Antihelden statt Prinzen, Ironie statt heiler Welt - der jahrzehntelang von Disney dominierte Animationsfilm erlebt dank der Konkurrenz von Dreamworks und Pixar eine neue Blüte. An "Megamind" und "Rapunzel" zeigen sich die höchst verschiedenen Philosophien der Studios.
Am Anfang stand natürlich das Maushaus. Die Disney Animation Studios in Burbank sind nicht nur die Wiege des amerikanischen Zeichentrickfilms, sondern auch der Ort, an dem einst John Lasseter und Jeffrey Katzenberg ihre Karrieren begannen - jene Zeichentrick-Impresarios, ohne die es weder "Toy Story" noch "König der Löwen", weder "Shrek" noch "Wall-E" geben würde. Und wohl auch keinen eigenen Oscar für den besten Animationsfilm, der seit 2002 verliehen wird. Lasseter fing einst als Zeichentrickkünstler bei Disney an, Katzenberg stieg auf der Manager-Ebene ein.
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Beide verließen das Studio im Streit: Lasseter flog 1983 raus, weil die damaligen Chefs seine Begeisterung für Computeranimation als Zeitverschwendung betrachteten. Katzenberg, der mit Filmen wie "Die kleine Meerjungfrau" und dem "König der Löwen" die Renaissance des Zeichentrickfilms bei Disney verantwortet hatte, ging 1994 nach einem Zerwürfnis mit dem damaligen Disney-Chef Michael Eisner. Stattdessen stiegen sie mit ihren eigenen Studios zu Hollywood-Hotshots auf: Katzenberg initiierte die Gründung von Dreamworks mit Steven Spielberg und David Geffen, wo er die Animationsabteilung übernahm. Lasseter hatte sich schon Mitte der Achtziger dem IT-Professor Ed Catmull und dem (damals gerade geschassten) Apple-Chef Steve Jobs angeschlossen. Sie führten mit Pixar eine Computerfirma, die unter Lasseters Einfluss zum Animationsstudio mutierte und den Trickfilm revolutionierte. Die beiden Arbeitsstätten von Dreamworks Animation spiegeln Katzenbergs Geschäftsphilosophie - ein Gelände in Glendale am Rande von Los Angeles, das mit Wasserflächen, Springbrunnen und aufwendiger Landschaftsgärtnerei wirkt wie ein Fünf-Sterne-Resort, und ein Bürogebäude in Redwood City im Silicon Valley, das als Teil eines modernen Industrieparks schnörkellose Geschäftsstimmung atmet. Produktivität wird hier groß geschrieben, aber glückliche Mitarbeiter ebenso. Das Wirtschaftsmagazin "Forbes" führt Dreamworks Animation in seiner Liste der hundert besten Arbeitgeber auf Platz sechs.
Spieltrieb gegen Ehrgeiz
Pixar residiert in einer alten Fabrikhalle aus Backsteinmauern und Stahlträgern in Emeryville, auf der anderen Seite der Bucht von San Francisco. Lasseter wird von seinen Kollegen als Filmemacher gepriesen, der der Kreativität seiner Mitarbeiter freien Lauf lässt. Sein Büro ist eher Spielzeugmuseum denn Arbeitsplatz, und die Fertigstellung eines Pixar-Films feiert er gern mit dem Abschuss einer Konfetti-Kanone. In Dreamworks' Hallen dagegen war die allzu phantasievolle Dekoration der Animatoren-Büros (bei Pixar residieren manche der Zeichner in regelrechten Theaterkulissen) lange verpönt. Katzenberg ist berüchtigt für seine eiserne Arbeitsdisziplin. Er warnt seine Mitarbeiter gern: Wer's am Samstag nicht pünktlich zur Morgenkonferenz schafft, braucht am Sonntag gar nicht erst zur Arbeit zu erscheinen. Pixar wird von Spieltrieb bewegt, Dreamworks von unternehmerischem Ehrgeiz.
John Lasseter war der Außenseiter, der verlacht wurde, als er mit "Toy Story" 1995 den ersten computeranimierten Film ins Kino brachte. Doch der Film bezauberte Kritiker und Zuschauer, und Lasseters Studio produzierte seither zehn weitere computeranimierte Filme, deren poetischer Erfindungsreichtum sich mit riesigem Erfolg am Box Office paarte - Megahits wie "Findet Nemo" und Meisterwerke wie "Wall-E". Katzenberg war der ehrgeizige Top-Manager, der sein Disney-Meisterwerk, den "König der Löwen", mit einem eigenen Studio toppen wollte. Doch er leistete sich mit Filmen wie "Der Prinz von Ägypten" zunächst empfindliche Flops, bevor er 2000 mit "Shrek" schließlich triumphierte. Seither produziert auch Dreamworks Animation Hits: "Madagascar", "Kung Fu Panda" und "Drachenzähmen leicht gemacht".
Mickys Zauberhut als Relikt verblichener Glanzzeit
Dreamworks' Trickfilme sind laut, schnell, frech - und bisweilen hintergründige Hollywood-Satire: "Shrek" dekonstruierte das Märchen als Animationsstoff und lässt sich als Katzenbergs Abrechnung mit Disney lesen, und wer jetzt bei "Megamind" genau hinschaut, kann in dem bartstoppeligen Gesicht des amtsmüden Superhelden die Züge Steven Spielbergs erkennen.
