- Von Matthias Sobolewski- Berlin (Reuters) - Die Finanzmärkte sind immer stärker vom Konjunkturaufschwung in Deutschland überzeugt. Die monatlich vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) befragten 300 Finanzmarktprofis zeigten sich zu Jahresanfang so optimistisch wie seit zwei Jahren nicht mehr.
Das ZEW-Konjunkturbarometer für die wirtschaftlichen Aussichten stieg um gut neun auf 71,0 Zähler, wie das ZEW am Dienstag in Mannheim mitteilte. Auch die Lage bewerteten die Experten im Januar erneut günstiger als vor einem Monat. "Für das Jahr 2006 hellen sich die Perspektiven deutlich auf", sagte der ZEW-Präsident und Wirtschaftsweise Wolfgang Franz, der ein Wachstum von 1,5 Prozent erwartet. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) zeigte sich zuversichtlich, dass der Funke vom Export endlich auf die Binnenkonjunktur überspringen wird.
GUTE AUFTRAGSLAGE IN DER INDUSTRIE STÄRKT ZUVERSICHT
Vor allem die lebhafte Auslandsnachfrage in der Industrie und eine leichte Beschleunigung der Investitionen heimischer Unternehmen hätten die Konjunkturzuversicht der Analysten und institutionellen Anleger gestärkt, sagte Franz. Von Reuters befragte Volkswirte hatten nur einen Anstieg des ZEW-Indikators auf 65,0 Punkte erwartet. Das Barometer für die gegenwärtige Lage kletterte um knapp 13 auf minus 31,6 Punkte.
Die positive Einschätzung der Finanzmärkte interpretierte Franz auch als Vertrauensvorschuss für die Wirtschaftspolitik der kommenden Monate: "Nun kommt es entscheidend darauf an, dass die Wirtschaftspolitik einschließlich der Lohnpolitik diesen Erwartungen gerecht wird." Der Staat müsse die Reformbaustellen angehen und die Lohnzuwächse müssten wie die letzten Jahre unter dem Produktivitätsfortschritt bleiben, sagte er Reuters. Auch vorgezogene private Käufe wegen der für 2007 angekündigten Mehrwertsteuererhöhung auf 19 von 16 Prozent machten einen Konjunkturaufschwung dieses Jahr wahrscheinlich, sagte Franz.
Jüngst hatten zahlreiche Institute und Banken ihre Wachstumsprognosen für 2006 angehoben, zumeist auf 1,5 bis zwei Prozent. Für 2007 erwarten sie dann wegen der Steuererhöhung aber eine erneute Wachstumsdelle. Glos sagte, er erwarte, dass die gute Auslandskonjunktur auch die Binnennachfrage belebe: "Es deutet vieles darauf hin, dass 2006 ein gutes Jahr (...) wird."
INDUSTRIE BEFINDET SICH BEREITS IN KRÄFTIGEM AUFSCHWUNG
Banken-Experten zeigten sich ebenfalls erfreut über die Wirtschaftsentwicklung: "Endlich kann man das Wort 'Aufschwung' wieder zur Beschreibung der deutschen Wirtschaft benutzen", sagte Jörg Lüschow von der WestLB. Es sei sehr ermutigend, dass nun alle wichtigen Stimmungsindikatoren über ihrem langfristigen Durchschnitt lägen: "Besonders bei der Industrie handelt es sich mittlerweile um einen kräftigen Aufschwung." Nach fünf mageren Jahren werde das Wachstum aber nicht ausreichen, um die großen wirtschaftspolitischen Probleme in den Griff zu bekommen.
Stefan Mütze von der Helaba sprach von einer "fantastischen Situation in der deutschen Industrie mit einem schönen Auftragspuffer". Jürgen Michels von der Citigroup warnte dagegen, die Stimmungsaufhellung sei übertrieben, da sie auch von den Gewinnen am Aktienmarkt getrieben sei. So hatte der Deutsche Aktienindex (Dax) 2005 um knapp 30 Prozent zugelegt. David Brown von Bear Stearns nannte den ZEW-Indikator dagegen einen "kristallklaren Beleg für eine stärkere Erholung".
Mit einer Rate von bis zu zwei Prozent würde sich das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr zum Vorjahr ungefähr verdoppeln. Am Donnerstag wird das Statistische Bundesamt seine erste Schätzung für das Wirtschaftswachstum 2005 bekannt geben. Die Fachleute rechnen mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um knapp ein Prozent. Dem DIW zufolge hat sich das Wachstum am Jahresende etwas abgeschwächt, und zwar auf eine Rate von 0,4 Prozent zum Vorquartal nach 0,6 Prozent im Sommer. Die Industrie bleibe die Hauptstütze der Konjunktur, während der Bau am Jahresende nachgelassen habe. Wie der seit Jahren krisengeschüttelte Bau abschneiden wird, bleibt auch eine spannende Frage in diesem Jahr. Anders als manche Experten bleibt der Dachverband BVB skeptisch: die Bauinvestitionen dürften um zwei Prozent sinken nach einem Minus von fünf Prozent im vorigen Jahr. Die Zahl der Arbeitsplätze in der Branche werde um rund 20.000 oder knapp drei Prozent auf 652.000 abnehmen.
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