SPIEGEL ONLINE - 24. Oktober 2006, 18:10 URL: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,444473,00.html FISCHER IN PRINCETONProfessor Joschka erklärt die WeltVon Anja Schröder, Princeton Afghanistan und Irak, Europa und Amerika, natürlich auch Nahost: Joschka Fischers erste Vorlesung in Princeton war ziemlich global. Für den Gastprofessor war es ein "großes Vergnügen" - US-Studenten brauchen dagegen Nachhilfe: Wer ist dieser Mann eigentlich? Man könnte an diesem Nachmittag in Princeton fast vergessen, dass man in Amerika ist. "Woher kommen Sie?" - "Ist ja ein Ding, wir sind auch aus Frankfurt!" - "Bei Siemens, sagen Sie?" Man spricht Deutsch um kurz nach 16 Uhr im Dodds Auditorium der Woodrow Wilson School of Public and International Affairs. Denn erwartet wird einer, der dem politischen Alltag und der deutschen Öffentlichkeit den Rücken gekehrt hat: Joschka Fischer, 58, bis vor einem guten Jahr als Außenminister Deutschlands Chefdiplomat in der Welt. Vor Wochen war er dem universitären Ruf an die Elite- Uni Princeton gefolgt, und nun gibt er an diesem Montagnachmittag seine erste Vorlesung seit der Berufung als "Visiting Professor" an die Traditions-Hochschule. Fotostrecke: Die Karriere des Joschka F.Fotostrecke starten: Klicken Sie auf ein Bild (12 Bilder) -->Im akademischen Jahr 2006/07 gibt er mit Co-Dozent Wolfgang Danspeckgruber zwei Seminare in internationaler Krisendiplomatie. In Deutschland hatte der neue Job des einst prominentesten deutschen Politikers reichlich Aufsehen ausgelöst: Als vor vier Wochen das Herbstsemester begann, schlichen auf den Gängen der Robertson Hall Reporter herum, suchten im Keller nach "WWS 471", wie Fischers Seminar heißt. Doch Fischer blockte alle Anfragen ab - ganz anders als die meisten US-Professoren, die Medienauftritte stolz auf ihren Homepages auflisten. "104 Anfragen deutscher Medien" habe er bekommen, beschwerte sich der Ex-Außenminister von seiner neuen universitären E-Mail-Adresse aus. "Gestatten Sie mir diese offenen Worte, ich bekomme so langsam einen dicken Hals." Fischer möchte im Nebenfach vor allem eines sein: "Privatmann". Es scheint, als sei Princeton dafür der richtige Ort. Gleich neben seinem Seminarraum 023 sagen Studenten, die sich die Wartezeit bis zum nächsten Kurs vertreiben, auf die Frage nach Joschka Fischer: "Entschuldigung - wer bitte?" Eine andere: "Nie gehört." Eine weitere schüttelt den Kopf und vertieft sich gleich wieder in ihr Buch. Wenn das Gespräch auf den grünen Gast aus Deutschland kommt, hören viele Amerikaner den Begriff "Green Party" zum ersten Mal in ihrem Leben. Wilde Gerüchte auf dem Campus "Kein großes Thema" sei Fischer in Princeton, sagen auch die deutschen Gaststudenten. Auf dem Capmus kursieren sogar wilde Gerüchte, bei der Universitätsverwaltung habe ihn niemand erkannt. Am Schluss habe er sogar noch einen Rüffel bekommen, weil er auf einem Formular "Joschka" eingetragen habe, obwohl im Pass doch "Joseph" stand. Erst an diesem Montagnachmittag um 16 Uhr bekommt Fischer wieder seine Prominenz zu spüren. Da kennt ihn jeder im Saal, begrüßt wird er mit "Mister Minister". Das Thema der ersten Vorlesung: "The Future of The Transatlantic Community - Is The 'West' Still a Viable Concept?" Die Gäste interessiert natürlich die Zukunft des transatlantisches Bündnisses und auch die Frage, ob der "Westen" noch ein lebensfähiges Konzept ist. Aber noch mehr interessiert sie dann doch Fischer. Mit vielen anderen Deutschen ist auch Mehmet gekommen, der in Princeton Ingenieurwesen studiert. "Natürlich" kenne er Joschka Fischer, "schon wegen Europa", sagt der 23-jährige Türke, als man unten im Saal bereits das Klicken der Blitzlichter hört und der