(...) Indessen gehen langfristig nicht immer auf den ersten Blick erkennbare Gefährdungen für die freiheitliche demokratische Ordnung in Deutschland von linksextremistischen Organisationen, Strömungen und Ideologien aus, und nicht etwa von demokratischen Konservativen, von demokratischen "Rechten". Doch davon wollen weder das NRW-Innenministerium noch andere Behörden und vom Staat, mit Geld der Steuerzahler, unterhaltene Initiativen etwas wahrhaben. Ein von Hans-Helmuth Knütter und Stefan Winckler herausgegebenes "Handbuch des Linksextremismus" vermag wenigstens einen Teil der klaffenden Lücke bei den Informationen über die unterschätzte Gefahr des Linksextremismus zu schließen. Die Autoren widerlegen beweiskräftig die seit Anfang der neunziger Jahre immer wieder verbreitete These, der Niedergang des sogenannten "Realsozialismus" und der Zusammenbruch sozialistischer Staatsgebilde wie des SED-Staates, habe auch den Linksextremismus verschwinden lassen. (...) Helmut Bärwald
Gegen Blindheit auf dem linken Auge - Ein Handbuch über den Linksextremismus
von Helmut Bärwald
Es gibt zahlreiche Zeitgenossen, die nach dem Zusammenbruch des SED-Staates die Gefährdungen unterschätzen, die unvermindert, trotz mancher neuer Gewänder, vom Linksextremismus in Deutschland ausgehen. Andere, vor allem staatliche Einrichtungen, die eigentlich zum Schutz der freiheitlichen Demokratie und aller freiheitlich gesinnten Deutschen gegen Extremismus und Extremisten jeder Färbung da sind, übersehen die Gefahren aus dem Linksextremismus geflissentlich, dem sogenannten "Zeitgeist" und der von diesem hervorgebrachten "politischen Korrektheit" entsprechend.
Das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und dessen Abteilung "Verfassungsschutz" tut sich mit Ungleichheiten und Fehlbeurteilungen bei der Beobachtung und Darstellung extremistischer Strömungen, Organisationen und Aktionen besonders hervor. In dem "Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2002" wird über den, vom NRW-Innenministerium so verstandenen "Rechtsextremismus" auf über 100 Druckseiten berichtet; über den "Linksextremismus" hingegen nur auf über 40 Seiten. Zur gleichen Zeit, im Frühjahr 2003, gab das NRW-Innenministerium einen über 150 Druckseiten umfassenden Sonderbericht mit dem Titel "Die Kultur als Machtfrage Die Neue Rechte in Deutschland" heraus. Zu den "wichtigen Akteuren" der "Konservativen Revolution" (vor 1933), die als "historische Vorlage" der sogenannten "Neuen Rechten" in Deutschland bezeichnet wird, zählt dieser Bericht unter anderem Arthur Moeller van den Bruck, Carl Schmitt, Oswald Spengler und Ernst Jünger. Zu den "Erscheinungsformen" der sogenannten "Neuen Rechten" gehört eines der "Lieblingsziele" des NRW-Verfassungschutzes, die demokratische konservative und patriotische Wochenzeitung "Junge Freiheit". Unter der Ägide des NRW-Innenministeriums findet im Oktober 2003 in den Räumen der Bezirksregierung Düsseldorf eine "Fachtagung für Vertreter aus Wissenschaft, Medien, Bildung und Verfassungsschutz" statt. Diese Veranstaltung befaßt sich nicht etwa mit dem realen politischen Extremismus in Deutschland, sondern mit der Frage "Die Neue Rechte - eine Gefahr für die Demokratie?". In der vom Leiter der Abteilung Verfassungsschutz beim NRW-Innenministerium, Dr. Hartwig Möller, unterschriebenen Einladung wird zugegeben: "Der Verfassungsschutz NRW legt seit rund zehn Jahren einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten."
Indessen gehen langfristig nicht immer auf den ersten Blick erkennbare Gefährdungen für die freiheitliche demokratische Ordnung in Deutschland von linksextremistischen Organisationen, Strömungen und Ideologien aus, und nicht etwa von demokratischen Konservativen, von demokratischen "Rechten". Doch davon wollen weder das NRW-Innenministerium noch andere Behörden und vom Staat, mit Geld der Steuerzahler, unterhaltene Initiativen etwas wahrhaben. Ein von Hans-Helmuth Knütter und Stefan Winckler herausgegebenes "Handbuch des Linksextremismus" vermag wenigstens einen Teil der klaffenden Lücke bei den Informationen über die unterschätzte Gefahr des Linksextremismus zu schließen. Die Autoren widerlegen beweiskräftig die seit Anfang der neunziger Jahre immer wieder verbreitete These, der Niedergang des sogenannten "Realsozialismus" und der Zusammenbruch sozialistischer Staatsgebilde wie des SED-Staates, habe auch den Linksextremismus verschwinden lassen. Zwar langsam aber doch zielstrebig formiert sich ein auf "Neu" getrimmter, als "demokratisch" kaschierter Sozialismus und Linksextremismus. In dem im Sommer 2003 von der SED-Nachfolgerin PDS vorgelegten überarbeiteten Entwurf eines neuen Programms dieser Partei stehen unter der Überschrift "Unser Weg: Demokratisierung der Gesellschaft" auch diese Sätze: "Die Politik der PDS soll dazu beitragen, die Vorherrschaft der Kapitalverwertungsinteressen abzuschwächen, schließlich zu überwinden und die ihr zu Grunde liegenden Macht- und Eigentumsverhältnisse zu verändern. Aus dieser Politik sollen sich Möglichkeiten für weitergehende Umgestaltungen ergeben."
In Einzelbeiträgen befassen sich kompetente Autoren mit der Rolle der PDS; mit dem gewalttätigen Linksextremismus in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren; mit der "Antifaschismuskeule" als eine der wichtigsten "Waffen" des Linksextremismus im "Kampf gegen Rechts"; mit dem "langen Wachsen der 68er-Bewegung in der evangelischen Kirche"; mit den Auftritten der extremen Linken im Internet; und mit dem Linksextremismus in Österreich. Das Handbuch enthält überdies eine sehr umfangreiche kommentierte Chronik des Linksextremismus von 1968 bis 1999.
Eine zweite Auflage des "Handbuches des Linksextremismus" ist zu wünschen, insbesondere mit einer Weiterführung des Kapitels über die PDS und der Chronik. Denn es ist zu befürchten, daß die Gefahr des Linksextremismus in all seinen Schattierungen in Deutschland weiterhin unterschätzt wird. Da tuen Aufklärung und präzise Informationen not.
Hans-Helmuth Knütter/Stefan Winckler (Hg.), Handbuch des Linksextremismus Die unterschätzte Gefahr, Leopold Stocker Verlag Graz/Stuttgart, 336 Seiten, ISBN 3-7020-0968-X, 19,90 Euro, 33,50 sfr.
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