"Es geht um Europa" EU-Verfassungsgegner in Frankreich weiter vorne.
Drei Tage vor der Volksabstimmung über die EU- Verfassung in Frankreich hat der französische Präsident Jacques Chirac seine Mitbürger eindringlich aufgerufen, das europäische Projekt nicht scheitern zu lassen. In jüngsten Umfragen liegen die Reformgegner mit 55 zu 45 Prozent vor den Befürwortern der EU-Verfassung.
"Es geht nicht darum, ja oder nein zur Regierung zu sagen", sagte Chirac in seinem letzten Auftritt vor dem Referendum am Sonntag in einer feierlichen Ansprache aus dem Pariser Elysee-Palast, die mehrere französische Fernsehsender ausstrahlten. "Es geht um Europa."
"Historische Verantwortung"
Frankreich habe jetzt eine historische Verantwortung. Es wäre eine Illusion zu glauben, bei einem Nein würde man später eine bessere Verfassung bekommen können, so Chirac weiter.
Chirac weist auf Vorteile hin
"Ich habe dieses Referendum gewollt. Es gereicht unserer Demokratie zur Ehre", sagte Chirac. Die Verfassung sei "weder rechts noch links". Sie sichere den Öffentlichen Dienst und stelle Vollbeschäftigung und Sozialstaat in den Mittelpunkt. Sie stärke Europa und schaffe die Möglichkeit, seine Interessen besser zu verteidigen.
"Jetzt ist es an der Zeit für eine große europäische Industriepolitik", sagte Chirac. Jetzt gehe es darum, den Sozialstaat, den Umweltschutz und die Solidarität mit den Schwachen zu stärken.
Kursänderung versprochen
Chirac hat seinen Landsleuten eine Kursänderung versprochen. Er versprach ebenso wie Parteichef Sarkozy einen "neuen Anstoß" für seine Politik. Dabei gehe es um "mehr Solidarität" und um "mehr Dynamik".
Alle Hoffnungen auf Rede
Angesichts des klaren Nein-Trends bei der Linken setzte das Regierungslager große Hoffnung auf Chiracs Rede, um die Tendenz in letzter Minute umzukehren.
Streit beherrscht Innenpolitik
Kurz vor dem Referendum liegen die Gegner des Textes weiter klar in Führung. Am Donnerstag ließ die elfte Umfrage in Folge eine Ablehnung des Textes beim Urnengang am Sonntag erwarten.
Auch die bürgerliche Regierung in Paris stellt sich zunehmend auf diesen Fall ein. In der Regierungspartei UMP brach Streit zwischen Parteichef Nicolas Sarkozy und Innenminister Dominique de Villepin aus. Skeptische Äußerungen Sarkozys über den Ausgang des Referendums sorgten für eine Talfahrt des Euro.
Anteil der Gegner steigt weiter
In der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Sofres/Unilog für "Le Monde" stieg der Anteil der Gegner der EU-Verfassung auf 54 Prozent. Nur 46 Prozent wollen demnach für die Ratifizierung des Vertragswerks stimmen. 20 Prozent der Befragten äußerten keine Meinung.
Keine Konsequenzen für Frankreich?
82 Prozent sagten, sie seien sich ihres Stimmverhaltens sicher, 17 Prozent könnten noch die Meinung ändern. 54 Prozent - und damit genau so viele wie die mutmaßlichen Neinsager - äußerten die Erwartung, Frankreichs Einfluss innerhalb Europas werde bei einer Ablehnung der Verfassung nicht geschwächt.
Schwächung Chiracs erwartet
Weitaus größere Folgen dürfte das Referendum einer anderen Umfrage zufolge auf Frankreichs Innenpolitik haben: Eine Ablehnung der EU-Verfassung werde Chirac "schwächen", sagten 88 Prozent der Befragten dem Institut Ifop.
89 Prozent erwarteten demnach in der Umfrage für den Nachrichtensender LCI dasselbe für den bürgerlichen Premierminister Jean-Pierre Raffarin.
Ein Ja beim Referendum würde dagegen für 85 Prozent der Befragten Chiracs Position und für 73 Prozent der Befragten jene von Raffarin stärken.
Umfrage streut Sarkozy Rosen
Die meisten Beobachter erwarten, dass Chirac Raffarin unabhängig vom Ausgang des Referendums entlassen wird. In einem solchen Fall wünschen sich 35 Prozent laut Ifop Sarkozy an der Spitze der Regierung.
Damit landete der UMP-Chef klar vor Villepin (18 Prozent), Sozialminister Jean-Louis Borloo (17 Prozent), Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie (elf Prozent) und Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy (acht Prozent).
Attacken beherrschen Politik
Ohne ihn direkt beim Namen zu nennen, übte Sarkozy scharfe Kritik an Villepin. Bei einem Kampagnenauftritt im südfranzösischen Nizza am Mittwochabend hielt der UMP-Chef seinem Nachfolger an der Spitze des Innenministeriums vor, sich niemals in seinem Leben zur Wahl gestellt zu haben.
"Diejenigen, die im Namen Frankreichs sprechen dürfen, sind diejenigen, die sich einmal in ihrem Leben dem allgemeinen Wahlrecht ausgesetzt und das Vertrauen der Wähler gewonnen haben", sagte Sarkozy.
Parteichef erwartet Nein
Sarkozy hatte AFP-Informationen zufolge bereits am Dienstag bei einem Treffen mit Raffarin klar gemacht, dass er ein Scheitern des EU-Referendums erwartet.
Auch die Londoner "Times" berichtete am Donnerstag darüber und fügte das Sarkozy zugeschriebene Zitat hinzu: "Es wird ein kleines 'Non' oder ein großes 'Non'."
Kein "Plan B"
Chirac hat bereits angekündigt, im Falle einer Niederlage keine personellen Konsequenzen ziehen zu wollen. Eine erneute Abstimmung, wie sie von den am 1. Juli abstimmenden Niederländern diskutiert wird, haben die Franzosen jedoch ausgeschlossen.
Bisher bleibt unklar, wie es nach einem Scheitern des Referendums weitergehen könnte. In Paris und Brüssel heißt es dazu nur, es gebe keinen "Plan B".
Besorgnis in Europa
Damit der Verfassungsvertrag in Kraft treten kann, muss er in allen 25 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden.
Mehrere Staats- und Regierungschefs haben vor einer drohenden Handlungsunfähigkeit der EU und einer Krise der Wirtschaftsgemeinschaft im Falle einer Ablehnung gewarnt.
füx
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