deutsche Außenminister a.D. eintritt. Auffallend entspannt und fast ein wenig triumphierend blickt er direkt in die großen Kameraobjektive in der ersten Reihe. "A great pleasure" sei das hier für ihn, ein großes Vergnügen, sagt Fischer und macht sich sogleich daran, den rund 200 Zuhörern im überbesetzten Hörsaal eine Definition des "Westens" zu geben. Rundflug durch die jüngste Geschichte Er wirkt fast amerikanisch: Die linke Hand lässig in der Hosentasche, blickt er regelmäßig ins Publikum, stellt rhetorische Fragen, streut Persönliches ein. "I was born into this situation in 1948", sagt er: Er sei in die Zeit des Kalten Krieges hineingeboren worden. Er habe sich damals nie vorstellen können, dass diese Weltordnung einmal zusammenbrechen wird. Im Vortrag geht er vor allem die jüngste Geschichte durch: vom Kosovo-Krieg über den 11. September 2001 und den Afghanistan-Einsatz bis zur Irak-Invasion. Als "unsere Position" verteidigt er im Rückblick das Nein der rot-grünen Bundesregierung zum Krieg gegen Saddam Hussein. Das habe man den "amerikanischen Freunden" von Anfang an klar machen müssen. Wenig später ist er bei der Türkei, deren Schlüsselrolle für die europäische Sicherheit er einmal mehr betont - nicht ohne die "Kurzsichtigkeit einiger Europäer" zu diesem Thema zu beklagen. Es folgen die Atombomben-Bedrohung aus Iran und Nordkorea und ein Querverweis auf den Nahost-Konflikt. Fischer schließt mit der Forderung nach einer "neuen Definition von Sicherheit", mit einem Plädoyer für ein starkes, geeintes Europa einerseits und einen "neuen strategischen Konsens im transatlantischen Verhältnis" andererseits. "Als Grüner" weist er am Ende noch auf die "größte Herausforderung" hin, den Umweltschutz - und sagt nach einer Stunde und 15 Minuten voller Weltprobleme: "There is no reason for pessimism!" - kein Grund zum Pessimismus. Da gibt es Lacher im Saal. Fischer bleibt dabei: Die Herausforderungen seien groß, aber zu meistern. "Ein bisschen wie im Unterricht" sei es gewesen, sagt Gaststudent Christian, 25, aus Heidelberg. "Fischer auf zwei Meter ohne Bodyguards, das ist schon spannend." Interessant sei, wie "ehrfürchtig" die deutschen Studenten Fischer gegenüber traten - während ihre US-Kommilitonen keine Kontaktprobleme hatten. Und Fischer? Der sei wie immer gewesen: "Locker und souverän." "Ein Spitzenpolitiker seiner Zeit" Das Publikum klatscht lange Beifall für den "Europäischen Staatsmann", wie Fischer im Magazin der Woodrow Wilson School genannt wird. Unten neben der Tür steht Steven Barnes, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Er verzieht keine Miene bei der Frage, ob es irgendeine Rolle gespielt hat, dass der Gastprofessor Fischer selbst nie studiert hat. Fischer sei einfach "ein Spitzenpolitiker seiner Zeit", antwortet er. Dann lächelt er. Der Dozent ist inzwischen bei den Publikumsfragen angekommen. "Wunderbar" sei das alles, sagt eine Zuhörerin, aber sie würde doch gern wissen, wie er sich das konkret vorstelle mit der integrativen Strategie für den Nahen Osten. Fischer wendet sich ihr zu und setzt zu einer langen Antwort an. Im Profil sieht man, wie das blaue Sakko über Fischers Bauch spannt. Vielleicht würde das ja überhaupt nicht auffallen - würde man sich nicht plötzlich an "Mein langer Lauf zu mir selbst" erinnern, Fischers Selbstfindungsbuch vor seiner rot-grünen Regierungszeit. Noch während er spricht, fragt man sich, was wohl mit ihm wird nach dem Gastjahr in Princeton. Wie heißt es in besagtem Buch auf Seite 155? "Wie so oft im Leben ist der Zieleinlauf die schönste Zeit, denn mit dem Erreichen eines Ziels beginnt sogleich die Frage nach dem Danach."
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