https://www.tagesspiegel.de/politik/...-wirtschaft-hatte-8687785.html Um gerade einmal 17 Prozent waren die EU-Importe von russischem ÖL im Vergleich zu Vorkriegszeiten einer Datenanalyse des „Centre for Research on Energy and Clean Air“ (CREA) zufolge in den ersten sechs Kriegsmonaten gesunken. Weil gleichzeitig der Öl-Preis in Folge des Kriegs anzog, erwirtschaftete der Kreml deutlich mehr Geld als gewöhnlich. Allein aus der EU flossen seit dem 24. Februar mehr als 50 Milliarden Euro nach Moskau.
Mit dem Geld aus dem Westen lässt Putin den Krieg weiter eskalieren, zuletzt durch eine Teilmobilisierung von offiziell 300.000 Reservisten und der völkerrechtswidrigen Annexion der vier besetzen Regionen in der Ukraine. Als Reaktion darauf brachte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht zum ersten Mal einen Preisdeckel für russisches Öl ins Spiel.
Der Gedanke hinter der Sanktion lässt sich recht leicht erklären. Ein möglichst großes Käuferkartell von Staaten soll sich dazu verpflichten, russisches Öl nur noch zu einem festgesetzten Preis und deutlich unterhalb des Weltmarktpreises einzukaufen. Seinen wichtigsten Rohstoff könnte Moskau nur mit deutlich geringeren Margen verkaufen. Ob das Ganze in der Praxis zum gewünschten Ergebnis führt, darüber gehen die Meinungen jedoch auseinander.
Russland werde die Lieferungen nicht einstellen, vermuten Experten Als Ende Juni die G7 Staaten beim Gipfel in Elmau erstmals einen Ölpreisdeckel ins Gespräch brachten, reagierte man in Moskau erbost. Schon die Idee allein sei „absurd“, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Alexander Nowak der Nachrichtenagentur Ria Nowosti damals. Ländern, die das mitmachten, werde Russland kein Öl mehr liefern. „Es sind die europäischen und amerikanischen Konsumenten, die dafür in erster Linie bezahlen werden“, betonte er.
Steffen Bukold, Ölmarktexperte und Leiter des Forschungs- und Beratungsbüros Energycomment in Hamburg, blickt deutlich skeptischer auf die Einführung einer reinen Preisobergrenze für russisches Öl. Ein Preisdeckel würde den Handel mit russischem Öl weitgehend legalisieren, kritisiert er. Die Folge: Raffinerien außerhalb des EU-Sanktionsgebiets würden jeden verfügbaren Barrel aus Russland aufgrund der niedrigen Preise aufkaufen und mit hohem Profit weiterverarbeiten. „Die finanziellen Anreize wären so hoch, dass der Graumarktpreis für russisches Öl bald über den Preisdeckel steigen wird“, gibt er zu bedenken. Dass Russland sein Öl auf dem Weltmarkt überhaupt verkaufen kann, liegt vor allem an europäischen Redereien und Versicherern. Mit 50 Millionen Tonnen schifften griechische Redereien seit Kriegsbeginn mit Abstand am meisten russisches Öl um die Welt. Zum Vergleich: China als zweitgrößter Käufer hinter der EU transportierte nur ein Fünftel der Menge. Könnten Schiffsversicherer Russlands Ölexporte sofort stoppen? Für Ölmarkt-Experte Bukold liegt hier deswegen der effektivere Schlüssel, um gegen russische Öl-Exporte auf dem Weltmarkt vorzugehen. „Besser wäre es“, sagt er, „die sogenannten sekundären Sanktionen auch in Europa zu verschärfen.“ Gemeint sind Verbote oder eben eine Preisgrenze, an den sich Logistik-Unternehmen und Versicherer aus der EU und den G7-Staaten halten müssten, wenn sie mit russischem Öl Geschäfte machen.
Um seinen Krieg zu finanzieren sowie die teuren Entlastungspakete für Wirtschaft und Bevölkerung zu stemmen, müsste Moskau mehr und mehr auf seine Reserven zurückgreifen. Bis Juli hätte Russland bereits 57 Milliarden seiner Reserven aufgebraucht. „Stand jetzt dürften es mehr als 75 Milliarden Dollar sein“, so Ökonom Wyrebkowski. Insgesamt schätzen Experten die für Russland zugänglichen Geldreserven auf 300 Milliarden Dollar, ein Drittel davon jedoch in chinesischen Yuan, die von der Führung in Peking erst freigegeben werden müssen.
Weil die EU-Importe, wenn auch langsam, zurückgehen und in absehbarer Zeit nahezu ganz wegfallen werden, weiten China und Indien ihre Importmengen aus. Russland bietet dafür sein Öl deutlich unter dem Marktpreis an. Sollten sich die Sanktionen von EU und G7 jedoch auch auf Transporteure und Versicherungen erstrecken, könnten es trotz der Billig-Preise „selbst für Indien und China auf Dauer unattraktiv sein, die russischen Ölmengen zu übernehmen, die ab Dezember nicht mehr in der EU abgesetzt werden dürfen“, sagte Bukold.
Aufgrund der vielen griechischen Redereien muss vor allem die Regierung in Athen, neben dem rechtspopulistischen Ungarn, überzeugt werden. Wie immer braucht es für neue Sanktionen die Einstimmigkeit unter den EU-Mitgliedern. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Anfang September noch betont, ein Preisdeckel wirke nur, wenn er global organisiert sei. Kommende Woche trifft er die anderen europäischen Staats- und Regierungschefs bei einem informellen Gipfel in Prag. Es wird erwartet, dass dort ein achtes Sanktionspakt auf den Weg gebracht wird – inklusive Ölpreisdeckel. In welchem Umfang die russische „Tankstelle“ danach noch weiter Öl verkaufen kann, hängt jedoch eher vom Kleingedruckten ab."
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