn die Leitzinsen gerade einmal gesenkt wurden. Man wird abwarten, bis sich das Ende der Zinssenkungen und damit der günstigste Kredit abzeichnet und erst dann etwas tun. Und das bedeutet, dass die momentane Abschwächung trotz erster Zinssenkungen monatelang weiter gehen kann! Und:
Wenn Bernanke jetzt die Zinsen schnell senkt, wird die Inflation wohl kaum zurückgehen. Schon jetzt ist der Fed die Rate zu hoch. Und trotz stagnierendem Wachstum steigen die Rohstoffpreise und auch die Löhne und halten so die Produktionskosten hoch.
Also Zinsen erhöhen, aber das bringt erst recht Probleme
Aus dieser Warte heraus müsste er also die Zinsen eher anheben. Aber da kommt das nächste „aber“. Wird das Geld teurer, sprich würden die Zinsen steigen, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Gewinne der US-Unternehmen würden deutlich gedrückt, weil zu den hohen Kosten auch noch hohe Refinanzierungskosten kämen. Nicht zuletzt über den Arbeitsmarkt würde das der Konjunktur noch mehr schaden. Oder sie könnten diese gestiegenen Kosten an die Verbraucher dennoch weitergeben. Dann würde die Inflationsrate nicht sinken und die Zinserhöhungen wäre für die Katz.
Mal ehrlich: Wer heute abend in Ben Bernankes Schuhen stehen möchte, hebe die Hand. Klar eigentlich, dass die Fed bisher so getan hat, als wäre alles bestens. Immerhin ist keine der Möglichkeiten eine erfreuliche Alternative mit kalkulierbarer Wirkung. Und klar auch, dass Bernankes Vorgänger Greenspan jetzt leicht reden hat.
Ein solches Dilemma taucht gerne am Ende eines Konjunkturzyklus auf. Doch es wurde durch den Konsum- und Verschuldungswahn der US-Bürger ebenso wie ihrer Regierung zusätzlich verschärft und scheint unlösbar. Es bleibt der Fed nur, die Alternative mit dem geringsten Schaden zu wählen ... als wenn man das im Vorfeld absehen könnte.
Die Notenbank wird der Sündenbock sein
Doch was auch immer heute abend verlautbart wird: Man wird der Fed vorwerfen, zu lange untätig geblieben zu sein, obwohl sie die Lage kannte. Man wird ihr vorwerfen, falsch zu handeln, was auch immer sie tut.
Das erstere mag eventuell stimmen. Wobei man einräumen muss – wenn man keine Glaskugel hat ist es gefährlich, abzubiegen, bevor man weiß, wohin der gerade Weg führen wird. Doch eine klare Darlegung der Lage wäre für das Vertrauen in die Fed wichtig gewesen. Statt dessen haben wir monatelang nur das gleiche Statement zu lesen bekommen.
Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Schuld daran sind die Regierung und die Bürger letztlich selber. Aber der Sündenbock wird die Fed sein. Und ich frage mich, welche Auswirkungen es auf die Börsen haben wird, wenn die Anleger das Vertrauen in die Fed verlieren. Und:
Ich frage mich, wie die Wall Street heute abend reagieren wird... egal, was die Fed tut. Es kann nur schlechte Alternativen und faule Kompromisse geben. Und im Vorfeld sind die Kurse mehrere Tage lang gestiegen. „Bad news“ scheinen mir hier bislang nicht eingepreist. Daher würde ich die Chancen auf eine Rallye nicht sehr hoch einschätzen und raten, die zuletzt unter zudem geringen Umsätzen gestiegenen Kurse nicht über zu bewerten!
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