Jetzt gehts KaZaA an den Kragen
46 Seiten lang ist die Begründung des Urteils, das Richter Stephen V. Wilson gegen die P2P-Börse KaZaA fällte und das sich in einem Satz zusammenfassen lässt: KaZaA muss sich vor einem amerikanischen Gericht wegen Copyright-Bruchs verantworten. Jetzt wird's ernst.
Die Geschichte von KaZaA klingt, als sei sie ganz bewusst so verlaufen, dass möglichst kein Gericht der Welt die P2P-Börse einfach verbieten könnte: Sie erzählt von drei Programmierern aus Estland, die im Auftrag eines niederländischen Unternehmens eine Software programmieren, die an eine im Inselreich Vanuatu residierende Firma verkauft wird, deren Angestellte in Australien sitzen, und die Varianten dieser Software an Lizenznehmer in Amerika und auf den Westindischen Inseln verkauften. Die Besitzer und Investoren hinter dem Hauptunternehmen Sharman sind unbekannt, jedoch ist das Unternehmen eng verbunden mit den Firmen Altnet und Brilliant Digital, die jeweils wieder Querverbindungen in die US-Entertainmentindustrie aufweisen.
Die zog vor etwas mehr als Jahresfrist vor Gericht, um den - damals noch als Trio auftretenden und im FastTrack-Netzwerk verbundenen - Firmen KaZaA, Grokster und Morpheus den Garaus zu machen. Zuvor jedoch galt es, eine Grundfrage zu klären: Kann ein amerikanisches Gericht überhaupt gegen Unternehmen vorgehen, die ihren Sitz nicht in den Staaten haben?
Ja, meinte nach monatelanger Verhandlung nun Richter Stephen V. Wilson und begründete dies auf 46 Seiten. Die lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Es geht, weil ein Gros der Nutzer der beanstandeten Programme in den Vereinigten Staaten sitzen. Damit ist der Weg frei für einen Copyright-Prozess, wie ihn auch Anbieter wie Napster, Aimster oder Audiogalaxy erleben mussten. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind platt, pleite, mausetot.
Eigentlich braucht das Web ein "Weltrecht"
Denn bisher zog die Keule: Da P2P-Unternehmen mit ihrer Dienstleistung zunächst einmal kein Geld verdienen, geht ihnen bei den mit astronomischen Klagesummen verbundenen US-Prozessen schnell finanziell die Luft aus. Da scheint aber auch schon der Clash mit den Gerichten und Regierungen anderer Länder programmiert: In einem Prozess mit fast gleichlautenden Klagevorwürfen beschied ein niederländisches Gericht kürzlich völlig anders. Firmen wie Morpheus oder KaZaA seien nicht verantwortlich dafür zu machen, wie Nutzer die von diesen Firmen entwickelte Software einsetzen. Theoretisch könnte man über P2P-Börsen ja auch Arbeitsdokumente tauschen.
Das aber würden wohl kaum rund 4,3 Millionen Menschen zu jedem gegebenen Zeitpunkt allein im KaZaA/Grokster-Netzwerk tun. Die wollen Musik - und immer mehr Filme. Die Börsen, entschied das Gericht, täten nicht nur nichts dagegen, sie pflegten auch ihren Ruf, genau dafür konzipiert zu sein.
So sieht das auch die US-Entertainment-Industrie und fühlt sich durch das Urteil bestätigt.
Unproblematisch ist das nicht, passt aber zu einem australischen Urteil aus dem Dezember: Da entschied ein Gericht, dass man Inhalteanbieter für Veröffentlichungen in einem anderen Land verklagen könne. Das ist politisches Dynamit: Prinzipiell stünde damit Tür und Tor offen, jeden Verleger, jeden Softwarehersteller für jeden angeblichen Rechtsbruch zu verklagen. Davon wird man sicherlich genügend finden, denn nicht nur Rechtsauffassungen, sondern auch Gesetze variieren selbst innerhalb der westlichen Welt schon ganz gehörig.
Eigentlich braucht das weltweite Medium Web so etwas wie ein Weltrecht - doch das gibt es nicht. Wo es Ansätze gibt, wie beispielsweise in Form der Schiedsstelle für Domain-Streitigkeiten bei der World Intellectual Property Organization Wipo, werden sie oft ungern genutzt: Dort ist kein Geld zu holen, und auch dem "Bestraften" drohen wenig empfindliche Sanktionen.
Nach dem Prozess ist vor dem Prozess
Die Betreiber der P2P-Börsen setzten in ihrer Verteidigung darauf, dass sie erstens eben nicht verantwortlich seien für den durch User begangenen Missbrauch ihrer Software und zweitens dem US-Recht nicht unterständen, da sie nun einmal auf Vanuatu oder den Westindischen Inseln beheimatet seien. Jetzt sei man erst einmal "enttäuscht".
Anderen vor ihnen ging stattdessen der Hintern auf Grundeis, und das wäre auch jetzt verständlich. Die Industrie verstärkt ihren Druck auf die Börsen an allen Fronten. Auch auf Seiten der User kommt es zu einer steigenden Zahl von Abmahnungen, vor allem in den USA: Immer mehr Universitäten verbieten P2P in ihren Netzwerken, schränken die Bandbreiten ein und mahnen Studenten ab. An der Eastern Michigan University drohen die Netzverantwortlichen offen mit PC-Untersuchungen und eventuell mit Klagen: "Wer das Copyright bricht, muss damit rechnen, vor Gericht zu landen."
So wie die Betreiber der Börsen, für die es damit erst jetzt wirklich ernst wird in den Vereinigten Staaten. Sharman pfeift tapfer im Wald und gibt sich trotzig. "Wir werden die ganze Geschichte", patzte Firmensprecherin Kelly Larabee nach dem Urteil, "zum ersten Mal offen legen". Das war eine Gegendrohung, verbunden mit der "Gewissheit, das wir in der Sache gewinnen werden". Was auch immer das heißen mag, eines ist sicher: Selbst wenn dies der Anfang vom Ende sein sollte, wird dieses sehr, sehr lange dauern. Nach dem Prozess ist vor dem Prozess: Schon bald folgt der Gong zur nächsten Runde.
Frank Patalong
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