Pixars Werke, die bislang mit insgesamt 24 Oscars ausgezeichnet wurden, sind dagegen eher der kindlichen Lust am Staunen als dem Spaß am Schauwert verhaftet. "Pixar macht Filme, die sagen: Was wäre, wenn?", sagt der Zeichentrick-Doyen Glen Keane, der Disney-Figuren wie die kleine Meerjungfrau, Aladdin und Pocahontas schuf und bei "Rapunzel" die Animation überwachte. "Die Filme von Dreamworks Animation fragen: Na, wie gefällt euch das?"
Und was ist mit Disney? Disney, sagt Keane, mache Filme nach der Devise "Es war einmal". Fast wurde das dem Studio zum Nachruf. Denn im Schatten von Pixars erfinderischer Poesie und Dreamworks' Spektakel-Lust versank das Disney Animation Studio, dessen Hallen sich in gedeckten Farben und pastoralem Design um schattige Rasenflächen mit putzigen Eichhörnchen gruppieren, fast in der Bedeutungslosigkeit. Die sieben Zwerge, die das Dach vom Studio-Hauptgebäude tragen, und Mickys riesiger Zauberhut über dem Büro von Walts Neffen Roy Disney wirkten nicht länger wie die Insignien einer Institution, sondern bloß noch wie Relikte einer verblichenen Glanzzeit.
Und so sollte, als vor vier Jahren Disney und Pixar fusionierten, das Wunderkind Lasseter die Disney Animation Studios aus der Krise führen. Lasseter riss Trennwände zwischen den kleinteiligen Bürobereichen ein und ließ Briefpapier mit Zeichnungen von Walts berühmten neun alten Männern anfertigen, um der Disney-Tradition zu neuen Ehren zu verhelfen. "Hier hat alles angefangen", sagt Lasseter, "und wir müssen uns wieder auf die großen Traditionen besinnen."
Prinzessinnen, Märchen und Musicals
Die Rückkehr zu den klassischen Disney-Markenzeichen - Prinzessinnen, Märchen und Musicals - war bislang mäßig erfolgreich. "Küss den Frosch" stellte den "Froschkönig" heiter auf den Kopf, siedelte ihn mit Disneys erster schwarzer Prinzessin in New Orleans an und wurde zum soliden Erfolg. Mit "Rapunzel - neu verföhnt" kommt nun eine temporeich modernisierte Prinzessin im Turm ins Kino, deren Prinz ein charmanter Halunke ist. Wie schon "Küss den Frosch" ist auch "Rapunzel" kunstvoll realisiert. Der Film hat den Schwung eines Popsongs, und er erinnert an die Renaissance des Disney-Trickfilms unter Katzenberg. An seinem Startwochenende spielte "Rapunzel" in den USA herausragende 69 Millionen Dollar ein.
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Doch der Kontext hat sich verändert. Pixar hat das Trickfilm-Universum über sprechende Tiere und Opernstoffe hinaus auf Spielzeuge, post-apokalyptische Roboter und traurige Rentner ("Oben") erweitert. Dass hinter "Shrek" kein animiertes Märchen mehr zurück kann, zeigt "Rapunzels" extra-lockerer Tonfall. Und Dreamworks' "Megamind" um einen Superschurken, der mit der Erledigung des Superhelden in eine Sinnkrise gerät (seit vergangener Woche im Kino), besticht mit einer überwältigenden Fülle optischer Spektakel und adrenalinsattem Rock-Soundtrack. Neben einer solchen Mega-Show (US-Umsatz bisher: 143 Millionen Dollar) wirkt Rapunzel auch mit Jennifer-Aniston-Styling etwas altbacken. Unterdessen hat der dank Pixar und Dreamworks blühende Animationsmarkt auch kleine Studios beflügelt. Der für nur 69 Millionen Dollar produzierte " Ich - einfach unverbesserlich" aus dem drei Jahre alten Studio Illumination Entertainment ist der neben Pixars " Toy Story 3" bester Animationsfilm des Jahres. Auf das Spektakel von "Megamind" verzichtet er ebenso wie auf die Sentimentalität von "Rapunzel", und trotzdem ist er innovativer, tiefgründiger - und mit 528 Millionen Dollar Einspiel ein Mega-Erfolg.
Von Pixar und Dreamworks sind im kommenden Jahr die Fortsetzungen von "Cars" und "Kung Fu Panda" zu erwarten. Disney Animation plant Adaptionen von "Winnie Puuh" und "Die Schneekönigin". Doch daneben bringt Industrial Light and Magic, die CGI-Werkstatt von Lucasfilm, mit "Rango" 2011 seinen ersten abendfüllenden Animationsfilm, einen Western mit Anklängen an "Fear and Loathing in Las Vegas". Blue Sky, das Studio, das die "Ice Age"-Filme verantwortete, hat mit "Rio" einen Film über einen Truthahn mit Flugangst in der Pipeline. Dreamworks und Pixar können sich also kaum auf ihren Lorbeeren ausruhen. Und Lasseter muss bei Disney auf lange Sicht womöglich mehr tun als auf den alten Glanz zu setzen - er muss das traditionsreichste Animationstudio vielleicht neu erfinden. ----------- Der dicke Hintern hat an der Börse stets mehr Geld gebracht als der schnelle Finger
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